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Warum Putins Desinformations-Maschinerie im Nahen Osten im Vorteil ist - und es wohl noch schlimmer wird

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Der Nahe Osten hört Putins Ukraine-Narrative genau. Teils, weil Russland seine Propaganda-Kanäle gut pflegt. Thesen treffen zudem auf dankbares Publikum.

  • Mehr noch als in Europa trifft russische Desinformationen im Nahen Osten auf offene Ohren.
  • Das hat mit Russlands Propagandakanälen zu tun - aber auch mit historischen Ereignissen und Versäumnissen des Westens, argumentiert Expertin Anna Borshchevskaya.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 23. März 2023 das Magazin Foreign Policy.

Mehr als ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine besteht die Gruppe der direkt mit Moskau verbündeten Länder nach wie vor nur aus einer bunten Handvoll Lakaien und Vasallen, darunter Alexander Lukaschenkos Belarus und das Syrien von Baschar al-Assad. Nur sechs Länder stimmten bei der Generalversammlung zum Jahrestag des Einmarsches mit Moskau gegen die UN- Resolution, die den Rückzug Russlands forderte. 141 stimmten dafür. Gemessen daran waren die Bemühungen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Weltbühne zu isolieren, ein großer Erfolg.

Aber solche Stimmen können täuschen. Der Nahe Osten ist ein Paradebeispiel dafür. Gespräche mit Eliten in vielen Hauptstädten des Nahen Ostens – mit einflussreichen Diplomaten, Regierungsbeamten, Journalisten und Geschäftsleuten – zeigen eine überraschende Wertschätzung für Russlands Position, einschließlich Sympathie für Putins Argument, Russland sei zum Handeln gezwungen gewesen, um eine Einkreisung durch die NATO zu vermeiden. Darüber hinaus ergab der von der in Dubai ansässigen PR-Beratungsfirma ASDA‘A BCW durchgeführte „Arab Youth Survey 2022“, dass mehr junge Araber (im Alter von 18 bis 24 Jahren) den Vereinigten Staaten und der NATO und nicht Russland die Schuld am Krieg in der Ukraine geben.

Russland fällt es leichter als den USA, Macht auszuüben: Washington hat Vertrauen verloren

Es gibt mehrere Gründe, warum so viele von Washingtons traditionellen Freunden im Nahen Osten dem Ukraine-Krieg bestenfalls ambivalent gegenüberstehen. Dies hat zum Teil mit dem Gefühl zu tun, von den Vereinigten Staaten in der Stunde der Not im Stich gelassen worden zu sein – eine häufige Klage der Saudis und Emiratis, die wie die Ukraine Opfer iranischer Drohnen wurden, aber ihrer Ansicht nach nicht die gleiche massive Unterstützung der USA erhalten haben.

Einige beziehen sich auf die Tatsache, dass Washington – das vor einer Generation bereit war, mehr als eine halbe Million US-Soldaten, Matrosen und Flieger zur Befreiung Kuwaits zu entsenden – es heute als schwere Aufgabe ansieht, Waffen und Munition zu schicken, um die Ukrainer in ihrem eigenen Kampf zu unterstützen. Das deutet aus ihrer Sicht darauf hin, dass die Vereinigten Staaten kaum jemals wieder ihre jungen Männer und Frauen zum Schutz eines fernen arabischen Staates schicken würden.

Das ist zum Teil auf die Wahrnehmung zurückzuführen, dass es Russland leichter fällt, Macht auszuüben als Washington. Ein Beweis dafür ist Putins Bereitschaft, seinen Verbündeten in Damaskus zu unterstützen. Der frühere US-Präsident Barack Obama hatte sich gegen die Anwendung von Gewalt gesträubt, obwohl er versprochen hatte, Syrien für den Einsatz chemischer Waffen gegen unschuldige Zivilisten zu bestrafen.

Putins Desinformation ist allgegenwärtig: Moskau kennt sein Publikum gut

Und besonders in Kairoer Salons kommt eine Art Nostalgie für die Tage auf, in denen Russland der Hauptlieferant von Waffen war. Damals, vor Jahrzehnten, war Ägypten noch ein arabisches Schwergewicht. Diese Ideen sind jedoch nicht von allein entstanden. Was diese Ideen in der arabischen Welt so populär gemacht hat, ist die Allgegenwärtigkeit der russischen Desinformationskanäle.

