Rüstungskontrolle
Neuer Schreckschuss für Ukraine-Verbündete: Putin steigt aus Vertrag gegen Atomwaffentests aus
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Wladimir Putin hat seine Ratifizierung des weltweiten Vertrags über das Verbot von Atomwaffentests zurückgezogen. Die USA verurteilen den Schritt scharf.
Moskau - Schock im Westen: Der russische Präsident Wladimir Putin hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Ratifizierung eines wichtigen Atomabkommens durch Russland aufhebt und dem Kreml die Möglichkeit eröffnet, neue Atomwaffentests durchzuführen. Der Schritt ist jetzt von den USA und der Organisation, die sich für die Einhaltung des wegweisenden Rüstungskontrollpakts einsetzt, verurteilt worden.
Putin hatte zuvor erklärt, die Rücknahme der russischen Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) von 1996 sei ein Schritt, der lediglich die Position der Vereinigten Staaten widerspiegele, die den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert haben.
Ausstieg aus New Start: Russland rechtfertigt den Schritt mit Versagen der USA
Der Widerruf war bereits am Montag (30. Oktober) einstimmig von Unter- und Oberhaus des russischen Parlaments gebilligt worden, bevor er zur endgültigen Genehmigung an Putin weitergeleitet wurde. Dieser unterzeichnete ihn am Donnerstag (2. November), wie staatliche russische Nachrichtenagenturen berichteten. Russische Beamte erklärten sogleich, dass der Ausstieg aus dem Vertrag nicht bedeute, dass der Kreml die Atomtests wieder aufnehmen werde. Man ziehe dies nur in Erwägung, falls die USA sich ebenfalls dazu entschließen würden. Das berichtet das US-Nachrichtenmagazin Politico. Dennoch habe Moskaus Entscheidung hat bei Analysten einige Bedenken hervorgerufen.
Was sind die START-Verträge?
Die START-Verträge (Strategic Arms Reduction Treaty) sind bilaterale Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zur Begrenzung und Reduzierung strategischer Atomwaffen. Sie wurden erstmals 1991 unterzeichnet und haben das Ziel, die Anzahl der nuklearen Waffen zu verringern und die Transparenz und Verifikation der Abrüstungsmaßnahmen zu verbessern. Die Verträge sind wichtige Instrumente zur Förderung der nuklearen Sicherheit und Stabilität zwischen den beiden Ländern.
Es gab insgesamt drei START-Verträge zwischen den Vereinigten Staaten und Russland:
START I: Dieser Vertrag wurde 1991 unterzeichnet und trat 1994 in Kraft. Er begrenzte die Anzahl der strategischen Nuklearwaffen auf beiden Seiten und führte zu umfangreichen Inspektionen und Verifikationsmaßnahmen.
START II: Dieser Vertrag wurde 1993 unterzeichnet, aber nie vollständig ratifiziert. Er sah eine weitere Reduzierung der nuklearen Arsenale vor, einschließlich der Eliminierung von Mehrfachsprengköpfen und Interkontinentalraketen.
New START: Dieser Vertrag wurde 2010 unterzeichnet und trat 2011 in Kraft. Er löste den START I-Vertrag ab und begrenzt die Anzahl der strategischen Nuklearwaffen auf beiden Seiten. New START wurde im Februar 2021 um weitere fünf Jahre verlängert.
Bereits im August 2022 hatte das russische Außenministerium bekannt gegeben, dass es Kontrollen von Atomwaffenbeständen im Rahmen des New START-Vertrags vorerst aussetzen werde. Begründet worden war der Schritt damit, dass die russischen Inspekteure aufgrund der Sanktionen gegen russische Flugzeuge in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg nicht in die USA fliegen könnten. Daher würde eine Wiederaufnahme der US-Inspektionen auf russischem Gebiet den Amerikanern einen Vorteil verschaffen. Zunächst hieß es noch, man wolle sich trotzdem weiter an New START halten. Am 21. Februar 2023 setzte Wladimir Putin die Teilnahme aus. Gleichzeitig erklärte er, man wolle sich weiter an die Obergrenzen für nukleare Trägersysteme halten.
