Kohle statt Gas
„Sch**ß drauf“: Putin sorgt mit Wut-Rede zur Kontrolle der Atomwaffen für Aufsehen
VonJens Kiffmeierschließen
Russlands Präsident Wladimir Putin spricht beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg – und ledert gegen die Verhandlung zur nuklearen Rüstungskontrolle.
- Russlands Präsident spricht beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Wladimir Putin sorgt für Aufsehen
- Mehr Kohlestrom: Putin spottet über Habeck
- Trotz Vollbeschäftigung: Wirtschaft in Russland mit vielen Problemen
Update vom 16. Juni, 19.53 Uhr: Nukleare Rüstungskontrolle steht bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht hoch im Kurs. Beim internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg lehnte der Kremlherrscher ein Gesprächsangebot der USA mit deftigen Worten ab. „Wir haben mehr solcher Waffen als die Nato-Länder. Sie wissen das und drängen uns die ganze Zeit dazu, dass wir Gespräche über Reduzierungen anfangen“, sagte Putin, kündigte die Stationierung von Atomwaffen in Belarus an und fügte hinzu: „Sch**ß drauf, verstehen Sie, wie man bei uns im Volk sagt.“
„Sch**ß drauf“: Putin wettert gegen Verhandlung zur internationalen Rüstungskontrolle
Unter dem Eindruck seines Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte Russland Anfang des Jahres unter internationalem Protest das letzte große Abkommen über atomare Rüstungskontrolle für ausgesetzt erklärt: den „New Start“-Vertrag mit den USA. Dieser begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder und regelt Inspektionen. Anfang Juni dann bot die US-Regierung Russland und auch China Gespräche über nukleare Rüstungskontrolle „ohne Vorbedingungen“ an. Nach der Putin-Rede bemühte sich Kremlsprecher Dmitri Peskow aber um eine Relativierung von Putins Aussagen. „Russland ist bereit, Verhandlungen zu führen“, versicherte er.
Mehr Kohlestrom: Putin macht sich über Habecks Energiepolitik lustig
Update vom 16. Juni, 17.10 Uhr: Russlands Wirtschaft leidet unter den Sanktionen, doch für den Westen hat Präsident Wladimir Putin nur Hohn und Spott übrig: Bei einem Rundgang am Rande des internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg konnte sich der Kremlchef einen Seitenhieb auf die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken in Deutschland nicht verkneifen. „Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten erfüllen wir alle auf uns genommenen Verpflichtungen in dieser Sphäre. Sogar vorzeitig“, witzelte er mit Blick auf den anstehenden internationalen Klimagipfel in den Vereinigten Arabischen Emiraten. So hätten einige Staaten trotz anderslautender Deklarationen ihre Stromgewinnung aus Kohle zuletzt verstärkt.
Tatsächlich mussten mehrere europäische Staaten, darunter auch Deutschland, im vergangenen Jahr wieder Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen. Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war das ein bitteres Unterfangen, denn seine Partei will den Kohleausstieg eigentlich vorzeitig erreichen. Doch im Zuge des Ukraine-Krieges hatte Putin den Gasimport nach Deutschland gestoppt, sodass Habeck verstärkt wieder auf Kohle setzen musste. Dennoch kämpft Putin an der Heimatfront mit eigenen wirtschaftlichen Problemen. Neben Habeck bekam auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sein Fett weg. Putin beschimpfte ihn als „Schande für das jüdische Volk“.
Wirtschaftsforum: Putin verspricht Russlands Bevölkerung soziale Wohltaten
Update vom 16. Juni, 15.51 Uhr: Soziale Wohltaten zum eigenen Machterhalt: Ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl in Russland hat Kremlherrscher Wladimir Putin seinen Landsleuten neue Versprechungen gemacht. So kündigte er bei seinem Auftritt beim internationalen Wirtschaftsforum die Anhebung des Mindestlohns um 18,5 Prozent an. Dies liege deutlich über dem Tempo der Inflation und den steigenden Gehältern, sagte er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa. Die Inflation liegt in Russland aktuell bei 2,9 Prozent. Darüber hinaus versprach Putin, Müttern Kindergeld bis zum Alter von 1,5 Jahren zu zahlen - unabhängig davon, ob die Mutter in der Zwischenzeit wieder zur Arbeit gegangen oder zu Hause geblieben sei. Doch ob dies die Probleme von Russlands Wirtschaft lösen kann, bleibt abzuwarten.