Bereits Jahre vor dem Einmarsch in der Ukraine haben sich die staatlichen russischen Medien RT Arabic und Sputnik Arabic als wichtige Quellen für seriöse regionale Nachrichten im Nahen Osten hervorgetan. Im Westen hatten die Schwestersender von RT und Sputnik nie das gleiche Maß an Glaubwürdigkeit. Mit Beginn des Krieges wurden sie entweder komplett verboten, wie es RT in Großbritannien erging, oder sie entschieden sich, den Betrieb aufgrund „unvorhergesehener Geschäftsunterbrechungen“ einzustellen. Das war beispielsweise bei RT America der Fall, nachdem der Satellitenfernsehanbieter DirecTV und das Streaming-Unternehmen Roku dem Sender 2022 die Unterstützung entzogen hatten.

Bilder des Ukraine-Kriegs: Großes Grauen und kleine Momente des Glücks

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Der Krieg begann Ende Februar mit Angriffen Russlands auf zahlreiche Städte der Ukraine. Die Truppen aus Moskau nahmen frühzeitig auch Kiew, die Haupstadt des Landes, unter Raketenbeschuss. Eine der russischen Raketen wurde als Teil einer Ausstellung vor dem Nationalmuseum für Militärgeschichte platziert. Kurator Pavlo Netesov wollte nach eigener Aussage mit der Ausstellung der zerstörten Ausrüstung die Bewohnerinnen und Bewohner Kiews an die Straßenkämpfe erinnern, die in anderen Städte der Ukraine tobten, von denen die Hauptstadt aber verschont blieb. © Sergei Supinsky/afp
Wolodymyr Selenskyi in Donezk
Eine dieser Städte war Donezk. Im Mai 2022 besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die einstige Millionenmetropole und hörte sich dort den Bericht von Frontsoldaten an. In Donezk tobt der Krieg zwischen Russland und der Ukraine bereits seit 2014. Seitdem herrscht dort ein von Moskau installiertes Regime, das sich selbst Volksrepublik Donezk nennt. Nach einigen vorübergehenden Waffenstillstandsabkommen ist die Stadt im Südosten nun wieder Ort erbitterterte Kämpfe. © Uncredited/dpa
Menschen suchen Deckung in Lyssytschansk
Es ist vor allem die Zivilbevölkerung, wie diese beiden Kinder und Seniorinnen in Lyssytschansk, die unter dem Ukraine-Krieg leiden. Die Großstadt liegt mitten im Donbass, die seit Kriegsausbruch am schwersten umkämpfte Region in der Ukraine. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht fliehen oder konnten, müssen nun regelmäßig Schutz vor Artilleriebeschuss suchen. © Aris Messinis/afp
Tschassiw Jar, Kleinstadt der Ukraine in der Nähe Lyssytschansk
Unweit von Lyssytschansk liegt die Kleinstadt Tschassiw Jar. Dort räumen Arbeiter die Trümmer eines Hauses von der Straße, das von einer russischen „Hurrikan“-Rakete getroffen wurde. Im Juli 2022 feierte Russland vor allem in der Donbass-Region militärische Erfolge. Zahlreiche Städte und Gemeinden wurden erobert. Die Truppen Wladimir Putins schienen die Ukraine im Sturm zu erobern. © Anatolii Stepanov/afp
brennendes Weizenfeld in der Region Saporischschja
Dieser Mann in Militäruniform ist in einem brennenden Weizenfeld in der Region Saporischschja, während russische Truppen Felder beschießen, um die örtlichen Landwirte an der Getreideernte zu hindern. Die Ukraine auszuhungern und die Ernte zu stehlen, war von Anfang an Teil der russischen Strategie © Uncredited/dpa
Das sechsmonatige Jubiläum im August war ein trauriger Abschnitt im russischen Angriffs-Krieg
Das sechsmonatige Jubiläum des UKraine-Kriegs im August war ein trauriger Abschnitt der russischen Invasion. Doch die ukrainischen Streitkräfte leisteten mit Herz und allen Mitteln weiter Widerstand und feierten ihre Nation, wie hier mit Drohne und ukrainischer Flagge über dem „Monument des Mutterlands“ in Kiew. © Dimitar Dilkoff/afp
Hier wurde im September in der Stadt Kupiansk in der Kharkiv Region eine Brücke bombadiert
Im September begannen die Truppen Wladimir Putins, die Infrastruktur der ukrainischen Städte unter Beschuss zu nehmen. In der Stadt Kupiansk in der Region Kharkiw bombardierte Moskau eine Brücke. An vielen anderen Städten versuchten die russischen Streitkräfte, die Energieversorgung zu stören. © Yasuyoshi Chiba/afp
