Hofft auf Munition für den Gepard aus der Schweiz: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
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Zögern am Panzer: Kanzler Olaf Scholz.

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Scholz hat (zu) lange gezögert - Nun könnte Südkorea Europas Panzermarkt aufmischen

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Deutschland hat sich selbst eine Grube gegraben. Nun suchen die Verteidigungspartner nach Alternativen in Sachen Rüstung.

  • (Auf)rüstung ist im Ukraine-Krieg plötzlich wieder ein großes Thema.
  • Deutschland hat bei Panzerlieferungen lange gezögert - und könnte damit mögliche Rüstungskäufer verschreckt haben.
  • Experte Blake Herzinger sieht nun die Möglichkeit, dass Südkorea den Panzermarkt in Europa durcheinaderwirbelt.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 30. Januar 2023 das Magazin Foreign Policy.

Washington, D.C. - Deutschland ist nach wie vor der viertgrößte Geber für die ukrainische Verteidigung. Aber das Zögern von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei den Leopard-2-Panzern - dem Standard-Kampfpanzer in den meisten europäischen Ländern - beherrscht die Schlagzeilen auch nach der Lieferzusage. Das Einlenken nach langem Zögern hat den Eindruck einer unentschlossenen und unwilligen deutschen Regierung hinterlassen, die sich schwer tut, selbst in Fragen der europäischen Sicherheit die Führung zu übernehmen.

Während Deutschland seit langem ein Partner für die Beschaffung von Verteidigungsgütern für seine europäischen Nachbarn ist, haben die letzten Wochen und Monate das Vertrauen der Kunden erschüttert. Es besteht der Eindruck, dass Berlins konfuse Verteidigungspolitik und schwache Führung eine strategische Belastung sind. Daher suchen Länder nun nach anderen Optionen für die Beschaffung von Verteidigungsgütern.

Panzer-Frage im Ukraine-Krieg: Hat Scholz Deutschland Rüstungskunden verprellt?

Die Nutzer des Leopard 2, insbesondere diejenigen, die mit einer russischen Bedrohung direkt vor ihrer Haustür konfrontiert sind, stellen sich nach den Possen der letzten Wochen die Frage, ob es weise ist, bei einem Schlüsselelement ihrer Bodentruppen von Berlin abhängig zu sein. Und der deutsch-französische Plan, einen Ersatz für den französischen Kampfpanzer Leclerc und den Leopard 2 zu entwickeln, könnte von einer lähmenden Bürokratie gebremst werden. Dadurch wird das geplante Hauptbodenkampfsystem zu einer unattraktiven Perspektive für die zukünftigen Streitkräftestrukturen der Nationen. Aber es gibt keine anderen nennenswerten europäischen Panzerproduktionslinien. Die Leopard-Panzervarianten scheinen also die einzige Option zu bleiben.

Es ist jedoch eine weitere Panzerproduktionslinie in Europa geplant. Die südkoreanischen Unternehmen Hyundai Rotem und Hanwha Defense haben im Jahr 2022 umfangreiche Rüstungsaufträge von Polen erhalten, darunter einen Vertrag über 1.000 Kampfpanzer K2 und 672 Panzerhaubitzen K9. 180 Panzer werden zwischen 2022 und 2025 in Südkorea gebaut, die restlichen 820 werden bis 2026 in Polen in Betrieb genommen. Sie werden nach polnischer Spezifikation unter der Bezeichnung K2PL gebaut, wobei die ersten 180 Panzer später auf den K2PL-Standard aufgerüstet werden sollen.

Für Warschau hat das koreanische Geschäft mehrere Vorteile: Die Panzer stehen wesentlich schneller und zu einem wettbewerbsfähigen Preis bereit, als sie das deutsche Unternehmen Rheinmetall liefern kann. Gleichzeitig wird aber auch der polnischen Wunsch nach Technologietransfer erfüllt, um die eigene Verteidigungsindustrie zu stärken.

