Bandenkriege

Angst vor „schwedischen Verhältnissen“: Wie Skandinavien gegen Clankriminalität vorgeht

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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In Schweden eskaliert die Bandenkriminalität. Die Nachbarländer betrachten das Land als warnendes Beispiel. Dort habe man vor allem einen großen politischen Fehler begangen, sagen Experten.

Oslo – Schweden scheint so perfekt, dass es manchmal fast nervt: Das Land hat die glücklichsten Einwohner, tolle Designer, mit dem Geld klappt‘s auch prima und dann haben sie zu allem Überfluss auch noch eine sympathische Königsfamilie, die jeder liebt. Schweden ist immer wieder Vorbild, in vielen Punkten. Wenn man allerdings in Norwegen von „schwedischen Verhältnissen“ spricht, dann heißt das nichts Gutes, weiß Tobias Etzold, der am Norwegian Institute of International Affairs (Nupi) in Oslo forscht: „Schwedische Verhältnisse will man hier unbedingt vermeiden.“ Denn damit ist eine gefährliche Entwicklung gemeint, die in kaum einem europäischen Land so gravierend ist wie in Schweden.

Gewalt durch Clankriminalität eskaliert in Schweden: 13-Jähriger stirbt nach Kopfschuss

Denn in Schweden eskaliert die Gewalt durch kriminelle Clans. Auf den Straßen gibt es regelrechte Bandenkriege, im Jahr 2022 wurden so viele Menschen in Schweden durch Schüsse getötet, wie nie zuvor. Sehr oft hatten Opfer und Täter Verbindungen zum Clan-Milieu. Im September wurden im Umland der Hauptstadt Stockholm und der Unistadt Uppsala innerhalb von wenigen Tagen sieben Menschen erschossen. Ein Fall, der besonders erschütterte: die Ermordung des erst 13 Jahre alten Milo. Die Täter hatten ihm in den Kopf geschossen.

Clans mit kurdisch-libanesischen und somalischen Wurzeln beherrschen die Banden-Szene

In Schweden beherrschen vor allem Clans mit libanesisch-kurdischen Wurzeln, die in den 1980er Jahren nach Schweden kamen, und somalische Banden die Szene. Die heutige Situation sei das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung, sagt Nupi-Experte Tobias Etzold. „Schweden hat im Vergleich zu den anderen nordischen Ländern eine andere Migrationspolitik gehabt. Es galt lange eine sehr offene Willkommenskultur.“ Die Einwanderung wurde über Jahre nur sehr wenig gesteuert – und damit wurden viele Menschen, die als Geflüchtete kamen und wenig Perspektiven hatten, sich selbst überlassen.

Tobias Etzold forscht am Norwegian Institute of International Affairs in Oslo.

Ghettoisierung im Umland schwedischer Großstädte: „Politik hat wenig dagegengewirkt“

Schweden gelte den anderen nordischen Ländern in diesem Punkt als warnendes Beispiel dafür, was passieren könne, wenn man Migration nur wenig steuere, so Etzold: „Ein Problem in Schweden sind die sehr hohen Mieten und der begrenzte Wohnraum in den Städten. Viele Migranten, die sich das nicht leisten konnten, waren gezwungen, in die Vorstädte zu ziehen.“ In Schweden gibt es nur wenige Ballungsräume, viele siedelten sich im Umfeld der größeren Städte an. „Das alles hat zu einer Ghettoisierung geführt, die Politik hat wenig dagegengewirkt“, so Etzold.  

In Dänemark und Norwegen gibt es kaum Clankriminalität

In den Nachbarländern sieht das anders aus. Clankriminalität wie in Schweden kennt man dort kaum. „Dänemark und auch Norwegen haben immer schon eine restriktivere Migrationspolitik gehabt. Und man achtet hier sehr darauf, ankommende Menschen eher zu verteilen, damit eben keine Ghettoisierung stattfindet.“ Vor allem Dänemark fährt seit Jahren einen sehr harten Kurs bei der Einwanderung: Es gibt nur selten Familiennachzug, Asylbewerber bekommen oft nur Sachleistungen und müssen in Sammellagern ausharren, bis über die Asylanträge entschieden ist. Die dänische Bevölkerung begrüßt den Kurs, Kritik kommt indes unter anderem immer wieder von der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR und der EU-Kommission, die das Vorgehen Dänemarks zuletzt als „egoistisch“ und „kontraproduktiv“ bezeichnet hatte.

Polizei in Schweden testet neue Modelle im Kampf gegen kriminelle Clans

Abseits der politischen Debatten arbeiten Schwedens Sicherheitsbehörden an Lösungen. So will Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson gar Militärkräfte im Kampf gegen die Clans einsetzen. Unterdessen will die Polizei direkte Kontakte zu den Oberhäuptern der Clans aufbauen, erklärte Erika Hallenbo von der Polizei in Göteborg bei einem Kongress zum Thema Clankriminalität in Düsseldorf. „Wir wollen den Clan-Chefs klarmachen: Wir wissen, wer du bist und was du machst“, so Hallenbo. Gleichzeitig wolle man so die Strukturen verstehen lernen und in eine aktive Kommunikation mit den Clans treten. Außerdem setzt Schweden mehr auf Prävention. Dabei dient das NRW-Projekt „Kurve kriegen“, das vor allem Jugendliche aus dem kriminellen Milieu holen soll, als Vorbild: In mehreren Städten, darunter auch Göteborg, ist ein ähnliches Projekt unter dem Namen „Rätt Kurva“ („richtige Kurve“) gestartet. Auch in den Niederlanden wird Bandenkriminalität zu einem immer größeren Problem: Kriminelle Clans sind dort vor allem im Kokain-Handel aktiv.

Transparenzhinweis: Ippen.Media wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.

Rubriklistenbild: © Johan Nilsson/dpa