Analyse

Sachsen und Thüringen: „Hier sind die Wählerinnen und Wähler das Problem“

  • Moritz Maier
    VonMoritz Maier
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Populistische Parolen feiern bei den Landtagswahlen Konjunktur. Einer Expertin greift Kritik nur an den Parteien aber deutlich zu kurz. Die Wähler stehen auch in der Verantwortung.

Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen waren geprägt vom Fokus auf bundes- und weltweite Themen, die wenig mit der Landespolitik zu tun hatten. Dieser Trend zu einfachen Antworten auf komplexe Fragen wurde von vielen Parteien, einschließlich AfD, BSW und CDU aufgegriffen. Silke van Dyk, Professorin für Soziologie an der Universität Jena, bemerkt, dass sich „inzwischen fast alle demokratischen Parteien von der AfD treiben lassen“.

AFD und BSW treten radikal auf und sind erfolgreich

Die starken Hochrechnungen der AfD in beiden Bundesländern war für die Wissenschaftlerin keine Überraschung. Sie war jedoch erstaunt darüber, wie „schnell und radikal das BSW der Linken das Wasser abgraben konnte“. Van Dyk bemerkt, dass die BSW-Mitglieder seit der Gründung der Partei deutlich radikalere Positionen einnehmen als zu den Zeiten von Wagenknecht in der Linken. Die Verschiebung des BSW nach rechts habe der Linken jedoch nicht geholfen: „Viele sind von der Rechnung ausgegangen ‚je weiter nach rechts das BWS rückt, desto weniger schadet es der Linken‘. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.“

Sahra Wagenknecht und Björn Höcke von BSW und AfD sind große Gewinner der Landtagswahlen. Wenden sich künftig immer mehr Menschen von der klassischen politischen Mitte ab?

Die Professorin stellt fest, dass nicht nur das BSW, sondern auch andere Parteien in Thüringen und Sachsen mit großen sozial- und außenpolitischen Themen punkteten. „Beim Thema Russland und der Frage nach Frieden wurde deutlich, dass Parteien in diesen Wahlen Fragen in den Fokus rückten, die wirklich nichts mit Landespolitik zu tun haben“. Sie fügt hinzu: „Man muss sich fragen: Geht es den Menschen bei einer solchen Landtagswahl überhaupt noch um die Frage, was Landespolitiker verändern können? Oder sind die Landtagswahlen einfach zu einer Bühne für ganz andere Fragen geworden?“

Populismus hat bei sozialen Themen Konjunktur

Van Dyk beobachtet eine Verschiebung der politischen Narrative über Parteigrenzen hinweg. „Nicht nur die Reaktionen auf den Anschlag von Solingen zeigen, dass sich inzwischen fast alle demokratischen Parteien von der AfD treiben lassen. Es ist hochgradig populistisch, wie die Frage der inneren Sicherheit alles andere verdrängt, insbesondere Menschenrechte und soziale Sicherheit“. Sie betont, dass dies nicht bedeute, dass innere Sicherheit unwichtig sei. „Aber in der aktuellen Debatte wird innere Sicherheit zum Substitut für soziale Sicherheit.“

Die Expertin kritisiert in dieser Hinsicht auch Teile der Diskussionen, die nach der Wahl von Politik und Medien geführt wurden. „Apropos innere Sicherheit: Hat irgendjemand am langen Wahlabend eigentlich mal die Frage aufgeworfen, wie es um die Sicherheit derjenigen bestellt ist, gegen die sich die AfD-Hetze richtet?“

Wenig Parteienbindung in Thüringen und Sachsen

Die Wahlen haben vor allem die traditionell sozialstaatsorientierten Parteien wie SPD, Grüne und Linke hart getroffen. Van Dyk stellt fest, dass kaum eine Partei sich von der Verwendung populistischer Narrative, insbesondere beim Thema Migration, freisprechen kann. Die Wahlen verdeutlichen eine Verschiebung der Parteienlandschaft in beiden Bundesländern, weg von den etablierten Parteien hin zu neuen Akteuren wie der AfD und dem BSW.

Die Professorin, die selbst in Thüringen lehrt, bemerkt eine geringere Parteienbindung in den neueren Bundesländern. „Auf kommunaler Ebene wirkt sich das Verschwinden vieler etablierter Parteien besonders drastisch aus: Unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten werden immer häufiger und versprechen pragmatische, lokale Politik“. Sie sieht eine potenzielle Gefahr in dieser Entwicklung. „Sie können sich zwar vor Ort für eine andere Abwasserversorgung oder ein neues Jugendzentrum einsetzen, sind aber nicht mehr in ein größeres Parteisetting eingebunden. Damit fehlt dann oft aber auch die Vermittlung anderer Themen, zum Beispiel Antirassismus neben Abwasser.“

Verantwortung für Wähler

Van Dyk glaubt, dass eine konsequentere Politik, die den Menschen vor Ort spürbare Verbesserungen bringt, ein Weg sein könnte, um das Vertrauen in die etablierten Parteien wiederherzustellen. „Bessere Sozial- und Infrastrukturpolitik wäre zumindest die Voraussetzung dafür, auch in strukturschwachen Regionen wieder Vertrauen herzustellen. Es braucht eine Politik, die Menschen offener für Veränderungen, zum Beispiel in der Klimapolitik, macht.“

Die Professorin prangert aber auch an, alle Verantwortung auf die Politik der Parteien zu schieben. „In einer demokratischen Gesellschaft sollte es nicht nur Parteienkritik geben, sondern auch Wählerkritik. Davon ist leider nirgends etwas zu lesen und hören“. Sie fügt hinzu: „Mehr als 30 Prozent derjenigen, die in Thüringen ihre Stimme abgegeben haben, haben einen Rechtsradikalen gewählt. Mann muss die Ampelregierung nicht lieben, um einmal zu sagen: Hier sind die Wählerinnen und Wähler das Problem. Und nicht die Ampel.“

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