Offene Fragen

Todesursache von Alexej Nawalny: Umstände geben weiter Rätsel auf

  • VonHelmi Krappitz
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Die Todesursache von Alexej Nawalny gibt Rätsel auf. Erkenntnisse aus dem Gefängnis lassen an den Aussagen der russischen Behörden zweifeln.

Charp – Weltweit wird über die Todesursache des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny spekuliert. Stimmen die Aussagen der russischen Behörden? Der Kreml-Kritiker soll nach einem Spaziergang in der Strafkolonie bei Charp in der nördlichen Oblast Tjumen am Polaren Ural gestorben sein. Daran zweifeln viele – Nawalnys Team spricht von mutmaßlichem Mord. Noch ist nichts bewiesen, doch die Zeitleiste zeigt deutlich: die Berichte passen nicht zusammen.

Fragen zur Todesursache: Zeitleiste wirft Zweifel an russischen Berichten zu Nawalnys Tod auf

Bereits Details vor dem Tod Nawalnys wecken Zweifel an den Schilderungen der russischen Behörden zur Todesursache. Die Gefangenenrechtsorganisation gulagu.net zufolge soll es sich um eine geplante Aktion mithilfe von Wladimir Putins Geheimdienstes handeln. Zwei Tage vor Nawalnys Tod sollen FSB-Agenten Abhörgeräte und verdeckte Kameras in der Strafkolonie abgeschaltet und abmontiert haben. Laut der Anti-Folter-Organisation ist der Besuch in einem Bericht einer Zweigstelle des Bundesstrafvollzugsdienstes des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen erwähnt worden. Die Angaben konnten bisher nicht unabhängig geprüft werden.

Donnerstagmorgens: Nawalny nimmt gesund an einer Anhörung teil

Am Donnerstagmorgen (15. Februar) nahm der Kreml-Kritiker via Videoanruf an einer Anhörung in einem Regionalgericht in der Stadt Wladimir teil. „Ihm ging es gut, er äußerte keine Beschwerden über seinen Gesundheitszustand, nahm aktiv an der Anhörung teil und brachte Argumente zur Verteidigung seiner Position vor“, sagte der Pressedienst des Gerichts gegenüber dem Medienunternehmen RBC. Im Internet kursieren Videos der Anhörung, bei der Nawalny guter Dinger gewesen sein soll, so die unabhängige Moscow Times. Er scherzte sogar nach der Anhörung.

Archivaufnahme von Andrej Nawalny. Nur zwei Minuten nach dessen Tod teilte das Straflager das Ableben des Kreml-Kritikers mit.

Donnerstagabend: Mithäftling berichtet von „Aufruhr“ im Straflager

Schilderungen eines Mithäftlings verdichten die Vermutung, dass Nawalny bereits am Donnerstagabend gestorben sei. Es habe einen „unverständlichen Aufruhr“ gegeben, sagte er Nowaja Gaseta Europa. „Alles begann damit, dass die abendliche Überprüfung, die von 20 bis 20.30 Uhr stattfindet, stark beschleunigt wurde.“ Die Häftlinge seien in ihre Baracken gesperrt worden.

Freitagmorgen: Häftlinge sollen bereits um acht Uhr vom Tod erfahren haben

Bereits vor acht Uhr am Freitagmorgen (16. Februar) hätten die Gefängniswärter das Straflager umfassend durchsucht, so Nowaja Gaseta Europa. Mehrere Mobiltelefone, Karten und sogar Heizkessel seien beschlagnahmt worden. Laut des Gefangenen sei Nawalnys Tod innerhalb der Kolonie gegen zehn Uhr Ortszeit kommuniziert worden – acht Uhr morgens Moskauer Zeit.

Tod Nawalnys: Krankenwagen soll angeblich erst nach Ableben eingetroffen sein

Angaben der Gefängnisbehörden zufolge hätte Nawalny gegen 10.30 Uhr einen einstündigen Spaziergang gemacht. Er sei unmittelbar nach der Rückkehr zusammengebrochen. Die zeitlichen Angaben der russischen Behörden werfen weitere Fragen auf, denn: Nawalny schrieb in einem früheren Brief des Gefängnisses, dass Insassen in Einzelhaft im IK-3 um 6.30 Uhr morgens einen Spaziergang machen dürften, so die Moscow Times. Wieso war der Kreml-Kritiker so spät spazieren? Oder ist die Zeitangabe frei erfunden?

Nach dem Zusammenbruch sei ein Krankenwagen gegen 11.45 Uhr am Straflager IK-3 eingetroffen, um Nawalny „die Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen, die die Ärzte der Kolonie bereits durchgeführt hatten“, so die staatliche Nachrichtenagentur Interfax. Doch nach Aussagen des Häftlings soll es an dem Morgen keinen Krankenwagen gegeben haben. „Sie erschienen erst, als bekannt wurde, dass Nawalny bereits tot war“, sagte er.

Schnelle Meldungen: Nur zwei Minuten nach Nawalnys Tod teilt das Straflager die Nachricht mit

Laut offiziellem Schreiben der Gefängnisaufsicht an Nawalnys Mutter habe ein Arzt um 14.17 Uhr den Tod Nawalnys festgestellt. Nur zwei Minuten später um 14.19 Uhr veröffentlichte das Straflager eine Mitteilung, dass der russische Oppositionelle tot ist. Eine weitere Minute später berichteten bereits russische Staatsmedien davon. Um 14.21 Uhr berichtete der Kreml-finanzierte Sender RT unter Berufung auf eine anonyme Quelle, dass Nawalny an einem Blutgerinnsel gestorben sei.

