Nach Funkgerät-Fiasko

Sondervermögen zu klein: Pistorius kämpft bei der Bundeswehr-Zeitenwende an mehreren Fronten

  • Christoph Gschoßmann
    VonChristoph Gschoßmann
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Boris Pistorius startete als Hoffnungsträger für die Bundeswehr, die angesichts des Ukraine-Kriegs modernisiert werden sollte. Er steckt auf vielen Ebenen fest.

Berlin - Eine „Zeitenwende“ sollte es geben bei der Bundeswehr, nichts weniger. Und SPD-Mann Boris Pistorius sollte endlich derjenige sein, der für ebendiese sorgt, beauftragt von Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch in den vergangenen Monaten häuften sich die Probleme für den Minister. Jüngst musste er sich über die Funkgeräte ärgern. Auch reicht das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wohl bei Weitem nicht aus, um die Armee so zu modernisieren wie angekündigt.

Der 63 Jahre alte Pistorius will nach Problemen bei der Umrüstung auf neue digitale Funkgeräte möglichen Versäumnissen im Beschaffungsprozess nachgehen. Auf die Frage, wie die Bundeswehr für mehr als eine Milliarde Euro Funkanlagen kaufen könne, ohne dass der Einbau in Fahrzeuge geklärt sei, sagte der SPD-Politiker am Dienstag auf dem estnischen Militärflugplatz Ämari: „Das wird sich aufklären in den nächsten Wochen und Monaten. Ich bin darüber einigermaßen verärgert.“

Pistorius wälzt die Schuld für die Funkgeräte auf Lamprecht ab

Pistorius verwies darauf, dass der Auftrag im Dezember erteilt worden sei, „also vor meiner Zeit“. Er war auf SPD-Kollegin Christine Lamprecht gefolgt. Pistorius sagte: „Ich wäre davon ausgegangen, dass man sich vor der Bestellung, aber mindestens mit der Bestellung darüber Gedanken macht, wie die Integration erfolgt. Dass das nicht passiert ist oder nicht ausreichend, das klären wir jetzt auf und versuchen zu heilen, was zu heilen ist.“

Boris Pistorius (SPD) wurde im Januar 2019 von Kanzler Olaf Scholz zum Bundesverteidigungsminister ernannt.

Nach eigenen Angaben hat Pistorius erst am Wochenende von den Details erfahren. Nachdem die Zeitung Welt zuerst über die Probleme berichtet hatte, hatte das Verteidigungsministerium den Bundestag am Vortag darüber informiert, die technische Komplexität beim Einbau sei unterschätzt worden und werde zu Verzögerungen von etwa einem Jahr führen. So seien bei den Fahrzeugen Änderungen am Kühlsystem und der Lichtmaschine nötig. Die der Nato zugesagte Bereitstellung einer gefechtsbereiten Division bis 2025 werde durch andere Funkgeräte sichergestellt.

Hundert Milliarden Euro reichen nicht für die Modernisierung der Bundeswehr

Auch die von ihm geforderten zehn Milliarden Euro jährlich für die Modernisierung der Bundeswehr wurden ihm nicht zugesagt, am Ende wurden es 1,7 Milliarden. Laut der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl, bräuchte das Heer eigentlich 300 Milliarden, um die Bundeswehr wieder flott zu machen. Allein die Funkgeräte kosteten 1,3 Milliarden. Der Focus berichtet von Manövern mit Partnern in Litauen und Mali, bei denen sich die Bundeswehr mit ihren rückständigen Funkgeräten zum Gespött machte. Verbündete hätten sich geweigert, über das offene Netz zu kommunizieren.

Für 2025 hat Deutschland der Nato 15.000 neue Soldatinnen und Soldaten zugesagt, die die neue Technik einführen sollten. Stattdessen wurde daraus eine große Blamage, und Pistorius droht eventuell sogar ein parlamentarisches Nachspiel. Der CDU-Abgeordnete und Verteidigungsexperte Henning Otte gegenüber dem Focus: „Die Tragweite des Schadens und das verzögerte Vorgehen des Ministeriums lassen einen Untersuchungsausschuss als möglich und notwendig erscheinen.“ Auch ein israelisches Raketenabwehrsystem ließ sich die Bundeswehr kürzlich eine Milliardensumme kosten. Experten äußern große Zweifel an der Tauglichkeit.

Skandale beschädigen den Ruf der Bundeswehr - Pistorisus will sie „konsequent ahnden“

Nicht nur Beschaffungs- und Geldprobleme machen es Pistorius schwer. Auch Skandale um sexuelle Übergriffe schaden dem Ansehen der Bundeswehr. Wie Pistorius sagte, will er diese „konsequent ahnden“. Generalinspekteur Carsten Breuer musste den Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Marcus Kurczyk, vorläufig von seinen Aufgaben entbinden, weil er einem Soldaten bei einer Feier zu nahe gekommen sein soll. Einen weiteren Fall sexueller Belästigung gab es bezüglich eines Generals, der zu einer Praktikantin gesagt haben soll: „Wenn ich ihre Tochter sehe, komme ich auf schmutzige Gedanken.“

Wie seine Vorgängerin Lamprecht, wie Karl-Theodor zu Guttenberg, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer: Bundesverteidigungsminister hatten in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer einen schweren Stand. Pistorius, der die Beliebtheitswerte der Politiker anführt, muss angesichts massiver Probleme aufpassen, dass ihm kein ähnliches Schicksal widerfährt wie seinen Vorgängern. (cgsc mit dpa)

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