„Eigene Entourage vergrätzt“

Showdown in Frankreich: Wie es Le Pen mit Russland hält – und warum Putin schon Grund zur Freude hat

  • Florian Naumann
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Die Wahl-Entscheidung in Frankreich naht. Schon vor den Ergebnissen ist klar: Emmanuel Macron ist geschwächt. Nebulöser sind Le Pens Bande zu Putin.

Emmanuel Macrons Neuwahl-Poker sei zu einer „spektakulären Fehlzündung“ geworden, schrieb der Sender France24 am Sonntagabend. Und tatsächlich: Sollte Frankreichs Präsident gehofft haben, nach der Europawahl ein Signal des Rückenwinds von den Franzosen zu erhalten – dann hat er sich getäuscht. Marine Le Pens hart rechtes Rassemblement National (RN) trug in der ersten Runde der Neuwahl den Sieg davon. Und auch die schnell geschmiedete linke „Volksfront“ verwies Macrons Getreue auf die Plätze.

Nun ist die Sorge in Europa groß. Jedenfalls unter all denen, die es nicht mit den neuen Rechtspopulisten halten. Der Wahl-Ausgang könnte Konsequenzen für den Ukraine-Krieg haben. Und er könnte Frankreich in ungekannte Turbulenzen stürzen. Zwei Kernfragen vor der Stichwahl: Wie werden es Le Pens Getreue mit Russland halten? Und wie wird Macron auf den mutmaßlichen Verlust seiner Mehrheitsoptionen in der Nationalversammlung reagieren? Eine Expertin hat im Gespräch mit IPPEN.MEDIA Antworten gegeben.

Marine Le Pen und Wladimir Putin: Ist die Distanzierung echt?

Es ist nicht allzu lange her, dass sich Marine Le Pen gerne mit Wladimir Putin zeigte: Im März 2017 etwa war sie im Kreml zu Gast. Zu dieser Zeit, knapp fünf Jahre vor Russlands Überfall auf die Ukraine, reisten natürlich auch andere Politiker nach Russland. Dass der russische Präsident Oppositionspolitiker empfängt, ist aber bemerkenswert, zumal kurz vor französischen Präsidentschaftswahlen. Le Pen trat damals gegen Macron an – und versprach ein Referendum über einen Nato-Austritt. Die Bande von Le Pens Partei nach Russland reich(t)en aber weiter.

Im Jahr 2014 flossen gut neun Millionen Euro von einer russischen Kleinbank an den „Front National“ (FN), so der damalige Name der Partei. Russland war nach der Krim-Annexion auf der Suche nach neuen Partnern. Le Pen verwies später darauf, dass schlicht keine europäische Bank habe Geld geben wollen. Mittlerweile sei der Kredit zurückgezahlt, betonte die Rechte im Mai 2023 vor einem Untersuchungsausschuss – die Anhörung bezeichnete sie als „Hexenjagd“.

Marine Le Pen und Wladimir Putin 2017 im Kreml.

Dass die Sache damit tatsächlich erledigt ist, scheint fraglich: Ein Leak der Webseite Mediapart zeigte 2023 einen heißen Draht zwischen Moskau und RN: Von einer „Beispielerklärung“ aus Russland für eine Rede in Sachen Ukraine des FN-Europaabgeordneten Jean-Luc Schaffhauser im Jahr 2014 ist darin die Rede. Schaffhauser hatte den Kredit mit eingefädelt. Auch von aus russischem Geld bezahlten Flügen nach Russland – oder davon, dass Putins „Sonderrepräsentant“ Alexander Babakow dem FN Kontakte vermittelte. Mediapart hatte von ukrainischen Hackern Mails Babakows zugespielt bekommen. RN-Vertreter dementierten die Inhalte des Berichts nicht.

Blieben die Dienste ohne Gegenleistung? Ein Parlamentspapier, über das das Portal Euractiv berichtete, verweist etwa auf Le Pens Widerstand gegen einen Waffenlieferungsstopp an Russland im Jahr 2015. Und noch im Untersuchungsausschuss habe Le Pen „die offizielle Sprache des Putin-Regimes wortwörtlich“ aufgegriffen. Gleichwohl sei die prorussische Haltung mittlerweile „aufgeweicht“.