Putin „nicht bereit“ über Kernwaffentests zu sprechen - Trotz häufiger nuklearer Drohungen
Im Oktober dieses Jahres sagte Putin, er sei „nicht bereit“, darüber zu sprechen, ob Russland Atomtests durchführen werde oder nicht. „In der Regel“ so würden Experten sagen, müsse „man bei einer neuen Waffe sicherstellen, dass der spezielle Sprengkopf ohne Fehler funktioniert.“ Eine neue Waffe hatte der russische Machthaber bereits im Juli medienwirksam angekündigt. Die Interkontinentalrakete RS-28 Sarmat wurde Anfang September in Dienst gestellt.
Zudem hat Putin dem Westen seit Beginn der russischen Invasion und des Ukraine-Kriegs immer wieder unverhohlene nukleare Drohungen ausgesprochen. Dabei verwies Russland wiederholt darauf, dass man das größte Atomwaffenareal der Welt habe. Auch hat der russische Machthaber veranlasst, dass Atomwaffen im an die NATO-Länder Polen, Litauen und Lettland grenzenden Belarus stationiert werden. Ebenfalls im Oktober hatte die Chefredakteurin des staatlich finanzierten russischen Senders RT mit ihrer Äußerung für Furore gesorgt, Moskau solle als Warnung für den Westen eine Atombombe über Sibirien zünden. Die Äußerung hatte der Kreml jedoch entschieden zurückgewiesen.
USA sind beunruhigt: „Vertrauen in das internationale Rüstungskontrollregime“ wird geschwächt
Die Aufhebung des CTBT-Vertrags bereitet der US-Regierung daher große Sorgen. Der Schritt sei zwar erwartet worden, stelle aber einen Beweis für die starke Abkühlung zwischen den USA und Russland angesichts des Krieges in der Ukraine dar. Die Beziehungen beider Länder befänden sich auf dem tiefsten Stand seit der Kubakrise 1962, so die britische Zeitung The Guardian. Washington bezeichnete die russische Entscheidung als einen Schritt in die falsche Richtung. „Russlands Vorgehen wird nur dazu dienen, das Vertrauen in das internationale Rüstungskontrollregime zu schwächen“, so US-Außenminister Antony Blinken in einer Erklärung.
Was ist der CTBT-Vertrag?
Der umfassende Kernwaffenteststopp-Vertrag (engl.: Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty), der „alle nuklearen Explosionen, ob zu militärischen oder friedlichen Zwecken“ verbietet, wurde von 187 Ländern unterzeichnet und von 178 ratifiziert. Russland hatte den Vertrag ursprünglich im Jahr 2000 ratifiziert. Die USA sind eines von mehreren Ländern, die das Verbot nie ratifiziert haben. Auch andere Atommächte wie China, Indien und Pakistan haben den Vertrag nie bestätigt.
Mit dem Vertrag wurde ein weltweites Netz von Beobachtungsposten eingerichtet, die den Schall, die Schockwellen oder den radioaktiven Niederschlag einer Nuklearexplosion aufspüren können.
Moskau behauptet derweil, dass seine Aufkündigung des Abkommens lediglich dazu dient, Russland mit den Vereinigten Staaten in Einklang zu bringen, die den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert haben. Russland werde die Atomtests nicht wieder aufnehmen, solange Washington dies nicht tue. Auch werde der Schritt die nukleare Haltung Russlands oder die Art und Weise, in der es Informationen über seine nuklearen Aktivitäten weitergibt, nicht verändern. Schließlich bleibe Moskau ein Vertragsunterzeichner.
Organisation zur Rüstungskontrolle verurteilte den Schritt - Fortschritte bei Abrüstung in Gefahr
Robert Floyd, Leiter der Organisation für das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban-Treaty Organization), verurteilte den Schritt Russlands. Aufgabe der Organisation ist es, die Anerkennung des Vertrags zu fördern und sein Verifizierungssystem aufzubauen, um sicherzustellen, dass keine Atomtests unentdeckt bleiben. „Die heutige Entscheidung der Russischen Föderation, ihre Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen zu widerrufen, ist sehr enttäuschend und zutiefst bedauerlich“, so Floyd auf X (früher: Twitter).
Außer Nordkorea hat in diesem Jahrhundert noch kein Land einen Kernwaffentest durchgeführt. Das postsowjetische Russland hat noch nie einen Atomtest durchgeführt. Die Sowjetunion testete zuletzt 1990 und die Vereinigten Staaten 1992. Ein erneuter Test durch eine nukleare Supermacht würde einen der wichtigsten Fortschritte bei der Nichtverbreitung seit dem Kalten Krieg zunichtemachen. (tpn)
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