„Schlechte Kompetenzwerte“

„Türen und Fenster öffnen“: SPD plant nach Sondierungen komplette Neuaufstellung

  • Peter Sieben
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Parallel zu den Sondierungen mit der Union will der SPD-Vorstand die Partei umkrempeln, das zeigt ein Beschlusspapier. Auffällig: ein Termin im Juni.

Berlin – Es ist still in Berlin. Nach Ampel-Zank und wüstem Wahlkampf sind die laufenden Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl überaus ruhig. Seit vergangenem Freitag führen Vertreterinnen und Vertreter von Union und SPD hinter verschlossenen Türen intensive Gespräche miteinander. Beide Parteien wollen Möglichkeiten für eine schwarz-rote Koalition ausloten, auch Große Koalition (Groko) genannt, obwohl die beiden Partner diesmal nicht die stärksten Fraktionen im Bundestag sind: Die SPD liegt hinter der AfD auf Platz 3.

Sowohl Union als auch die SPD machen Tempo, in dieser Woche geht es zügig weiter mit den Sondierungen. Die Spitzenpolitiker der Parteien sagen alle anderen Termine ab. Das Sondierungsteam werde auch nicht auf Veranstaltungen zum traditionellen politischen Aschermittwoch auftreten, machte SPD-Chef Lars Klingbeil klar.

Parallel zu Sondierungen mit Union: SPD will tiefgreifende Veränderungen

Nach außen dringt wenig, die Sondierungen hätten in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre begonnen, hieß es. Derweil wird deutlich, dass die SPD parallel tiefgreifende programmatische Veränderungen in der Partei anstrebt. Das geht aus einem Beschlusspapier des Parteivorstands hervor, der dieser Redaktion vorliegt.

„Wir stehen heute am Beginn einer Neuaufstellung“, heißt es darin. Man werde das Bundestagswahlergebnis – die SPD hatte ein historisch schlechtes Ergebnis von 16 Prozent – analysieren und entsprechende Schlüsse ziehen, um „künftig wieder Wahlen gewinnen zu können“.

Erste Bestandsaufnahme: „Nur noch 12 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter haben uns das Vertrauen geschenkt.“ Tatsächlich zeigen Wählerbewegungen, dass die SPD Teile ihres Kernklientels vor allem an die Union und an die AfD verloren hat. Fast wirkt es, als habe die SPD-Spitze die Abwärtsentwicklung seit 2021 mit einem gewissen Unglauben verfolgt: „Im Osten Deutschlands landen wir nach einem überragenden Erfolg 2021 nur noch bei 10 Prozent. In den wahlentscheidenden Themen Innere Sicherheit, Migration und Wirtschaft haben wir schlechte Kompetenzwerte“, stellt sie nun fest.

Neuaufstellung der SPD: Vorbereitung auf mögliche schwarz-rote Koalition

Jetzt soll eine Kommission das SPD-Wahldebakel und die Entwicklungen der letzten Jahre aufarbeiten, heißt es aus dem Vorstand. Dafür werde man auch „externe Expertise hinzuziehen“ und sich vor allem der Basis zuwenden: Ortsvereine, Kommunalpolitiker, Landesverbände und Bezirke sollen mitwirken. Man wolle eine „programmatische Erneuerung“  gemeinsam mit Mitgliedern, Bürgern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeiten.

Weiterer großer Punkt im Papier: Auch kommunikativ will sich die SPD neu aufstellen. Die aufgeworfenen Fragen vermitteln eine Spur von Fassungslosigkeit angesichts der rasanten Social-Media-Entwicklungen in den letzten Jahren: „Wie können wir über unsere Politik unter den Kommunikationsbedingungen des 21. Jahrhunderts mit Bürger:innen kommunizieren? Warum sind die Angriffe der Rechten auf uns und unsere Akteure so wirksam? Wie wirken sie zusammen?“

Tatsächlich lag das Thema Soziale Medien bei der SPD – wie auch bei anderen Parteien – lange brach. Die AfD ist bei TikTok die mit großem Abstand reichweitenstärkste Partei, hat nicht zuletzt dadurch Wahlerfolge eingefahren. Bei den demokratischen Parteien sorgte das für Ratlosigkeit: Man müsse da auch mal was machen, hörte man von dort nur immer wieder.

AfD bei Tiktok extrem erfolgreich – SPD will Kommunikation neu aufstellen

Politikberater Johannes Hillje kritisierte SPD und Co. schon lange vor der Wahl mit dieser Redaktion: „Die Emotionsaversion von demokratischen Parteien ist fatal. Emotionalisierung wird gerade im linksliberalen Milieu mit Entsachlichung gleichgesetzt. Aber Menschen denken Politik per se emotional.“ Jetzt, nach der Wahl, kündigt die SPD nun an, „eigene Begriffe zu prägen und unsere Politik nicht nur mit Fakten zu unterlegen, sondern diese auch emotional positiv“ besetzen.

Nun will die Partei offenbar keine Zeit mehr verlieren. Bemerkenswert: Der ordentliche Bundesparteitag 2025 soll vorgezogen werden. Schon im Juni soll es einen Termin geben, heißt es im Beschluss des Vorstands.  

Rubriklistenbild: © Peter Sieben (Montage)