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Warum Putins Desinformations-Maschinerie im Nahen Osten im Vorteil ist - und es wohl noch schlimmer wird
VonForeign Policy
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Der Nahe Osten hört Putins Ukraine-Narrative genau. Teils, weil Russland seine Propaganda-Kanäle gut pflegt. Thesen treffen zudem auf dankbares Publikum.
Mehr noch als in Europa trifft russische Desinformationen im Nahen Osten auf offene Ohren.
Das hat mit Russlands Propagandakanälen zu tun - aber auch mit historischen Ereignissen und Versäumnissen des Westens, argumentiert Expertin Anna Borshchevskaya.
Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 23. März 2023 das Magazin Foreign Policy.
Mehr als ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine besteht die Gruppe der direkt mit Moskau verbündeten Länder nach wie vor nur aus einer bunten Handvoll Lakaien und Vasallen, darunter Alexander Lukaschenkos Belarus und das Syrien von Baschar al-Assad. Nur sechs Länder stimmten bei der Generalversammlung zum Jahrestag des Einmarsches mit Moskau gegen die UN- Resolution, die den Rückzug Russlands forderte. 141 stimmten dafür. Gemessen daran waren die Bemühungen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Weltbühne zu isolieren, ein großer Erfolg.
Aber solche Stimmen können täuschen. Der Nahe Osten ist ein Paradebeispiel dafür. Gespräche mit Eliten in vielen Hauptstädten des Nahen Ostens – mit einflussreichen Diplomaten, Regierungsbeamten, Journalisten und Geschäftsleuten – zeigen eine überraschende Wertschätzung für Russlands Position, einschließlich Sympathie für Putins Argument, Russland sei zum Handeln gezwungen gewesen, um eine Einkreisung durch die NATO zu vermeiden. Darüber hinaus ergab der von der in Dubai ansässigen PR-Beratungsfirma ASDA‘A BCW durchgeführte „Arab Youth Survey 2022“, dass mehr junge Araber (im Alter von 18 bis 24 Jahren) den Vereinigten Staaten und der NATO und nicht Russland die Schuld am Krieg in der Ukraine geben.
Russland fällt es leichter als den USA, Macht auszuüben: Washington hat Vertrauen verloren
Es gibt mehrere Gründe, warum so viele von Washingtons traditionellen Freunden im Nahen Osten dem Ukraine-Krieg bestenfalls ambivalent gegenüberstehen. Dies hat zum Teil mit dem Gefühl zu tun, von den Vereinigten Staaten in der Stunde der Not im Stich gelassen worden zu sein – eine häufige Klage der Saudis und Emiratis, die wie die Ukraine Opfer iranischer Drohnen wurden, aber ihrer Ansicht nach nicht die gleiche massive Unterstützung der USA erhalten haben.
Einige beziehen sich auf die Tatsache, dass Washington – das vor einer Generation bereit war, mehr als eine halbe Million US-Soldaten, Matrosen und Flieger zur Befreiung Kuwaits zu entsenden – es heute als schwere Aufgabe ansieht, Waffen und Munition zu schicken, um die Ukrainer in ihrem eigenen Kampf zu unterstützen. Das deutet aus ihrer Sicht darauf hin, dass die Vereinigten Staaten kaum jemals wieder ihre jungen Männer und Frauen zum Schutz eines fernen arabischen Staates schicken würden.
Das ist zum Teil auf die Wahrnehmung zurückzuführen, dass es Russland leichter fällt, Macht auszuüben als Washington. Ein Beweis dafür ist Putins Bereitschaft, seinen Verbündeten in Damaskus zu unterstützen. Der frühere US-Präsident Barack Obama hatte sich gegen die Anwendung von Gewalt gesträubt, obwohl er versprochen hatte, Syrien für den Einsatz chemischer Waffen gegen unschuldige Zivilisten zu bestrafen.
