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Eine Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin wird in Moskau auf einer Videoleinwand übertragen (Bild vom 23. Februar 2024).

Ukraine-Krieg

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn: Stilisiert sich Putin als „unberechenbarer, starker Mann“?

  • VonBettina Menzel
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Niemand kann in Putins Kopf blicken. US-Präsident Biden stellte jüngst jedoch eine Vermutung an und nannte ihn einen „verrückten Mistkerl“. Doch welches Image verfolgt der Kremlchef selbst?

Moskau – Der Ukraine-Krieg läuft seit zwei Jahren. Offenbar wendet sich das Blatt für Russland: Munitionsmangel und ein Rückgang der Unterstützung aus dem Westen schwächen die Ukraine. Zuletzt gelang Moskau mit der Einnahme Awdijiwkas ein symbolischer Sieg – pünktlich zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im März. Der russische Präsident Wladimir Putin stilisiert sich zunehmend als unberechenbarer Machthaber, als der er im Westen wahrgenommen wird.

Putins Image der Stärke durch Wagner-Aufstand und Nawalny-Tod angekratzt?

Es muss einiges geschehen, um von einem in der Diplomatie bewanderten US-Präsidenten öffentlich als „verrückter Mistkerl“ bezeichnet zu werden. So geschehen auf einer Wahlkampfveranstaltung in dieser Woche, als Joe Biden den russischen Präsidenten wörtlich einen „crazy son of a bitch“ nannte. Putin habe nach zwei Jahren Krieg das „Bild eines unberechenbaren starken Mannes“ voll und ganz angenommen, der bereit ist, seinen Konflikt mit dem Westen zu eskalieren, kommentierte Anton Troianovski Redaktionsleiter des Moskau-Büros der New York Times, in einem Artikel den Vorfall am Freitag.

Nicht zum ersten Mal wird Putin von US-Medien als sogenannter „Strongman“ bezeichnet. Wörtlich übersetzt handelt es sich bei einem solchen um einen starken Mann oder einen Muskelmann, allerdings wird der Begriff häufig als Bezeichnung für einen Diktator gleichgesetzt.

Doch in der Vergangenheit wurde dem russischen Präsidenten auch bereits mehrfach Schwäche attestiert. Nach dem Bekanntwerden des Todes des Hoffnungsträgers der russischen Opposition, Alexei Nawalny, etwa sagte US-Außenminister Antony Blinken, dies unterstreiche „nur die Schwäche und Fäulnis im Herzen des Systems, das Putin aufgebaut hat.“ Für andere Politikbeobachter war die Meuterei der Wagner-Gruppe eine Kehrtwende: Bis dahin habe Putin immer noch das Bild eines klugen, manipulierenden, starken Mannes genossen, der seine Chancen geschickt absichere, analysierte etwa Foreign Policy.

Mit Hinblick auf den Wagner-Aufstand versprach Putin Vergeltung für dieses „Messer im Rücken.“ Um die Meuterei dann aber unter Kontrolle zu bringen, brach er sein Wort, als er die Rebellierenden straffrei davonkommen ließ. Dies habe viele Russen verärgert, so Foreign Policy im Juni. „Putin ist durch diese Affäre für alle Zeiten geschwächt worden“, kommentierte der ehemalige US-Botschafter in der Ukraine, John Herbst, die Meuterei auf CNN.

Wirkt Meuterei noch nach? „Habe Putin lange nicht so selbstbewusst gesehen“

Doch die Meuterei scheint längst vergessen, Prigoschin ist tot und der Ukraine-Krieg entwickelte sich zuletzt immer mehr zugunsten Russlands. Schon bei einer Rede im vergangenen Dezember trat der Kremlchef dann entsprechend auf und wetterte auch gegen die Nato. „Ich habe Putin lange nicht so selbstbewusst gesehen und so vor Kraft strotzend wie in dieser Pressekonferenz“, analysierte der ehemalige Nato-General Erhard Bühler damals in seinem Podcast „Was tun, Herr General?“. Dieses Auftreten zeige auch in Russland Wirkung, so Bühler weiter. Der Militärexperte Sönke Neitzel ergänzte, dass Putin offenbar sicher sei, dass die Zeit für ihn arbeite. Damit spielte Neitzel auch auf die mühsamen und zögerlichen Waffenlieferungen aus dem Westen an.

Russland innenpolitisch geschwächt: Arbeitskräftemangel und Kriegsmüdigkeit

Immerhin die innenpolitische Schwäche Russlands liefert Anlass für vorsichtigen Optimismus: Die Wirtschaft leidet unter Arbeitskräftemangel, die Bevölkerung schrumpft und westlichen Schätzungen zufolge wurden bisher etwa 350.000 russische Soldaten getötet oder verletzt. Das Wort Kriegsmüdigkeit dürfte mittlerweile wohl auch der russischen Bevölkerung geläufig sein. Ausdruck verliehen dem zuletzt etwa protestierende Frauen und Mütter, die Moskau aufforderten, ihre Ehemänner und Sohne aus dem Krieg heimzuholen.

Ebenso die Tausenden von Menschen, die stundenlang in der Kälte in Schlangen anstanden, um dem Oppositionellen und Kriegsgegner Boris Nadeschdin ihre Unterschrift zu geben. Dies sei für viele Menschen eine Möglichkeit, „ihre Unzufriedenheit“ zum Ausdruck zu bringen, „ohne Angst vor einer Festnahme [...] haben zu müssen“, sagte etwa der 19-jährige Student Iwan Semjonow der Nachrichtenagentur AFP.

Laut dem Gegenkandidaten Nadeschdin sei Putins Macht schwächer, als es auf den ersten Blick scheine. Die Sicherheit, Stabilität und der gesteigerte Wohlstand, die lange Zeit Putins Verkaufsargument nach dem Chaos der 1990er Jahre waren, schwinden alle, sagte der Oppositionelle laut New York Times und ergänzte: „Dieses Regime ist historisch zum Scheitern verurteilt.“

Wahlen in Russland: Oppositionelle rufen zu Aktion „Mittags gegen Putin“ auf

Doch Totgesagte leben länger, heißt es. Nadeschdin ließ man nicht zur Wahl zu, Putins Wiederwahl ist sicher. „Die Wahlen – und Wladimir Putins hohes Ergebnis bei diesen Wahlen – sollen Putins Politik und die ‚Sondermilitäroperation‘ durch Wahlen legitimieren“, sagte der Kremltreue Konstantin Remtschukow in einem Telefoninterview mit der New York Times. Erhielte Putin 70 oder 80 Prozent der Stimmen, würde das eine Zustimmung zu dieser Politik bedeuten, so Remtschukow.

Zwar habe der Kremlchef Wirtschaft, Medien und Wahlsystem in seiner Macht, doch eine entscheidende Schwachstelle gebe es: Putins Legitimität, kommentierte der Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski unlängst in einem Bild-Gastbeitrag. Die Lösung: Der Westen müsse Härte zeigen und dürfe die Präsidentschaft nicht oder nur verspätet anerkennen, forderte der Oppositionelle. Die Bevölkerung Russlands rief er indes dazu auf, sich am 17. März an der Protestaktion „Mittags gegen Putin“ zu beteiligen.