Statt eines kurzen Angriffskriegs, den der russische Präsident Wladimir Putin geplant hatte, dauert der Krieg immer noch an.
Weil die Erfolge in der Ukraine ausblieben, benötigten die russischen Truppen immer mehr Rekruten für die Front. Präsident Wladimir Putin verkündete deshalb eine Teilmobilisierung im eigenen Land. Tausende junger Männer mussten sich wie dieser Mann in der Stadt Kineschma von ihren Müttern verabschieden und in den Ukraine-Krieg ziehen. © Vladimir Smirnov/imago
Hier sieht man Putin bei einer Ansprache auf einem großen Screen auf dem Roten Platz anlässlich der Annexion von vier Regionen der Ukraine, die von russischen Truppen im September besetzt waren
Im Osten der Ukraine schuf Wladimir Putin Ende September Tatsachen. Vier Regionen des Landes, die zuvor ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, wurden annektiert. Anlässlich der Gebietsgewinne richtete sich Putin in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung Russlands. Zumindest auf dem Roten Platz in Moskau wurde Putins Rede frenetisch bejubelt. © Alexander Nemenov/afp
Nach der Explosion eines Lastwagens in der Nähe von Kertsch am 8. Oktober 2022 steigt schwarzer Rauch aus einem Feuer auf der Brücke von Kertsch auf
Nach der Explosion eines Lastwagens in der Nähe von Kertsch am 8. Oktober 2022 steigt schwarzer Rauch aus einem Feuer auf der Brücke von Kertsch auf. Sie ist die einzige Landverbindung zwischen Russland und der annektierten Krim-Halbinsel. Russland versprach, die Täter zu finden, ohne die Ukraine sofort zu beschuldigen. © Uncredited/afp
Ukrainische Artilleristen feuern eine 152-mm-Schleppgeschütz-Haubitze (D20) auf eine Stellung an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Bakhmut in der ostukrainischen Region Donezk Ende Oktober während des russischen Einmarsches in die Ukraine
Ebenfalls im Oktober gelingt es der Ukraine, an vielen Frontabschnitten vorzurücken. Das gelingt den Streitkräften vor allem dank der Unterstützung aus dem Westen, die immer mehr schweres Gerät in den Konflikt liefert. Hier feuern ukrainische Artilleristen eine 152-mm-Schleppgeschütz-Haubitze (D20) auf eine Stellung an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Bakhmut in der ostukrainischen Region Donezk ab. © Dimitar Dilkoff/afp
Ein Einwohner von Cherson hebt seinen Daumen zur Unterstützung der Ukraine auf dem Hauptplatz der Stadt nach der Befreiung von den russischen Besatzern
Mitte November gelingt den ukrainischen Truppen ein großer Erfolg. Sie können die Hafenstadt Cherson im Südosten des Landes zurückerobern. Die Millionenmetropole besitzt neben hohem strategischem auch symbolischen Wert im Kampf gegen Russland. Ein Bewohner feiert die Befreieung mit erhobenem Daumen im Zentrum der Stadt. © Celestino Arce Lavin/dpa
An diesem Tag hielt die Welt den Atem an: Eine Luftaufnahme zeigt den Ort, an dem am 15. November 2022 zwei Männer im ostpolnischen Dorf Przewodow, nahe der Grenze zur kriegszerstörten Ukraine, durch einen Raketeneinschlag getötet wurden
An diesem Tag hielt die Welt den Atem an: Eine Luftaufnahme zeigt den Ort, an dem am 15. November 2022 zwei Männer im ostpolnischen Dorf Przewodow, nahe der Grenze zur kriegszerstörten Ukraine, durch einen Raketeneinschlag getötet wurden. Russland attackierte die Ukraine mit einem massiven Angriff auf die zivile Infrastruktur, wodurch Millionen von Haushalten ohne Strom blieben. Unmittelbar nach dem Vorfall gab es Befürchtungen, dass es sich um eine neue Eskalation des Konflikts handeln könnte, doch am 16. November 2022 gab Polen bekannt, dass das Geschoss wahrscheinlich von der ukrainischen Luftabwehr stammte. Diese Theorie wurde dann auch von Washington bestätigt. © Wojtek Radwanski/Damien Simonart/afp
ein Werk des britischen Straßenkünstlers Banksy auf einer mit Schnee bedeckten Panzerabwehrkonstruktion