„Marine Le Pen sucht nicht mehr so stark die Nähe Putins. Sie hat sich auch deutlicher als zum Beispiel die extreme Linke von La France Insoumise gegen Russlands Angriff gestellt“, sagt auch die Frankreich-Expertin Ronja Kempin unserer Redaktion. Von einem Ukraine-„Krieg“ spreche Le Pen zwar nicht – sie verurteile aber „den Angriff Russlands gegen die territoriale Souveränität der Ukraine“. Möglicherweise spielt dabei aber auch Taktik eine Rolle. „Man muss sie als eine Politikerin sehen, die ein sehr genaues Gespür dafür hat, was politisch opportun ist, was nötig ist, um sich immer wieder anschlussfähig an einen gewissen politischen Mainstream zu bleiben“, sagt Kempin.

Macron nach der Frankreich-Wahl in Nöten: Auch die „Entourage“ ist „vergrätzt“

Für Macron ist die Haltung des Rassemblement zu Russland ein Randaspekt – wenngleich ein wichtiger: Macron zählt jedenfalls politisch zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine in der EU. Die Vorstöße aus Frankreich gehen auch Verbündeten teils zu weit. Macrons Sorgen sind aber größer: Verliert er die Unterstützung im Parlament, sind seine Möglichkeiten stark eingeschränkt. „Cohabitation“ nennt man in Frankreich diese Konstellation. Wird sich Macron nun zurückhalten, um politische Fehlschläge und Zwist auf großer Bühne zu vermeiden?

„Macron ist jemand, der sich schwer zurückhalten kann oder zurückhalten lässt“, sagt Kempin. „Wenn er eine Idee hat, dann geht er damit auch an die Öffentlichkeit.“ Auch wenn ihm viele seiner Berater nun mutmaßlich anderes raten. Macron falle es wohl schwer, einzusehen, dass er bereits geschwächt ist – unabhängig vom Ausgang der Stichwahl. Tatsächlich aber seien Mehrheiten wohl nur noch mit ungeliebten Partnern möglich. Und: Selbst im eigenen Lager gebe es Unmut. „In Macrons eigener Entourage sind die Minister vergrätzt, weil er sie auf eine ganz unsichere Reise geschickt hat.“

