Extremismus
Terroranschlag geplant – wie junge Islamisten im Netz radikalisiert werden
VonPeter Siebenschließen
Ein Weihnachtsmarkt oder eine Synagoge: Das waren die Anschlagsziele, über die zwei junge Islamisten sich ausgetauscht hatten. Hassprediger ködern Jugendliche im Netz.
Düsseldorf – Die Warnleuchte blinkt schon seit Wochen. Jetzt wird greifbar, was manche seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober auf Israel schon prophezeit hatten: Zwei Jugendliche haben offenbar einen islamistischen Anschlag auf aus ihrer Sicht „Ungläubige“ in Deutschland geplant. Mögliche Ziele waren ein Weihnachtsmarkt oder eine Synagoge in NRW. Bereits vor zwei Wochen hatte Islamwissenschaftler Ahmad Omeirate im Gespräch mit IPPEN.MEDIA gesagt: „Die Gefahr, dass es durch die Radikalisierung zu Anschlägen aus der Dschihadistenszene kommt, ist groß.“ Zeichen gab es viele: Islamistische Gruppen und Hassprediger machen in den sozialen Medien immer radikalere Propaganda – sie wollen vor allem junge Menschen ködern.
Islamistischer Anschlag auf Weihnachtsmarkt und Synagoge geplant
Die beiden Jugendlichen aus NRW und Brandenburg, die sich in einem Telegram-Chat über Anschlagsziele ausgetauscht hatten, sind 15 und 16 Jahre alt. Sie wurden am Mittwoch vorläufig festgenommen. Ob sich die Jungen nur wichtig machen wollten, oder ernste Pläne hatten, war zunächst unklar. Ein Datum hatte einer von ihnen indes bereits angekündigt: Am 1. Dezember sollte die Tat passieren, die Polizei griff sicherheitshalber zu.
Dass die beiden Jugendlichen, von denen zumindest einer als Sympathisant der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt ist, über Telegram kommunizierten haben, ist typisch. Der Messenger ist bei Anhängern extremistischer Ideologien beliebt. Denn auch antisemitische oder gewaltverherrlichende Inhalte und Fake News, die bei anderen Diensten entfernt würden, blieben dort oft einfach stehen, sagte jüngst Extremismus-Experte Johannes Hille im Gespräch mit dieser Redaktion.
Hassprediger und radikale Islamisten gießen Öl ins Feuer
Gruppierungen wie „Generation Islam“ oder „Muslim Interaktiv“ gießen derweil Öl ins Feuer: Ihre islamistischen Propaganda-Videos werden zehntausendfach gelikt und geteilt. „Die radikalen Islamisten nutzen Mainstreamplattformen, um möglichst viele Leute zu erreichen“, so Hillje, der sich seit Jahren mit Kommunikationsformen von Extremisten befasst. „Ihre Beiträge sollen emotionalisieren, eine Reaktion provozieren, was wiederum die Reichweite steigert“, erklärt er.
NRW-Medienminister Liminski: „Die größte Drecksschleuder im Bereich Antisemitismus ist TikTok“
In den Post der Gruppen, die nach Experteneinschätzung der verbotenen Islamisten-Bewegung Hizb ut-Tahrir nahestehen, ist immer wieder von den „Ungläubigen“ die Rede, gegen die man sich wehren müsse. Die Videos der Islamisten, in denen sie antisemitische Botschaften verbreiten, sind hochprofessionell produziert und an die Sehgewohnheiten vor allem junger Konsumenten angepasst: Hillje nennt sie „radikalisierte Islamfluencer.“ NRW-Medienminister Nathanael Liminski (CDU) sieht vor allem eine bestimmte Plattform als Problem: „Die größte Drecksschleuder im Bereich Antisemitismus ist TikTok“, sagte er kürzlich im Interview mit IPPEN.MEDIA. Die Zahl an antisemitischen, volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Inhalten ist dort und in anderen sozialen Medien seit dem 7. Oktober rasant gestiegen.
Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bereitet das große Sorgen: „Die digitale Bilderflut in sozialen Medien, oft gepaart mit Fake News, trägt zur Emotionalisierung bei und kann als Radikalisierungsfaktor fungieren. Verschärft wird die Situation durch ausländische staatliche Akteure, die diese Stimmungslage für sich auszunutzen oder gar zu verstärken suchen“, sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang. Er habe „immer wieder betont, dass jeden Tag auch in Deutschland ein islamistischer Anschlag verübt werden kann“, so Haldenwang. „Die Gefahr ist real und so hoch wie seit langem nicht mehr.“
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