Putins Desinformation ist allgegenwärtig: Moskau kennt sein Publikum gut
Und besonders in Kairoer Salons kommt eine Art Nostalgie für die Tage auf, in denen Russland der Hauptlieferant von Waffen war. Damals, vor Jahrzehnten, war Ägypten noch ein arabisches Schwergewicht. Diese Ideen sind jedoch nicht von allein entstanden. Was diese Ideen in der arabischen Welt so populär gemacht hat, ist die Allgegenwärtigkeit der russischen Desinformationskanäle.
Bereits Jahre vor dem Einmarsch in der Ukraine haben sich die staatlichen russischen Medien RT Arabic und Sputnik Arabic als wichtige Quellen für seriöse regionale Nachrichten im Nahen Osten hervorgetan. Im Westen hatten die Schwestersender von RT und Sputnik nie das gleiche Maß an Glaubwürdigkeit. Mit Beginn des Krieges wurden sie entweder komplett verboten, wie es RT in Großbritannien erging, oder sie entschieden sich, den Betrieb aufgrund „unvorhergesehener Geschäftsunterbrechungen“ einzustellen. Das war beispielsweise bei RT America der Fall, nachdem der Satellitenfernsehanbieter DirecTV und das Streaming-Unternehmen Roku dem Sender 2022 die Unterstützung entzogen hatten.
Bilder des Ukraine-Kriegs: Großes Grauen und kleine Momente des Glücks
Im Nahen Osten jedoch hatten die russischen Staatsmedien während der gesamten Ukraine-Krise uneingeschränkten Zugang zum Äther. Das ermöglichte es dem Kreml, sein Kriegs-Narrativ über regionale Medien zu verbreiten. Und Moskau kennt sein Publikum im Nahen Osten gut. Der Krieg wird routinemäßig als russische Herausforderung für die von den USA geführte hegemoniale Ordnung dargestellt. Dieses Argument kommt in vielen arabischen Hauptstädten gut an.
„Ukraine ist gezwungen, im Namen der Nato zu kämpfen“: Russland bestimmt die Schlagzeilen
Der arabische Nachrichtenaggregator Nabd beispielsweise veröffentlicht häufig Artikel auf RT Arabic. Die Desinformationsdatenbank der Europäischen Union bietet umfassende Aufzeichnungen von RT-Arabic-Sendngen an, die in regionalen Medien, auf Nabd und anderen Seiten gepostet werden. Die Schlagzeilen sind ebenso typisch wie anschaulich: „Der Westen und die USA sind nicht daran interessiert, die Ukraine zu unterstützen, sondern Russland zu schwächen“, „Washingtons Mission ist es, das Wachstum seiner europäischen und asiatischen Partner zu begrenzen“, „Die Ukraine ist gezwungen, im Namen der Nato zu kämpfen“, und so weiter. Diese aus Russland stammenden Artikel und sogar Karikaturen fanden schließlich ihren Weg in die arabischen Medien, ohne dass ihre Herkunft angegeben wurde.
Die Auswirkungen waren real und stark. In privaten Gesprächen mit arabischen Gesprächspartnern hörte ich immer wieder Anklänge an die beliebtesten Propagandasprüche des Kremls: Russland werde durch die NATO-Erweiterung provoziert; die Geschichte zwischen Russland und der Ukraine sei „kompliziert“; die Vereinigten Staaten, die ohne Grund in den Irak einmarschiert sind, hätten kein Recht, das russische Vorgehen in der Ukraine zu kritisieren.
Auf diplomatischer Ebene hat diese Stimmung zu wiederholten Wortmeldungen regionaler Beamter unter anderem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak geführt. Sie sprachen sich für friedliche Verhandlungen zur Lösung der Ukraine-Russland-Krise aus, ohne Russland per se für seine unprovozierte Aggression zu verurteilen. Ein weiteres Beispiel: Unmittelbar nach der Invasion veröffentlichte die Arabische Liga eine Erklärung, in der sie ihre „große Besorgnis“ über die Lage in der Ukraine zum Ausdruck brachte und zu „umfassenden Bemühungen um eine Lösung der Krise durch Dialog und Diplomatie“ aufrief, ohne Russland als Aggressor zu benennen.