Auch Banksy besuchte die Ukraine inmitten des Krieges. Ein am 17. November 2022 aufgenommenes Foto zeigt ein Werk des britischen Straßenkünstlers auf einer mit Schnee bedeckten Panzerabwehrkonstruktion auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die Ukraine sich auf einen Winter des Krieges einstellen wird müssen. © Sergei Supinsky/afp
Dmitri Schewtschenko, Mitarbeiter von Rosenergoatom, inspiziert einen Tank mit destilliertem Wasser, um den Betrieb des vierten Blocks des Kernkraftwerks Saporischschja zu gewährleisten
Weitere harte Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur. Sogar Kernkraftwerke werden zum Ziel russischer Raketen. Dmitri Schewtschenko, Mitarbeiter von Rosenergoatom, inspiziert einen Tank mit destilliertem Wasser, um den Betrieb des vierten Blocks des Kernkraftwerks Saporischschja zu gewährleisten, der durch Beschuss im Zuge der russischen Militäroperation in der Ukraine in Enerhodar beschädigt wurde. © Alexey Kudenko/imago
Eine Frau spielt Gitarre in einer Kneipe während eines Stromausfalls in Lemberg am 2. Dezember 2022
Kleine Momente des Glücks im Wahnsinn des Krieges: Eine Frau spielt Gitarre in einer Kneipe während eines Stromausfalls in Lemberg am 2. Dezember 2022, als die Stadt nach den jüngsten massiven russischen Luftangriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur von einem geplanten Stromausfall betroffen ist. © Yuriy Dyachyshyn/afp
Hier trifft sie auf den Heiligen Mykola (Heiliger Nikolaus) am 19. Dezember 2022 in Cherson, inmitten der russischen Invasion in der Ukraine
Für einen Augenblick darf dieses Mädchen einfach Kind sein. Hier trifft sie auf den Heiligen Mykola (Heiliger Nikolaus) am 19. Dezember 2022 in Cherson, inmitten der russischen Invasion in der Ukraine © Dimitar Dilkoff/afp
Ukraine-Krieg - Jahrestag Kriegsbeginn- Kiew
Ukrainische Soldaten erinnern am 24. Februar 2023 an der Sophienkathedrale in Kiew an den Beginn des Ukraine-Kriegs ein Jahr zuvor. © Kay Nietfeld/dpa
Ukraine-Krieg - Orthodoxe Ostern in Saporischschja
Die kirchlichen Rituale werden in der Ukraine auch im April 2023 befolgt: Orthodoxe christliche Priester und Gläubige bei der Segnung der traditionellen Osterkörbe am Ostersonntag in der St. Nikolaus-Kirche in Saporischschja. © Andriy Andriyenko/dpa
Ukraine-Krieg - Ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes
Ukrainische Soldaten gestikulieren im September 2023 auf ihrem Bradley Fighting Vehicle (BFV) in der Frontstadt Orichiw. Aus ihrem amerikanischen Schützenpanzer berichten sie von schweren Gefechten. Seit Kriegsbeginn stand Orichiw unter ständigem Beschuss der russischen Armee. © Oliver Weiken/dpa
Ukraine-Krieg - Kupjansk
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte) wird am 30. November 2023 während eines Besuchs in einem Gefechtsstand an der Front in Kupjansk über die Kriegssituation informiert. © dpa
Lwiw
Auch im Dezember 2023 feiern die Menschen in der Ukraine Weihnachten. In Lwiw besuchen sie den Gottesdienst an Heiligabend und bereiten sich darauf vor, den ersten Weihnachtsfeiertag am 25. Dezember zu feiern.  © Yuriy Dyachyshyn/AFP
Ukraine-Krieg - Charkiw
Ein großer Haufen Trümmer mit Resten von russischen Raketen liegt in der Stadt Charkiw. In den frühen Morgenstunden des 15. Februar 2024 schlug eine russische Rakete in einem Wohngebiet von Chugugyv ein und tötete eine 67-jährige Frau. © Ximena Borrazas/dpa
Charkiw
Trotz Gesprächen über eine Waffenruhe dauert der Ukraine-Blick auch im Jahr 2025 weiter an. Charkiw steht mehrmals schwer unter russischem Beschuss. Das Kunstwerk „Kreuz des Friedens“ mit einem Kruzifix aus 20.000 Fragmenten russischer Artilleriegeschosse wurde vom amerikanisch-ukrainischen Künstler Sergey Melnikoff (besser bekannt als MFF) und dem ukrainischen Künstler Viktor Belchik geschaffen. © Sergey Bobok/AFP
Ukraine-Krieg - Sumy
Bei einem schweren russischen Luftschlag mit ballistischen Raketen gegen die Stadt Sumy kommen am Palmsonntag 2025 mehr als 30 Menschen ums Leben. Mehr als 100 Zivilpersonen werden verletzt. Unter den Toten sind auch Kinder. © Evgeniy Maloletka/dpa

