Satellitenbilder enthüllen Baustelle
„Streben nach Großmachtstatus“: China baut neue Antarktis-Basis – Experten in Sorge
VonChristiane Kühlschließen
China weitet seine Präsenz in der Antarktis stark aus. Satellitenfotos zeigen den Bau einer großen Forschungsstation. Experten befürchten Anlagen zur militärischen Überwachung des Indischen Ozeans.
München – Das Satellitenbild zeigt eine unwirtliche Küste, teilweise schneebedeckt. Doch mitten in den felsigen Boden sind eckige Vertiefungen gebohrt, symmetrisch angeordnet: Fundamente eines größeren Gebäudes. Direkt am Ufer sind zudem ein paar temporäre Häuser zu erkennen. Was unspektakulär aussieht, ist die Baustelle einer großen chinesischen Forschungsstation in der Antarktis. „China vollzieht dort derzeit die bedeutendste Ausweitung seiner Präsenz seit zehn Jahren“, schreiben vier Experten in einer kürzlich erschienen Studie des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington zu Chinas Ambitionen an Nord- und Südpol.
Die wachsende Präsenz der Volksrepublik in den entlegenen Polargebieten dient nach Ansicht der Autoren auch dazu, „Chinas umfassendere strategische und militärische Interessen voranzubringen“. Westliche Regierungen befürchten, dass Peking vor allem nach Einfluss und nach Überwachungsmöglichkeiten für das Militär sucht. Chinas Vorstöße in Antarktis und Arktis seien Teil seines „Strebens nach Großmachtstatus“, warnen auch die CSIS-Autoren.
Die neue Station befindet sich auf der Insel Inexpressible in der Nähe des Rossmeeres etwas südlich von Australien. In der Region sind auch andere Länder aktiv. So stehen dort die deutsche Sommerstation Gondwana sowie die größte Forschungsstation der Antarktis, die McMurdo Station der USA, errichtet ab 1955. Dort gibt es neben einem Hafen, einer Landepiste für Flugzeuge und großen Laboratorien auch einen Laden, eine Kapelle und einen Fernsehsender. Die Station ist 320 Kilometer von der chinesischen Baustelle entfernt.
Chinas Aufbruch zur Antarktis: Streben nach Großmachtstatus
Die USA unterhalten zwar immer noch eine größere Forschungspräsenz in der Antarktis als China, zitierte Reuters ein CSIS-Mitglied. Doch Chinas Präsenz wachse schneller. So ist die neue Station mit einer Fläche von etwa 5000 Quadratmetern deutlich größer als alle bisherigen Basen der Volksrepublik. Der Bau startete 2018, lag aber laut der CSIS-Studie mehrere Jahre brach. Nun sollen dort neben Forschungslabor und Hauptgebäude auch eine Energieanlage, ein Hubschrauberlandeplatz und eine Anlegestelle für Eisbrecher entstehen.
Chinas erste Basis in der Antarktis war in den 1980er-Jahren die „Große Mauer“-Station auf der vorgelagerten King George-Insel; es folgten die Zhongshan-Station an der Festlandküste sowie die Kunlun-Station und die Taishan-Station auf dem antarktischen Plateau – der kältesten Region der Erde.
Schon 2014 beschloss die Regierung, China zu einer „polaren Großmacht“ zu machen. „Sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis hat China ehrgeizige Expeditionen unternommen und Weltklasse-Forschungseinrichtungen aufgebaut“, urteilen die CSIS-Autoren. „Diese Investitionen haben Chinas Stimme in Polarangelegenheiten gestärkt und ihm die Möglichkeit gegeben, die entstehende geopolitische Landschaft zu gestalten.“ Seit Jahren bezeichnet China sich zudem selbst als „arktisnahen Staat“ – trotz einer stattlichen Entfernung vom Polarkreis.
Antarktis: Ansprüche und Forschungseifer
Mit seiner Ambition ist Peking indes längst nicht allein. Die Antarktis übt seit jeher eine große Anziehungskraft aus. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts legten Forschende von der Nordhalbkugel dort Basislager und Walfangstationen an. Inseln und Regionen des Kontinents tragen noch heute die Namen, die ihnen ihre Entdecker gaben: Kaiser-Wilhelm-Land, König-Haakon-See oder eben King-George-Insel. Großbritannien, Frankreich, Argentinien, Chile, Australien und Neuseeland erheben noch immer formal Gebietsansprüche, basierend auf Besitznahmen zu dieser Zeit.