Panzer auf einmal wieder ein großes Thema: Nicht nur Polen blickt nach Südkorea

Das Bestreben, Fremdes zu etwas Eigenem zu machen, ist Südkorea vertraut. Das Land begann 1995 mit dem XK2-Programm, um das koreanische Panzerprogramm von den aus den USA stammenden Plattformen unabhängig zu machen. Der Entwurf erreichte 2007 das Prototypenstadium, und nach Abschluss strenger Tests und Bewertungen schloss Südkorea 2014 einen Vertrag über den Verkauf der ersten K2-Panzer ab. Auch wenn einige den K2 als weniger ausgereifte Leopard-2-Imitation abgetan haben, ist er doch ein Kampfpanzer von Weltrang, dessen Fähigkeiten im Allgemeinen mit denen der besten Panzer aus europäischer Produktion vergleichbar sind. In der Tat hat er sich in Versuchen im Wettbewerb mit dem Leopard 2 gut geschlagen.

Aber es geht nicht nur um Polen. Der türkische Altay-Kampfpanzer ist ein K2-Derivat, und Staaten wie die Slowakei haben sich mit Südkorea in Verbindung gesetzt, um Optionen für den Ersatz ihrer alten T-72-Panzer zu diskutieren. Viele der veralteten, noch in Osteuropa stehenden Panzer aus der Sowjet-Ära wurden bereits an die Ukraine geliefert - K2-basierte Konstruktionen könnten für mehrere Staaten eine gute Wahl bei der Aufrüstung und Diversifizierung ihrer Verteidigung sein.

Auch Norwegen hatte den K2 in der engeren Auswahl und verglich ihn mit dem Leopard 2A7, bevor der norwegische Verteidigungschef im vergangenen Jahr empfahl, die Kampfpanzer im norwegischen Militär abzuschaffen. Diese ist Frage noch ungeklärt. Aber Norwegen hat zusammen mit Polen im Rahmen eines 180-Millionen-Dollar-Vertrags 28 Panzerhaubitzen des Typs K9 bei Hanwha Defense bestellt und sich damit in die Reihe anderer europäischer Staaten wie Finnland und Estland eingereiht, die das koreanische Artilleriesystem übernehmen.

K2 statt Leopard? Warum Südkoreas Panzer für Europa verlockend wirken

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass ganz Europa sofort zum Kauf von Panzern aus Südkorea übergeht, und es gibt potenzielle Fallstricke. Einer der wichtigsten ist Südkoreas eigene Empfindlichkeit gegenüber Russland. Seoul wurde für seine ausdrückliche Weigerung kritisiert, den Ukrainern Hilfe zukommen zu lassen. Es hat sich aber Berichten zufolge in dieser Hinsicht auch flexibel gezeigt, indem es offenbar zustimmte, Munition in die Vereinigten Staaten zu exportieren, die dann im Stillen ihren Weg in die Ukraine finden würde. Außerdem ist Südkorea geografisch weit von Europa entfernt, was auf Staaten, die lieber bei ihren Nachbarn einkaufen, abschreckend wirken könnte.

Beim Verkauf von Ausrüstung ist die koreanische Bereitschaft zum Technologietransfer und zur Lokalisierung der Produktion aber ein erheblicher Vorteil. Wie bereits erwähnt umfassen die Rüstungsgeschäfte Polens mit Hyundai Rotem und Hanwa Defense den Aufbau einheimischer Produktionslinien, in denen ab 2026 polnische K2PL-Panzer und K9-Panzerhaubitzen hergestellt werden sollen, sowie eine fortschrittliche K9-Wartungs-, Reparatur- und Überholungsanlage für polnische Ausrüstung sowie die anderer europäischer Streitkräfte.

Wenn die Produktion und Wartung im Inland gewährleistet ist, ist man weniger anfällig für mögliche künftige politische Veränderungen in ausländischen Hauptstädten, und die Versorgung mit Ersatzteilen und Reparaturen ist gesichert. Zwar könnten koreanische Entwürfe weiterhin Exportkontrollen unterliegen, doch hat Südkorea seinen Kunden in der Vergangenheit erlaubt, ihre Entwürfe mit geringen oder gar keinen Einschränkungen zu vermarkten.

Produktionsengpässe im Ukraine-Krieg: Südkorea will liefern

Während die Verteidigungsindustrien vieler fortgeschrittener Staaten, einschließlich der Vereinigten Staaten, mit schwerwiegenden Produktionsengpässen konfrontiert sind, ist die südkoreanische Industrie nach wie vor robust und verfügt über skalierbare Kapazitäten für die industrielle Massenproduktion. Diese Produktionskapazität in Verbindung mit der Bereitschaft Seouls, die Produktion auch nach Europa zu verlagern, ist ein erhebliches Verkaufsargument im Vergleich zur Abhängigkeit vom deutschen nationalen Champion Rheinmetall, der möglicherweise nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, um die Nachfrage zeitnah zu befriedigen.