Wirtschaft am Abgrund: Zwangsarbeit zeigt Russlands wahre Probleme
Erstmeldung vom 16. Juni, 1428 Uhr: St. Petersburg - Es gibt keine Lebensmittelknappheit, in den Geschäften liegt die neueste Sommermode und es herrscht nahezu Vollbeschäftigung: Russlands Wirtschaft brummt - trotz der vom Westen verhängten Sanktionen wegen des Ukraine-Krieges. Dieses Bild dürfte Präsident Wladimir Putin jedenfalls in seiner Rede auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg zeichnen. Doch auch wenn einige Entwicklungen im Jahr 2023 nicht von der Hand zu weisen sind, so steuert das Land wohl doch in Zukunft auf eine ernsthafte Krise zu. In diesem Punkt sind sich die Experten einig.
Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Putin preist Russlands Kraft
Am Freitag wird in St. Petersburg das mehrtägige Wirtschaftsforum fortgesetzt. Insgesamt 17.000 Teilnehmer aus 130 Nationen sollen daran teilnehmen, wie die Organisatoren auf Telegram verkünden. Die Veranstaltung findet zum 26. Mal statt. Höhepunkt dürfte die mit Spannung erwartete Rede von Russlands Präsidenten Wladimir Putin sein.
Seit knapp 16 Monaten führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, seit knapp 16 Monaten wird das Riesenreich dafür mit weitreichenden westlichen Sanktionen bestraft. Doch seit Beginn des Ukraine-Krieges wird Putin nicht müde zu betonen, dass Russland den westlichen Strafmaßnahmen nicht nur trotze, sondern angeblich sogar gestärkt und unabhängiger daraus hervorgehe.
Praktisch Vollbeschäftigung? Experten bezweifeln Russlands Statistik
Gerne zieht Moskau zur Bekräftigung dieses Arguments auch Statistiken zu Hilfe, deren Aussagekraft Kritiker als zumindest fragwürdig einstufen. So ist es beispielsweise zwar durchaus richtig, dass die Arbeitslosigkeit in Russland mit 3,3 Prozent zuletzt ein historisches Tief erreichte. Faktisch herrscht nun wie zu Sowjetzeiten Vollbeschäftigung in dem Land.
Wladimir Putin: Der Aufstieg von Russlands Machthabern in Bildern




Doch ein wesentlicher Grund dafür ist die Massenflucht vor allem junger Russen vor Putins Mobilmachung seit dem vergangenen Herbst. Ein weiterer, dass Hunderttausende tatsächlich an der Front sind. Seitdem gibt es vielerorts nicht nur wenige Arbeitslose - sondern auch zu wenige Fachkräfte. In einigen Firmen wurden deswegen bereits Strafgefangene als Zwangsarbeiter verpflichtet, etwa beim Autohersteller Lada.
Entwicklung von Russlands Wirtschaft: Zwangsarbeit übertüncht viele Probleme
Für Osteuropa-Experten ist diese Entwicklung aber eher ein Ausdruck der Verzweiflung in Russlands Wirtschaft. „Strafgefangene sind extrem unproduktiv und unzuverlässig. Für die meisten Firmen werden sie eher eine Belastung sein“, sagte Alexander Libman, Politologe an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit dem Nachrichtensender ntv. Ähnlich sieht es Russland-Fachmann Gerhard Mangott. Abgesehen davon, dass es keine gesetzliche Grundlage für das Anheuern von Strafgefangenen gebe, stelle dieses Vorgehen die Unternehmen durchaus vor ein Sicherheitsrisiko, sagte er ebenfalls zu ntv.
