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Angriff auf Kinderkrankenhaus in Kiew verstört auch China – Regierung ist „zutiefst beunruhigt“
VonMarcus Giebel
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Der UN-Sicherheitsrat kommt wegen des Luftangriffs auf eine Kinderklinik in Kiew zusammen. Dabei äußert sich neben Russland auch China.
New York – Der Ukraine-Krieg flutet die Welt mit Schreckensmeldungen und grausamen Bildern. Gefühlt in Endlosschleife. Damit der UN-Sicherheitsrat wegen der russischen Angriffe zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommt, ist daher schon deutlich mehr nötig als die längst alltäglichen Luftangriffe auf zivile Einrichtungen und damit die Bevölkerung der Ukraine.
Der Angriff auf die Kinderklinik Ochmatdyt in Kiew mit zwei Toten, einer zweistelligen Anzahl an Verletzten und vielen um ihre weitere Behandlung bangenden kleinen Patienten war so ein Anlass. Bei dem Treffen in New York drückte mit China auch der wichtigste Verbündete Moskaus und damit auch von Kreml-Chef Wladimir Putin sein Missfallen über die Entwicklung in diesem Krieg aus.
Angriff auf Kinderklinik Thema bei den UN: China zeigt sich „zutiefst beunruhigt“
Geng Shuang als stellvertretender Ständiger Vertreter des Riesenreichs im Gremium sprach von einer „ernsten humanitären Krise mit enormen Auswirkungen“. Die Kämpfe seien noch intensiver geworden, „was zu schweren Verlusten geführt hat“. Peking dürfte wie Moskau zu Beginn der Invasion davon ausgegangen sein, dass Kiew Putin gleich in den ersten Tagen in die Hände fallen würde. Stattdessen wird seit mehr als zwei Jahren erbarmungslos um jeden Meter Boden gekämpft und scheinbar alles zerbombt, was in Reichweite der Raketen steht oder kommt.
Weiter führte Geng aus, ohne Russland wirklich als Aggressor zu benennen: „China ist zutiefst beunruhigt und wir bekräftigen unseren Aufruf an die Konfliktparteien, Rationalität und Zurückhaltung zu üben, das Völkerrecht einzuhalten und ihr Möglichstes zu tun, um zivile Opfer zu vermeiden.“ Im Vordergrund müsse nun eine Deeskalation stehen, wobei drei Prinzipien zu gelten hätten: „Keine Ausweitung des Schlachtfeldes, keine Eskalation der Kämpfe und kein Anfachen der Flammen durch irgendeine Partei.“
Letzteres könnte auch als Hinweis an den Westen verstanden werden, nicht zu riskieren, mit zusätzlichen Waffenlieferungen an Kiew den Krieg auf eine noch höhere Stufe zu heben. Zuletzt hatte etwa die Bereitschaft der USA und von Deutschland, der Ukraine zu erlauben, mit den Waffen auch russisches Territorium anzugreifen, weitere Drohungen aus dem Kreml hervorgerufen.
Putins Zirkel der Macht im Kreml – die Vertrauten des russischen Präsidenten
Schwere Vorwürfe aus USA in Richtung Russland: „Ukrainische Jugend ihrer Zukunft und Identität beraubt“
Linda Thomas-Greenfield als Ständige Vertreterin der USA im UN-Sicherheitsrat wurde erwartungsgemäß deutlicher und nannte den Angriff auf die Kinderklinik „eine brutale Attacke“, die jedoch „kaum ein eigenständiger Vorfall“ gewesen sei. So habe Russland bereits mehrmals medizinische Einrichtungen ins Visier genommen.
„Es ist Fakt, dass im ganzen Land hunderte Kinder getötet, tausende verwundet und Millionen vertrieben werden, während Russland seine Terror-Kampagne in der Ukraine fortsetzt“, legte sie nach: „Und dann gibt es noch die Kinder, die von Russland deportiert oder zwangsumgesiedelt wurden, um die ukrainische Jugend nicht nur ihrer Zukunft, sondern auch ihrer Identität zu berauben.“
Zugleich betonte die US-Amerikanerin auch, dass Russland nicht nur Ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrat ist, sondern aktuell auch den Vorsitz innehat. Wassili Nebensja als russischer UN-Botschafter und Ständiger Vertreter war also in die Defensive gedrängt und saß im Grunde auf der Anklagebank.
Russland hat eigene Theorie für Einschlag in Kinderklinik: „Von Korruption der Kiewer Regierung ablenken“
Er gestand immerhin zu, dass „das Thema des angeblichen russischen Angriffs auf das Kinderkrankenhaus“, der Anlass für das Zusammenkommen war, „kein sehr erfreuliches Thema“ sei. Allerdings beharrte er auf dem Standpunkt, dass Fotos und Videos aufzeigen würden, es habe sich um eine Rakete der ukrainischen Luftabwehr gehandelt, die das Gebäude getroffen habe.