Sympathie für Putins Position im Ukraine-Krieg könnte sogar noch wachsen
Auf wirtschaftlicher Ebene konnte Russland mit seiner Informationsoffensive arabische Hauptstädte davon überzeugen, sich nicht den westlichen Sanktionen anzuschließen. Einige Staaten des Nahen Ostens (vor allem die Türkei und die VAE) verzeichneten in einem Jahr, in dem der Westen auf Russlands Isolation drängte, sogar einen Anstieg ihres bilateralen Handels mit Moskau.
Wenn dies die Situation nach dem ersten Jahr des Krieges ist, kann man sich vorstellen, wie viel schlimmer sie sein wird, wenn der Krieg weitergeht. Den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ist es zwar weitgehend gelungen, die meisten Staats- und Regierungschefs der Welt bei der UN-Vollversammlung hinter sich zu bringen, und deshalb glauben sie, den Kampf um das Narrativ zu gewinnen. Aber in einem Großteil der Welt – einschließlich wichtiger Orte wie Indien, Südafrika und einem Großteil des Nahen Ostens – steht Russland besser da, als Sie wahrscheinlich denken. Und mit einem weiteren Jahr der Desinformation und Propaganda, getarnt als Nachrichten und Analysen, wird die Sympathie für Moskaus Position nur noch zunehmen.
Russlands Narrative sind im Nahen Osten (noch) stärker: Der Westen muss jetzt strategisch handeln
Der Ukraine zu einem Sieg auf dem Schlachtfeld zu verhelfen, ist der schnellste und sicherste Weg, um zu verhindern, dass Moskau in arabischen Herzen und Köpfen noch mehr Sympathien gewinnt. Der Westen stellt sich auf einen langen Krieg ein, und es gibt noch viel zu tun, um Russlands irreführender Darstellung entgegenzuwirken und gegen seine verzerrten Medien anzugehen. Der Westen muss die Initiative ergreifen, um der russischen Desinformation im Nahen Osten etwas entgegenzusetzen und der Region seine eigene Vision deutlich zu vermitteln.
Der Kampf um Narrative war schon immer untrennbarer Bestandteil der Kriegsführung. Bei den westlichen Bemühungen zur Unterstützung der Ukraine fehlt bisher ein wichtiger Faktor: Die wirksame Bekämpfung russischer Narrative außerhalb der liberalen Welt. Frühere EU-Praktiken zur Bekämpfung von Desinformation können nützlich sein. Das Rad muss also nicht völlig neu erfunden werden. Der Nahe Osten steht jedoch vor eigenen Herausforderungen.
So fehlen im Nahen Osten beispielsweise mehr als in Europa gute Ausbildungsprogramme für Journalisten und ein zuverlässiger Zugang zu externen Informationsressourcen. Hier könnte eine Aufstockung der Mittel für Sender wie VOA Arabic und BBC Arabic helfen, aber auch die wirksame Veröffentlichung westlicher und insbesondere ukrainischer Berichterstattung in den lokalen Medien. In der Tat hat die Region das ukrainische Narrativ noch nicht in dem Maße gehört wie das russische. Vor allem aber muss der Westen strategisch und langfristig denken. Die westlichen Staats- und Regierungschefs sprechen davon, Russland weltweit zu isolieren, aber sie können dieses Ziel nicht erreichen, ohne die Darstellung des Kremls dort zu diskreditieren, wo sie am meisten Anklang findet.
Von Anna Borshchevskaya
Anna Borshchevskaya ist Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy und Autorin von „Putin‘s War in Syria: Russian Foreign Policy and the Price of America’s Absence“. Twitter: @annaborsh
Dieser Artikel war zuerst am 23. März 2023 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.