Im Nahen Osten jedoch hatten die russischen Staatsmedien während der gesamten Ukraine-Krise uneingeschränkten Zugang zum Äther. Das ermöglichte es dem Kreml, sein Kriegs-Narrativ über regionale Medien zu verbreiten. Und Moskau kennt sein Publikum im Nahen Osten gut. Der Krieg wird routinemäßig als russische Herausforderung für die von den USA geführte hegemoniale Ordnung dargestellt. Dieses Argument kommt in vielen arabischen Hauptstädten gut an.

„Ukraine ist gezwungen, im Namen der Nato zu kämpfen“: Russland bestimmt die Schlagzeilen

Der arabische Nachrichtenaggregator Nabd beispielsweise veröffentlicht häufig Artikel auf RT Arabic. Die Desinformationsdatenbank der Europäischen Union bietet umfassende Aufzeichnungen von RT-Arabic-Sendngen an, die in regionalen Medien, auf Nabd und anderen Seiten gepostet werden. Die Schlagzeilen sind ebenso typisch wie anschaulich: „Der Westen und die USA sind nicht daran interessiert, die Ukraine zu unterstützen, sondern Russland zu schwächen“, „Washingtons Mission ist es, das Wachstum seiner europäischen und asiatischen Partner zu begrenzen“, „Die Ukraine ist gezwungen, im Namen der Nato zu kämpfen“, und so weiter. Diese aus Russland stammenden Artikel und sogar Karikaturen fanden schließlich ihren Weg in die arabischen Medien, ohne dass ihre Herkunft angegeben wurde.

Die Auswirkungen waren real und stark. In privaten Gesprächen mit arabischen Gesprächspartnern hörte ich immer wieder Anklänge an die beliebtesten Propagandasprüche des Kremls: Russland werde durch die NATO-Erweiterung provoziert; die Geschichte zwischen Russland und der Ukraine sei „kompliziert“; die Vereinigten Staaten, die ohne Grund in den Irak einmarschiert sind, hätten kein Recht, das russische Vorgehen in der Ukraine zu kritisieren.