Doch diese Tricks haben Putin erst einmal dabei geholfen, Russlands Wirtschaft im Großen und Ganzen an die Sanktionen anzupassen. Russische Geschäftsleute seien zäh und überlebensfähig, urteilt die renommierte Moskauer Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Zumindest im Alltag seien Engpässe bei der Versorgung jedenfalls nicht zu spüren.
Parallel-Importe tricksen die Sanktionen aus
Dabei geholfen haben auch die Neuregelungen der russischen Regierung zum „parallelen Import“. Demnach können Waren ohne die Erlaubnis des Markenbesitzers nach Russland eingeführt werden - oft über Drittländer. Diese eröffneten dem Business neue Nischen - trotz Sanktionen. Und so kommen die Computer nun eben nicht mehr aus Europa, sondern aus dem zentralasiatischen Kirgistan oder Armenien im Südkaukasus, Autos und Maschinen aus der Türkei und Kasachstan - und natürlich ganz viele Waren aus China. So schaffen es auch deutsche Computer-Chips in russische Panzer.
Problematisch aus russischer Sicht ist dabei allerdings die enorm gewachsene Abhängigkeit von China. Ein Viertel des russischen Außenhandels läuft inzwischen über den Nachbarn im Südosten. Beim Export - hier vor allem Rohstoffe - sind es etwa 20 Prozent, beim Import sogar mehr als 30 Prozent. Das macht Russland anfällig.
Sanktionen treffen Russlands Wirtschaft im Jahr 2023 unterschiedlich
Auch ein Blick auf die verschiedenen russischen Branchen ergibt für das Jahr 2023 ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite gibt es regelrechte Kriegsgewinner: In Regionen mit starker Rüstungsindustrie - beispielsweise dem Ural - brummt der ökonomische Motor. Doch bei weitem nicht alle Sektoren konnten sich nach dem Abzug westlicher Partner erfolgreich umstellen. Allen voran die Autoindustrie steckt weiter tief in der Krise. Versuche, das zu kaschieren, gehen nach hinten los: Der im vergangenen Winter von Staatsmedien gefeierte Neustart der sowjetischen Marke Moskwitsch etwa entpuppte sich letztendlich als Kopie des chinesischen Kleinwagens JAC JS4.
Enorme Probleme gibt es nach dem Exodus westlicher Firmen auch mit der Produktion von Haushaltsgeräten und Werkzeugen. Der Einzelhandel hat zwar neue Lieferketten aufgebaut, aber der Konsum ist weiterhin schwach. Vielen Menschen fehlt nach dem letztjährigen Inflationsschub schlicht das Geld, um sich neben Lebensmitteln noch etwas zu leisten.
Prognose für Staatshaushalt löst in Russland Sorgen aus
Und nicht zuletzt schweben viele Fragezeichen über dem russischen Staatshaushalt. Das Minus in der Kasse ist deutlich höher als ursprünglich veranschlagt. Die Einnahmen aus Öl und Gas, die im vergangenen Jahr noch sprudelten, sind angesichts von EU-Embargo und -Preisdeckel merklich zurückgegangen. Für Aufregung unter russischen Unternehmern sorgt der Plan der Regierung, das Haushaltsloch zumindest teilweise durch eine Firmen-Sondersteuer zu stopfen. Ende Juni will die Staatsduma über diese „Kriegsabgabe“ abstimmen, die insgesamt 300 Milliarden Rubel (3,3 Milliarden Euro) einbringen soll.
Für das laufende Jahr wird das Geld wohl noch reichen, um die einzelnen Regionen zu finanzieren - inklusive der neu annektierten und stark zerstörten ukrainischen Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk, die ein Viertel der regionalen Subventionen verschlingen. Insbesondere mit Blick auf die Präsidentenwahl, die im kommenden Jahr ansteht, ist es wichtig, etwa Lehrern und Beamten zuverlässig ihr Gehalt zu zahlen und sie bei Laune zu halten. (jkf/mit Material der dpa)
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