Der große Umfang der polnischen Aufträge könnte sich ebenfalls zu Gunsten Koreas auswirken. Polen befindet sich mitten in einem entscheidenden Modernisierungs- und Ausbauprogramm im Verteidigungsbereich. Ziel ist es, über eine der schlagkräftigsten Streitkräfte in Europa zu verfügen, mit mehr modernen Panzern als jedes andere NATO-Mitglied mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und der Türkei.

Seine Panzerflotte wird sogar stärker sein als die des Vereinigten Königreichs, Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens und Italiens zusammen. Während die Zahl der in Europa im Einsatz befindlichen Leopard 2 auf rund 2.000 geschätzt wird, werden in den kommenden Jahren allein in Polen fast 1.000 K2 im Einsatz sein. Die Staaten, die jetzt ihre eigenen Leopard-2-Bestände in die Ukraine entsenden, könnten die Anschaffung des K2 als eine Möglichkeit zur Förderung der Interoperabilität mit einem Staat betrachten, der sich bereit gezeigt hat, einer russischen Aggression mit weniger Vorbehalten zu begegnen als die traditionellen Führer Europas.

Ukraine-Krieg offenbart eine unbequeme Wahrheit - profitiert Südkorea?

Auch die Vereinigten Staaten könnten indirekte Vorteile daraus ziehen, wenn sie Südkorea ermutigen, seinen Anteil am europäischen Verteidigungsmarkt aggressiv zu erhöhen. Als Vertragsverbündeter hat Washington ein echtes Interesse daran, dass die südkoreanische Rüstungsindustrie dynamisch und robust ist und die Art von modernen Waffen produzieren kann, die zur Abwehr der nordkoreanischen Aggression benötigt werden.

Durch die Verknüpfung der südkoreanischen Schwerindustrie mit der Sicherheit Europas entsteht eine nützliche Verbindung zwischen den Verbündeten und Interessen der USA in beiden Regionen. So werden polnische Truppen gemeinsam mit südkoreanischen Truppen in beiden Ländern trainieren. Und da die Intensität des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten daran erinnert, in welch schockierendem Tempo die industrielle Kriegsführung Ausrüstung und Munition verbraucht, ist es sinnvoll, jetzt Handelsbeziehungen aufzubauen, die Defizite in Schlüsselbereichen schnell beheben können.

Ein Blick auf die Unterzeichner des Tallinner Versprechens von Ende Januar – Estland, Großbritannien, Polen, Lettland, Litauen, Dänemark, die Tschechische Republik, die Niederlande und die Slowakei – offenbart eine unangenehme Wahrheit über Staaten, von denen man bisher annahm, sie seien führend in Europa, darunter Frankreich und Deutschland. Sie sind abwesend. Der krasse Unterschied in der Bedrohungswahrnehmung und der Dringlichkeit zwischen dem Zentrum Europas und seiner Russland zugewandten Peripherie ist sehr deutlich geworden.

Um zu verhindern, dass die Sicherheit Europas gegen die Angst Berlins ausgespielt wird, Moskau zu verärgern, könnten sich mehr Staaten dafür entscheiden, dem Beispiel Polens zu folgen und neue außerregionale Verteidigungsbeziehungen mit Staaten zu knüpfen, die ihnen die nötige operative Flexibilität bieten. Gleichzeitig würden sie dadurch die eigene Wirtschaft stärken. Da mehrere südkoreanische Präsidenten ihren Wunsch deutlich gemacht haben, das Land zu einem wichtigen Akteur im Bereich der Verteidigungsexporte zu machen – Präsident Yoon Suk-yeol kündigte an, Südkorea bis 2027 zum viertgrößten Exporteur von Verteidigungsgütern machen zu wollen – könnte Südkorea gut positioniert sein, um mehr von Europas Geschäften zu übernehmen.

Von Blake Herzinger

Blake Herzinger ist ein Non-Resident Fellow am American Enterprise Institute. Twitter: @BDHerzinger

Dieser Artikel war zuerst am 30. Januar 2023 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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