Nebensja ging sogar in die Offensive: „Hier erleben sie die Magie der verbalen Gymnastik der westlichen Mitglieder des Sicherheitsrates, die mit allen Mitteln versuchen, das Kiewer Regime zu schützen.“ Wie verlogen die Vorwürfe in Richtung Russland seien, sei mit bloßem Auge zu erkennen, führte er fort.
Zudem lieferte Nebensja auch die Erklärung für seine Theorie. Die Aufmerksamkeit sollte seiner Meinung nach auf den Beschuss gelenkt werden, um „die Massen von der täglichen Gesetzlosigkeit und Korruption der Regierung abzulenken“.
Woher kam Rakete auf Kinderkrankenhaus: Russland und UN-Menschenrechtsbüro widersprechen sich
Die vielen zivilen Opfer des Kriegs der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Schuhe zu schieben, gehört schon lange zur russischen Taktik im Krieg. Allerdings kam das UN-Menschenrechtsbüro UNHCHR zu der vorläufigen Einschätzung, für den Einschlag im Kinderkrankenhaus sei eine russische Rakete des Typs Kh-101 verantwortlich gewesen.
Dennoch ist fraglich, ob Moskau wirkliche Konsequenzen drohen, sollte die Schuld einwandfrei bewiesen werden können. Im Weltsicherheitsrat besitzt Russland ein Vetorecht, womit es sich vor einem Vorgehen des mächtigsten UN-Gremiums schützen kann. Auch dass russische Führungspersonen aus dem Zirkel um Putin jemals vor einem Kriegsgericht landen werden, erscheint aktuell utopisch.
Ist sich keiner Schuld bewusst: Wassili Nebensja als Russlands Ständiger Vertreter im UN-Sicherheitsrat sieht die Verantwortung für die Zerstörung des Kinderkrankenhauses bei der Ukraine.
Arzt schildert Einschlag in Kinderkrankenhaus: „Kinder und Erwachsene schrien und weinten“
Der UN-Sitzung zugeschaltet war Wolodymyr Schownir. Der Herzchirurg und Anästhesist des Kinderkrankenhauses gab Einblicke in die Momente des Einschlags: „Um 10.42 Uhr spürten wir eine gewaltige Explosion. Der Boden bebte, die Wände wackelten, sowohl Kinder als auch Erwachsene schrien und weinten vor Angst und Schmerz… es war wie in der Hölle.“
Für ihn ist ein Angriff auf eine Kinderklinik, in der todkranke Mädchen und Jungen behandelt werden, „nicht nur ein Kriegsverbrechen, es geht weit über jede Grenze von Menschlichkeit hinaus“. Womit sich die Attacke in äußerst schlechter Gesellschaft befindet, denn Zivilisten leben in der Ukraine seit Kriegsbeginn nicht mehr sicher. Weder am Tag noch in der Nacht.
Ukraine und die Folgen des Kriegs: Rund 40 Prozent der Bevölkerung benötigen humanitäre Hilfe
Das unterstrichen auch die Zahlen, die Joyce Msuya als amtierende UN-Nothilfekoordinatorin in die Runde brachte. „Die Angriffe wurden seit dem Frühjahr intensiviert“, betonte die Mikrobiologin aus Tansania.
Vom Beginn der russischen Invasion bis zum 30. Juni 2024 hat der auf Menschenrechte spezialisierte UNHCHR 11.284 tote und 22.594 verletzte Zivilisten infolge des Konflikts gezählt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO listete demnach 1878 Angriffe im Zusammenhang mit Gesundheitseinrichtungen, Personal, Transport, Versorgung und Patienten auf.
Bislang benötigen laut Msuya 14,6 Millionen Menschen – das sind 40 Prozent der ukrainischen Bevölkerung – in irgendeiner Form humanitäre Hilfe. Besorgt zeigte sie sich im Zusammenhang mit dem möglichen Zugang zu den 1,5 Millionen Menschen in den von Russland besetzten und völkerrechtswidrig annektierten Gebieten Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja.
Ukraine-Krieg nach Angriff auf Kinderklinik: „Keine Anzeichen für Abschwächung der Feindseligkeiten“
Wie für alle anderen Menschen nahe der Front gehe es auch um Gesundheitsfürsorge, Medizin, Essen und sauberes Trinkwasser. Auch warb sie für finanzielle Unterstützung: „Um den Einsatz in einem immer komplexeren und gefährlicheren Umfeld aufrechtzuerhalten, brauchen wir dringend Spender, um die Finanzierung der humanitären Hilfe zu beschleunigen.“
Dabei schaut Msuya auch schon weiter voraus: „Umso mehr, da ein weiterer Winter naht und es keine Anzeichen für eine Abschwächung der Feindseligkeiten oder ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur gibt.“ Bevor die kalte Jahreszeit wieder Einzug hält, werden noch Unmengen an Luftangriffen auf die Ukraine niedergehen. Das ist traurige wie tödliche Gewissheit. (mg)