Auf diplomatischer Ebene hat diese Stimmung zu wiederholten Wortmeldungen regionaler Beamter unter anderem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak geführt. Sie sprachen sich für friedliche Verhandlungen zur Lösung der Ukraine-Russland-Krise aus, ohne Russland per se für seine unprovozierte Aggression zu verurteilen. Ein weiteres Beispiel: Unmittelbar nach der Invasion veröffentlichte die Arabische Liga eine Erklärung, in der sie ihre „große Besorgnis“ über die Lage in der Ukraine zum Ausdruck brachte und zu „umfassenden Bemühungen um eine Lösung der Krise durch Dialog und Diplomatie“ aufrief, ohne Russland als Aggressor zu benennen.

Sympathie für Putins Position im Ukraine-Krieg könnte sogar noch wachsen

Auf wirtschaftlicher Ebene konnte Russland mit seiner Informationsoffensive arabische Hauptstädte davon überzeugen, sich nicht den westlichen Sanktionen anzuschließen. Einige Staaten des Nahen Ostens (vor allem die Türkei und die VAE) verzeichneten in einem Jahr, in dem der Westen auf Russlands Isolation drängte, sogar einen Anstieg ihres bilateralen Handels mit Moskau.

Wenn dies die Situation nach dem ersten Jahr des Krieges ist, kann man sich vorstellen, wie viel schlimmer sie sein wird, wenn der Krieg weitergeht. Den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ist es zwar weitgehend gelungen, die meisten Staats- und Regierungschefs der Welt bei der UN-Vollversammlung hinter sich zu bringen, und deshalb glauben sie, den Kampf um das Narrativ zu gewinnen. Aber in einem Großteil der Welt – einschließlich wichtiger Orte wie Indien, Südafrika und einem Großteil des Nahen Ostens – steht Russland besser da, als Sie wahrscheinlich denken. Und mit einem weiteren Jahr der Desinformation und Propaganda, getarnt als Nachrichten und Analysen, wird die Sympathie für Moskaus Position nur noch zunehmen.

Russlands Narrative sind im Nahen Osten (noch) stärker: Der Westen muss jetzt strategisch handeln

Der Ukraine zu einem Sieg auf dem Schlachtfeld zu verhelfen, ist der schnellste und sicherste Weg, um zu verhindern, dass Moskau in arabischen Herzen und Köpfen noch mehr Sympathien gewinnt. Der Westen stellt sich auf einen langen Krieg ein, und es gibt noch viel zu tun, um Russlands irreführender Darstellung entgegenzuwirken und gegen seine verzerrten Medien anzugehen. Der Westen muss die Initiative ergreifen, um der russischen Desinformation im Nahen Osten etwas entgegenzusetzen und der Region seine eigene Vision deutlich zu vermitteln.

Der Kampf um Narrative war schon immer untrennbarer Bestandteil der Kriegsführung. Bei den westlichen Bemühungen zur Unterstützung der Ukraine fehlt bisher ein wichtiger Faktor: Die wirksame Bekämpfung russischer Narrative außerhalb der liberalen Welt. Frühere EU-Praktiken zur Bekämpfung von Desinformation können nützlich sein. Das Rad muss also nicht völlig neu erfunden werden. Der Nahe Osten steht jedoch vor eigenen Herausforderungen.

So fehlen im Nahen Osten beispielsweise mehr als in Europa gute Ausbildungsprogramme für Journalisten und ein zuverlässiger Zugang zu externen Informationsressourcen. Hier könnte eine Aufstockung der Mittel für Sender wie VOA Arabic und BBC Arabic helfen, aber auch die wirksame Veröffentlichung westlicher und insbesondere ukrainischer Berichterstattung in den lokalen Medien. In der Tat hat die Region das ukrainische Narrativ noch nicht in dem Maße gehört wie das russische. Vor allem aber muss der Westen strategisch und langfristig denken. Die westlichen Staats- und Regierungschefs sprechen davon, Russland weltweit zu isolieren, aber sie können dieses Ziel nicht erreichen, ohne die Darstellung des Kremls dort zu diskreditieren, wo sie am meisten Anklang findet.

Von Anna Borshchevskaya

Anna Borshchevskaya ist Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy und Autorin von „Putin‘s War in Syria: Russian Foreign Policy and the Price of America’s Absence“. Twitter: @annaborsh

Dieser Artikel war zuerst am 23. März 2023 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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