Marine Le Pen hat Frankreich-Wahl 2027 im Blick – trotz Ausschluss

Frankreich: Rassemblement National von Marine Le Pen.
In Frankreich ist der Rassemblement National unter Marine Le Pen (im Bild) in den vergangenen Jahren zu einer führenden Kraft aufgestiegen. So feierte der RN bei der Europawahl 2024 einen klaren Erfolg.  © François Lo Presti/afp
Europawahl - Frankreich
Das starke Ergebnis der rechtsnationalen Partei veranlasste den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron anschließend dazu, das Parlament aufzulösen.  © Ludovic Marin/dpa
Jean-Marie Le Pen
Die Geschichte des Rassemblement National begann Anfang der Siebziger. Am 5. Oktober 1972 gründeten Jean-Marie Le Pen (hier eine Aufnahme von 2022) und Pierre Bousquet die rechtsextreme Splittergruppe Front National.  © Joel Saget/afp
1. Mai in Paris
Der 1928 geborene Le Pen (hier ein Bild von 2017) tat sich früh als Demagoge hervor, der mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurde und den Holocaust als ein „Detail der Geschichte“ abtat. Bousquet (1919 bis 1991) war ein ehemaliger Kollaborateur, der als Rottenführer in der Waffen-SS gedient hatte. Fremdenfeindliche Parolen waren über viele Jahre Markenzeichen der Partei. © Thibault Camus/dpa
Jean-Marie Le Pen
In den 1980er Jahren wurde der FN bei zwei Parlamentswahlen hintereinander mit mindestens einem Abgeordneten in die Nationalversammlung gewählt. Der Durchbruch gelang im Jahr 2002, als Jean-Marie Le Pen als Zweitplatzierter aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hervorging.  © Joel Saget/afp
Le Pen
Es kam zur Stichwahl, die der amtierende Präsident Jacques Chirac deutlich gewann. Fünf Jahre später verlor Le Pen viele Stimmen und schied im ersten Wahlgang aus.  © Joel Saget/AFP
Marine Le Pen
Einen großen Einschnitt gab es im Januar 2011. Der FN ging nach einem Führungswechsel andere Wege. Die neue Parteivorsitzende trug allerdings einen bekannten Namen: Marine Le Pen. Die studierte Juristin kam 1968 nahe Paris als jüngste Tochter Jean-Marie Le Pens zur Welt.  © Bernard Patrick/Imago
Marine Le Pen/dpa
Mit acht Jahren wurde sie von einer Bombenexplosion aus dem Schlaf gerissen – es handelte sich um einen Anschlag auf ihren Vater. Die Mutter dreier Kinder arbeitete als Anwältin und führte zunächst die Rechtsabteilung der Front National. Ihre zwei Ehen gingen auseinander. © Pascal Pavani
Jean-Marie Le Pen
Marine Le Pen bemüht sich seither, der einst radikal rechten Partei einen moderateren Anstrich zu verpassen. Das ging mit einer Entmachtung ihres Vaters einher.  © Kenzo Tribouillard/afp
Le Pen
Im April und Mai 2015 eskalierten die schon länger bestehenden Spannungen zwischen der Parteivorsitzenden und ihrem Vater. Am 20. August 2015 wurde Jean-Marie Le Pen wegen „schwerer Verfehlungen“ aus der Partei ausgeschlossen.  © Kenzo Tribouillard/AFP
Le Pen Bannon
Anderseits suchte Le Pen im Jahr 2018 die Nähe des früheren Trump-Beraters Steve Bannon. Damals firmierte die rechtsextreme Partei noch unter dem Namen Front National. Später verpasste Le Pen ihr aber einen neuen Namen: Seither ist die Partei als Rasseblement National bekannt. © Philippe Huguen/AFP
Marine Le Pen
Seither ist es Marine Le Pen gelungen, aus der Schmuddelecke zu kommen und sich als staatstragende Politikerin zu inszenieren. Ihre Strategie ist als „Dédiabolisation“ (Entteufelung) bekannt.  © Francois Nascimbeni/AFP
Marine Le Pen
Le Pen verbannte das alte rassistische Vokabular und gibt mittlerweile eher bedachte Worte von sich. Le Pens Kurs hat , in den vergangenen Jahren bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht.  © Thomas Samson/afp
Marine Le Pen
Die dreimalige Präsidentschaftskandidatin drängte zwar offenen Rassismus zurück, vertritt aber weiter radikale Positionen gegen Einwanderung. Ihre Vorstellungen für Frankreich bleiben auch heute noch deutlich rechts und nationalistisch.  © Ali Al-Daher/AFP
Olga Givernet
Zudem zeigen Studienergebnisse, dass im RN der Antisemitismus noch immer weit verbreitet ist. Die Renaissance-Parlamentarierin Olga Givernet (im Bild) reagierte entsprechend: „Der RN hat ein sauberes Schaufenster, aber die Küche dahinter ist immer noch schmutzig wie eh.“ © Niviere David/Imago
Marine Le Pen mit André Ventura und Tino Chrupalla
In ihrem Bemühen um Salonfähigkeit hat sich Marine Le Pen auch von der deutschen AfD abgegrenzt. Die gilt selbst für RN-Leute als zu extremistisch. Im November 2023 war das noch anders: Beim Treffen rechter Gruppen in Lissabon stand sie noch in einer Reihe neben dem portugiesischen Chega-Politiker André Ventura (Mitte) und AfD-Co-Chef Tino Chrupalla. © Paulo Spranger/Imago
Le Pen zu Besuch bei Putin
Zum Ukraine-Krieg vertreten RN und AfD hingegen nach wie vor sehr ähnliche Positionen. So lehnt Marine Le Pen jegliche Wirtschaftssanktionen gegen das Russland von Präsident Wladmir Putin ab. © Mikhail Klimentyev/dpa
Gabriel Attal
Waffenlieferungen für die Ukraine bedeuten für Le Pen das „Risiko eines dritten Weltkriegs“. Premierminister Gabriel Attal (im Bild) konterte in einer Ukraine-Debatte im Februar 2024: „Wenn Sie 2022 gewählt worden wären, würden wir heute Waffen nach Russland liefern, um die Ukrainer zu zermalmen.“  © Ludovic Marin/afp
Marine Le Pen und Wladimir Putin
Tatsächlich stand in Le Pens Präsidentschaftsprogramm von 2022 der folgende Satz: „Ohne Furcht vor amerikanischen Sanktionen wird eine Allianz mit Russland in gewissen Themen angestrebt.“ Trotzdem wollte sich der RN im Wahlkampf ein wenig von Putin absetzen. Die Partei ließ damals 1,2 Millionen Wahlkampfplakate vernichten, die ein Bild von Marine Le Pen beim Händeschütteln mit Putin zeigten. © Emmanuel Dunand/afp
Marine Le Pen
Zu Russland hat sie dennoch ein wesentlich besseres Verhältnis als zu Deutschland. Die deutsch-französische Partnerschaft will sie rasch beenden. Zwischen Berlin und Paris bestehe eine „tiefe und unheilbare Differenz der Doktrinen“, heißt es in Le Pens Programm. Das Nato-Kommando würde sie nach einem Wahlsieg 2027 verlassen. An dessen Stelle wünscht sich Le Pen für Europa ein russisch-französisches Kommando. © Lou Benoist/afp
Emmanuel Macron
Ohnehin richtet sich der Blick in Frankreich schon längst auf die Präsidentschaftswahl 2027. Nach zwei Amtszeiten kann Emmanuel Macron, der Le Pen zweimal in der Stichwahl besiegte, nicht mehr antreten.  © Sebastien Dupuy/AFP
Marine Le Pen
Wer eine Chance gegen Le Pen hätte, ist unklar. Doch im März 2025 kam dann die vorläufige Wende: Wegen der Veruntreuung von EU-Geld schloss ein Gericht Le Pen verurteilt. Der umstrittenste Teil der Strafe ist, dass sie fünf Jahre lang nicht bei Wahlen antreten darf.  © Guillaume Souvant/afp
Protestkundgebung des Rassemblement National
Diese Strafe war sofort in Kraft getreten – anders als eine teils auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe und obwohl Le Pen gegen das Urteil Berufung einlegte. Das Berufungsgericht hat eine Entscheidung im Sommer 2026 ins Auge gefasst.  © Julien De Rosa/dpa
Marine Le Pen
Le Pen wandte sich dann an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch das Straßburger Gericht wies ihren Antrag, den gegen sie verhängten vorläufigen Ausschluss von Wahlen auszusetzen, einstimmig ab, da Le Pen keinerlei nicht wiedergutzumachende Beeinträchtigung drohe, die durch die Menschenrechtskonvention geschützt sei. © Lionel Bonaventure/AFP
Le Pen sieht Bardella als möglichen Präsidentschaftskandidat
Inzwischen hat Le Pen ihren politischen Ziehsohn Jordan Bardella aufgefordert, sich auf eine Kandidatur vorzubereiten – für den Fall, dass sie selbst nicht antreten kann. Noch ist aber offen, wen der RN bei der Präsidentschaftswahl 2027 ins Rennen schicken wird. Die Frage, wer in den ehrwürdigen Élysée-Palast einziehen wird, bleibt damit völlig offen.  © Michel Euler/dpa

