„Aus alten Denkschemata befreien“

Radikale Migrationswende: BAMF-Chef spricht offen – „lädt zu Missbrauch ein“

  • Richard Strobl
    VonRichard Strobl
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Ein neues Asylsystem könnte Migration nachhaltig steuern. BAMF-Chef Sommer fordert ein Umdenken und schlägt eine radikale Migrationswende vor.

Update vom 1. April, 12.05 Uhr: Der Vorstoß des BAMF-Chefs hat zu Forderungen nach personellen Konsequenzen geführt. „Solche öffentlichen Äußerungen eines Behördenchefs widersprechen seiner Verantwortung“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner dem Handelsblatt (Ausgabe von heute). Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wies seine Vorschläge klar zurück. Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger forderte seinen Rücktritt.

„Zynisches Asylsystem lädt zu Missbrauch ein“: BAMF-Chef schlägt radikal andere Migrations-Strategie vor

Erstmeldung: Berlin – Friedrich Merz ringt noch mit der SPD um die Zukunft der Migration in Deutschland. Da kommt ein radikaler Vorstoß von unerwarteter Stelle: Hans-Eckhard Sommer, der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), schlägt einen kompletten Bruch des bisherigen Systems vor.

Migrations-Knall aus dem Bundesamt für Flüchtlinge: „Zynisches Asylsystem lädt zu Missbrauch ein“

Sommer sieht einen radikalen Kurswechsel als notwendig an, um die Migration nachhaltig zu steuern und zu begrenzen. In einer Rede bei einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zur Zukunft des Asylrechts äußerte er, dass es ein Fehler sei, am individuellen Asylrecht festzuhalten und auf positive Effekte der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu hoffen. Sommer sagte laut Bild wörtlich: „Unser zynisches Asylsystem erlaubt keine Begrenzung der Migration. Es lädt regelrecht zu Missbrauch ein“.

Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller, das bestehende System durch humanitäre Aufnahmen „in beachtlicher Höhe“ zu ersetzen. Dabei könnten neben humanitären Aspekten auch die Integrationsfähigkeit des Arbeitsmarktes berücksichtigt werden. Personen, die dennoch unerlaubt nach Deutschland einreisen, hätten dann keine Aussicht mehr auf ein Bleiberecht.

Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, hat sich für ein radikal anderes Asylsystem ausgesprochen.

Merz ringt um Migration: BAMF-Chef schlägt radikalen Systemwechsel vor

Ist das machbar? Sommer betonte, dass Gesetze und Verträge veränderbar seien. „Politik kann vieles, wenn sie nur will“, erklärte er auf die Frage einer Teilnehmerin zur Umsetzbarkeit seiner Vorschläge. Er wies darauf hin, dass sich die Mehrheitsverhältnisse auf europäischer Ebene zuletzt verändert hätten und auch internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention anpassbar seien. Man müsse sich „aus alten Denkschemata befreien“, forderte er. Angesichts des Aufstiegs populistischer und rechtsextremer Parteien in Europa dürfe man nicht ignorieren, dass der demokratische Rechtsstaat „an diesem Thema auch zugrunde gehen kann“.

Er stellte klar, dass er seine Ausführungen nicht als Bamf-Präsident, sondern als Ausdruck seiner „persönlichen Einschätzung“ und als Zusammenfassung seiner Erfahrungen präsentiere.

Migrations-Wende? BAMF-Chef zeigt radikal anderes System vor

Das derzeitige europäische System bezeichnete Sommer als zynisch, da es vor allem junge Männer aus der Mittelschicht anziehe, während Frauen, Kranke und Familien oft keine Möglichkeit hätten, nach Europa zu gelangen. Die Forderung nach „Schutz der Grenzen“ zeige lediglich Hilflosigkeit. Die Idee, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, sei aus seiner Sicht „keine realistische Option“.

Im Jahr 2024 stellten in Deutschland insgesamt 229.751 Menschen erstmals einen Asylantrag, ergänzt durch 21.194 Asylfolgeanträge. Die Zahl der Erstanträge sank im Vergleich zum Vorjahr um 30,2 Prozent. Eine wesentliche Ursache für diesen Rückgang sei die faktische Sperrung der Route nach Ungarn durch Serbien im November 2023, so Sommer. Ob diese Situation dauerhaft bestehen bleibe, sei ungewiss. (dpa)

Rubriklistenbild: © dpa/ Julian Stratenschulte//dpa/ Anne-Béatrice Clasmann