Heute ruhen diese Ansprüche, dank des Antarktis-Vertrages von 1959, den auch China unterzeichnet hat. Er gilt als Muster für internationale Kooperation und begrenzt alle Aktivitäten auf dem Kontinent auf „friedliche Zwecke“, vor allem in der wissenschaftlichen Forschung. Diese darf zwar auch von Militärpersonal betrieben werden. Doch der Vertrag verbietet militärische Stützpunkte, Manöver und Waffentests. Mittlerweile sind mehr als 50 Nationen dem Antarktis-Vertragssystem beigetreten; rund 30 von ihnen betreiben Forschungsstationen und kooperieren vielfach miteinander.
Antarktis: Geopolitische Spannungen sorgen für Konflikte
Doch die geopolitischen Spannungen der großen Welt drängen zunehmend auch in die Antarktis. Die Großmächte konkurrieren wieder stärker um Macht und Einfluss. Länder wie China, Indien oder Südkorea demonstrieren ihre wachsenden Ambitionen durch eine verstärkte Forschungspräsenz in der Antarktis. Auch gibt es immer wieder Streit um Sachthemen, denn jeder Beschluss im Antarktis-Vertragssystem muss einstimmig gefasst werden. Im November 2022 blockierten China und Russland so zum wiederholten Mal den Abschluss eines Abkommens, das wichtige Lebewesen aus der antarktischen Nahrungskette vor Überfischung schützen soll.
In dieser Gemengelage sorgt eine wachsende Präsenz Chinas unter den westlichen Platzhirschen für Unruhe. Beweise für Spionageaktivitäten gibt es bisher zwar nicht. So fand ein Team des amerikanischen Außenministeriums und anderer US-Behörden 2020 bei einer Inspektion der Baustelle für Chinas neue Station laut CSIS keine spezifische militärische Ausrüstung oder Armeepersonal vor.
China in der Antarktis: Warnung vor militärisch nutzbarer Technologie
Trotzdem warnen die CSIS-Experten, dass die Station nach ihrer Fertigstellung eine Satelliten-Bodenstation beherbergen werde. Chinas Bodenstationen umfassen demnach auch anderswo Dual-use-Fähigkeiten – sie können also zivil und militärisch genutzt werden. So können Bodenstationen neben der Kommunikation mit eigenen Satelliten auch die Sammlung von Informationen unterstützen. China betreibt ein eigenes Satelliten-Navigationssystem namens Beidou als Alternative zum US-System GPS. „Chinas Strategie für die Antarktis umfasst die Nutzung von Technologien, Einrichtungen und wissenschaftlicher Forschung mit Dual-use-Zweck, die wahrscheinlich zumindest teilweise dazu dienen, die Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee zu verbessern“, zitierte die Studie aus einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums von 2022.
China äußerte sich bislang nicht zu der Studie. Auch Chinas alte „Große Mauer“-Station steht demnach im Verdacht, nicht nur der Wissenschaft zu dienen: Sie befindet sich an der Drake-Passage, einer wichtigen Seeverbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Aufgrund von Antennen und anderen Überwachungsgeräten wäre die Basis in der Lage, Schiffe in der Region im Auge zu behalten.
Auch plant China, die Zhongshan-Station mit zusätzlichen Antennen auszustatten. Die Basis vergab bereits den Zuschlag für den Bau der Antennen an die China Aerospace Science and Industry Corporation. Zu sehen ist auf Satellitenbildern aber noch nichts. Zhongshan könnte künftig genutzt werden, um Informationen im Indischen Ozean oder zum Militär in Australien zu sammeln, fürchten die CSIS-Experten. Peking könnte den britisch-amerikanischen Militärstützpunkt Diego Garcia aushorchen wollen. Auch werde die Station in der Lage sein, bei Bedarf Signale über Australien und Neuseeland abzufangen. Das Misstrauen ist im derzeitigen geopolitischen Klima groß.
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