NRW-Innenminister Herbert Reul (l., CDU) und das Logo der Polizei in Nordrhein-Westfalen auf einer Uniform.
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Der Vorstoß von NRW-Innenminister Herbert Reul (l., CDU) zu Polizeimeldungen ist umstritten.

Debatte um Medienerlass

Transparenz oder Munition für Hetze? NRW-Polizei soll Nationalität Tatverdächtiger künftig nennen

  • Lukas Rogalla
    VonLukas Rogalla
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Das Innenministerium in NRW begründet den Vorstoß, dass die Polizei in Mitteilungen die Nationalität von Tatverdächtigen erwähnen soll, mit mehr Transparenz. Was sagen die Parteien?

Düsseldorf – Die Polizei in Nordrhein-Westfalen soll in Pressemitteilungen bald anders mit Tatverdächtigen umgehen und immer ihre Nationalität nennen – egal, ob es sich um Deutsche oder Ausländer handelt. Der Medienerlass für die Polizei NRW werde aktuell überarbeitet, teilte ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf auf Anfrage von FR.de von IPPEN.MEDIA mit. Zuerst hatte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) über die Pläne berichtet. Das Ministerium wird seit 2017 von Herbert Reul (CDU) geführt.

Die neue Regel soll ab Herbst gelten. „Bereits in den vergangenen Wochen wurde den Kreispolizeibehörden aber deutlich signalisiert, dass das Innenministerium den Medienerlass dahingehend verändern wird, dass die Nennung der Nationalitäten auch im Erlass klar geregelt werden soll“, erklärte das Ministerium.

NRW-Innenministerium will mehr „faktenbasierende Transparenz schaffen“

„Mit der Veröffentlichung der Nationalität will die Polizei eine faktenbasierende Transparenz schaffen“, heißt es. Das Innenministerium verspricht sich von der neuen Regel auch eine Entlastung der Polizei. „Die Nennung der Nationalität im Kontext einer Straftat ist erfahrungsgemäß auch immer häufiger Teil von journalistischen Nachfragen. Zudem will die Polizei NRW Spekulationen vorgreifen sowie dem Vorwurf, etwas verschweigen zu wollen, entgegentreten.“

Die Anweisung gelte für alle Delikte, bei denen der Tatverdächtige zweifelsfrei identifiziert ist. „Sollte die sachleitende Staatsanwaltschaft im Rahmen der Pressearbeit aber zu dem Schluss kommen, dass die Nationalität nicht benannt werden soll, dann werden die Pressestellen der Kreispolizeibehörden der Weisung folgen“, heißt es aus Düsseldorf.

Der derzeitige Medienerlass orientiert sich größtenteils am Pressekodex des Deutschen Presserats. „Jedoch hat sich seitdem die mediale Befassung mit der Nennung der Nationalitäten deutlich verändert, sodass eine Neubefassung mit dem Erlass notwendig erscheint“, begründete das Ministerium die Pläne.

In Richtlinie 12.1 des Pressekodex heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Das Ministerium verweist auch auf die Kriminalstatistik 2023. „(…) Tatverdächtige ohne deutschen Pass sind 2023 öfter in Erscheinung getreten als in den Jahren davor“, heißt es darin.

Die Linke NRW weist diese Begründung zurück: „Die Kriminalstatistiken weisen von Jahr zu Jahr weniger Kapitalverbrechen und Gewaltdelikte aus. Wir müssen daher zwischen objektiver Sicherheit und dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen unterscheiden“, teilte der Landesverband auf Anfrage von IPPEN.MEDIA mit.

Polizei soll Nationalität von Tatverdächtigen nennen: NRW-Linke sehen großes Risiko

Die Linken, die seit 2017 nicht mehr im NRW-Landtag vertreten sind, stellten sich deutlich gegen die Pläne aus Reuls Ministerium. „Die Information, welchen Migrationshintergrund ein Mensch hat, stellt keinerlei Pauschal-Zusammenhang zu begangenen Straftaten her.“ Mit der Angabe von Herkünften würden lediglich „migrationsfeindliche Tendenzen geschürt“, hieß es weiter. „Die Begründung des Ministeriums, man wolle mehr Transparenz schaffen, wirkt eher hilflos als einordnend.“

Rechtspopulisten und Konservative – auch die AfD wird explizit von den Linken genannt – „versuchen seit Jahren über das Thema der inneren Sicherheit bei den Wahlberechtigten zu punkten und insbesondere gegen Menschen mit Migrationshintergrund Stimmung zu machen“, prangern die Linken an. „Die Herkunft allein treibt Menschen nicht dazu, kriminell zu werden.
Gründe können soziale Konflikte, Armut oder psychische Erkrankungen sein – dabei ist es gleichgültig, woher ein Mensch stammt.“

Ein Risiko, dass durch den neuen Medienerlass rassistische Ressentiments geschürt werden könnten, sieht die FDP Nordrhein-Westfalen als gering an. „Den Vorstoß von Innenminister Herbert Reul, die Nationalität von Tatverdächtigen in Polizeiberichten zu benennen, begrüße ich grundsätzlich“, sagte Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, gegenüber IPPEN.MEDIA.