Ein erster Eklat ist bereits bei Frankreichs Nominierung für die EU-Kommission möglich. Macron will wieder seinen Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton ins Rennen schicken – das RN droht, diese Entscheidung rückgängig zu machen. „Wir müssen also damit rechnen, dass es in Frankreich nicht zu einer konstruktiven Kooperation kommt, sondern zu einer Konfrontation“, warnt Kempin. „Das ist eine Situation, die das Land so noch nicht hatte – und in der beide Seiten versuchen werden, für sich selbst maximal Kapital herauszuschlagen.“

Schon dieser Zustand der Zerstrittenheit könnte einen freuen: Wladimir Putin. Eine etwaige Entsendung französischer Militärausbilder in die Ukraine etwa könnte das Parlament nach einer Vier-Wochen-Frist einkassieren. Und ein in seiner Handlungsfähigkeit stark eingeschränktes Frankreich dürfte dem Kreml zupass kommen. Paris habe eine Sonderrolle in der EU-Sicherheitspolitik und der Nato, erinnert Kempin. „Es hat einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, es verfügt über Nuklearwaffen.“ Und: Es ist das „militärisch stärkste Land in Europa“. (fn)

Rubriklistenbild: © Mikhail Klimentyev/POOL SPUTNIK KREMLIN/AP/dpa