„Transparenz ist ein wesentliches Element, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden zu stärken.“

Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in NRW

„Transparenz ist ein wesentliches Element, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden zu stärken. Durch die Offenlegung der Nationalität können Spekulationen und falschen Gerüchten vorgebeugt werden.“ Es handle sich um einen „wichtigen Schritt, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass nichts verschwiegen wird“.

Auch die SPD in Nordrhein-Westfalen sieht den Vorstoß des Innenministeriums positiv: „Leider hat eine Nichterwähnung der Nationalität in der Vergangenheit viel zu häufig vor allem Verschwörungsnarrativen Vorschub geleistet und ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllt“, sagte Elisabeth Müller-Witt, die stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Landtag. „Sofern also ein Sachzusammenhang gegeben und das öffentliche Interesse absehbar und gerechtfertigt ist, muss eine transparente Kommunikation der Behörden gegenüber Medien jederzeit gewährleistet sein.“

NRW-Polizei soll Nationalitäten erwähnen: Was SPD und Grüne von den Plänen halten

Gleichzeitig mahnt Müller-Witt zur Vorsicht: Die Pläne sollten „die handelnden Akteure nicht aus der Pflicht nehmen, auch weiterhin in dieser Frage die nötige Sorgfalt walten zu lassen“, sagte sie. Nationalität solle ohnehin keine Rolle spielen. „Wer sich nicht an die Regeln hält, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden“, betonte sie.

Anders äußerten sich die Grünen. Die NRW-Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek hält „die bisherige Regelung für ausreichend“. Denn die Polizei könne schon heute „die Nationalität eines Tatverdächtigen veröffentlichen, wenn ein höheres öffentliches Interesse besteht, etwa bei nationalistischen oder extremistischen Taten“, teilte sie IPPEN.MEDIA mit. „Ob ein Ladendieb nun Deutscher, Türke oder Belgier ist, ist für die Tat meist völlig unerheblich.“ Die Grüne fordert zugleich mehr Transparenz und fordert vom Staat, dass dieser klar sagen müsse, „wo es Probleme mit Kriminalität gibt“.

„Ob die pauschale Nennung von Nationalitäten bei einzelnen Fällen hilft, halte ich für fraglich.“

Yazgülü Zeybek (Landesvorsitzender der Grünen in NRW)

„Ob die pauschale Nennung von Nationalitäten bei einzelnen Fällen dabei hilft, halte ich für fraglich“, sagte Zeybek. „Stattdessen brauchen wir zusätzlich zur Polizeilichen Kriminalitätsstatistik regelmäßige Analysen und einen neuen periodischen Sicherheitsbericht in Deutschland, den letzten gab es auf Bundesebene vor drei Jahren. Damit würden wir mehr Klarheit bekommen, wie die Zunahme von Gewalt und Kriminalität zu erklären ist und wie wir dem entgegentreten können. Das baut Ressentiments ab.“

Reul-Vorstoß für Polizei in NRW: Flüchtlingsinitiativen besorgt

In parlamentarischen Anfragen hatte sich die AfD immer wieder nach den Vornamen von Tatverdächtigen erkundigt, um so deren Herkunft ableiten zu können. In zahlreichen Fällen hätten die Auflistungen des Innenministeriums in Düsseldorf gezeigt, dass typisch deutsche Namen in der Kriminalstatistik genauso oft vorkommen wie Namen, die eventuell auf einen Migrationshintergrund hindeuten könnten, teilte der WDR mit.

Flüchtlingsinitiativen äußern mit Blick auf Reuls Pläne die Sorge, dass die Erwähnung von Nationalitäten bestehende Vorurteile verstärken, Ängste anfachen und Rassismus begünstigen könnte, berichtet der WDR. In der ehemaligen schwarz-gelben Koalition aus CDU und FDP, die von 2017 bis 2022 regierte, war ein neuer Medienerlass ausgebremst worden. Der damalige NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte 2019 Bedenken geäußert. Die pauschale Nennung der Nationalität könne tatsächliche Zusammenhänge relativieren und andere Umstände, etwa psychisch oder gesundheitlich, relativieren. (lrg)