Bereits 13 Minuten nach Nawalnys Tod, also um 14.30 Uhr, veröffentlichten russische Staatsmedien ein Video, in dem Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, er wisse nichts über die Todesursache von Nawalny und habe die Nachricht „aus Moskau“ selbst gehört.

Alexej Nawalny ist tot: Protest, Anschläge, Gefängnis – sein Leben in Bildern

Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin.
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garri Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin. © Anatoly Maltsev / dpa
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei.
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei. © Valentina Svistunova / dpa
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro.
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro. © Evgeny Feldman / dpa
2017 rief Nawalny im ganzen Land zu Protesten gegen Korruption in Russland auf – und wurde zu 15 Tagen Arrest verurteilt.
2017 rief Nawalny im ganzen Land zu Protesten gegen Korruption in Russland auf – und wurde zu 15 Tagen Arrest verurteilt.  © Str/AP/dpa | Str
2015 wird der Oppositionsführer Boris Nemzow in Russland auf offener Straße erschossen. Nawalny beteiligt sich an den Protesten – und wird immer mehr zum neuen Gesicht der Opposition.
2015 wird der Oppositionsführer Boris Nemzow in Russland auf offener Straße erschossen. Nawalny beteiligt sich an den Protesten – hier bei einer Gedenk-Demo 2018 – und wird immer mehr zum neuen Gesicht der Opposition. © Alexander Zemlianichenko / dpa
2018 plante Nawalny, als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl gegen Wladimir Putin anzutreten. Allerdings beschloss ein Gericht vorab seinen Ausschluss von den Wahlen.
2018 plante Nawalny, als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl gegen Wladimir Putin anzutreten. Allerdings beschloss ein Gericht vorab seinen Ausschluss von den Wahlen. © Evgeny Feldman / dpa
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden.
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden. © Jean-Francois Badias / dpa
Familie Nawalny: Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny (M), seine Frau Julija (r), seine Tochter Daria (l) und sein Sohn Sachar stehen nach der Stimmabgabe bei einer Stadtratswahl im Jahr 2019 zusammen.
Familie Nawalny: Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny (M), seine Frau Julija (r), seine Tochter Daria (l) und sein Sohn Sachar stehen nach der Stimmabgabe bei einer Stadtratswahl im Jahr 2019 zusammen. © Andrew Lubimov / dpa
September 2020: Nach einer Nowitschok-Vergiftung wird Nawalny in der Berliner Charité behandelt.
September 2020: Nach einer Nowitschok-Vergiftung wird Nawalny in der Berliner Charité behandelt. © Daria Nawalny / dpa
Nach seiner Genesung und Rückkehr aus Deutschland wurde Nawalny in Russland festgenommen – hier zeigt er in Handschellen das „Victory“-Zeichen, begleitet von einer Polizei-Eskorte.
Nach seiner Genesung und Rückkehr aus Deutschland wurde Nawalny in Russland festgenommen – hier zeigt er in Handschellen das „Victory“-Zeichen, begleitet von einer Polizei-Eskorte. © Sergei Bobylev / dpa
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen.
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen. © Alexander Demianchuk / Imago
Alexej Nawalny (r) und seine Anwälte im Moskauer Stadtgericht 2021 – ihm droht eine lange Haftstrafe.
Alexej Nawalny (r) und seine Anwälte im Moskauer Stadtgericht 2021 – ihm droht eine lange Haftstrafe. © Moscow City Court Press Service / dpa
Alexej Nawalny Anfang des Jahres 2022 hinter Gittern bei einer Anhörung bezüglich Beschwerden zu seiner Unterbringung während der 3,5-jährigen Haftstrafe.
Alexej Nawalny Anfang des Jahres 2022 hinter Gittern bei einer Anhörung bezüglich Beschwerden zu seiner Unterbringung während der 3,5-jährigen Haftstrafe. © Anna Ustinova / Imago
Kurzer Glücksmoment in schweren Zeiten: Nawalny und Ehefrau Julija Arm in Arm rund um eine weitere Anhörung des Kreml-Kritikers vor Gericht im Februar 2022.
Kurzer Glücksmoment in schweren Zeiten: Nawalny und Ehefrau Julija Arm in Arm rund um eine weitere Anhörung des Kreml-Kritikers vor Gericht im März 2022. Wegen angeblicher Veruntreuung von Spendengeldern wurden 13 weitere Jahre Haft gefordert. © Sergei Fadeichev / Imago / ITAR-TASS
Bilder wie dieses aus dem Mai 2022 von einer weiteren Anhörung schüren Sorgen um den Gesundheitszustand von Nawalny.
Bilder wie dieses aus dem Mai 2022 von einer weiteren Anhörung schüren Sorgen um den Gesundheitszustand von Nawalny. Der Kritiker trat während seiner Haftzeit immer wieder beispielsweise in Hungerstreik. Seine Haft-Unterbringung soll teils dürftig gewesen sein. © IMAGO/Sergei Karpukhin / ITAR-TASS
Nawalny wieder vor Gericht im August 2023.
Nawalny wieder vor Gericht im August 2023. Der Oppositionsführer war erneut zu 19 Jahren Haft unter anderem wegen Extremismus verurteilt worden. © IMAGO/Sofya SandurskayaITAR-TASS
Ende 2023 galt Nawalny kurz als verschwunden
Ende 2023 galt Nawalny kurz als verschwunden. Dann hieß es, er sei in ein Strafgefangenenlager nach Sibirien gebracht worden. Das Foto zeigt ihn im Januar 2024 bei einer weiteren Video-Schalte. © Alexander Zemlianichenko / dpa
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben. Weltweit wird um den Kreml-Kritiker getrauert. © IMAGO/Vuk Valcic / ZUMA Wire

Blaue Flecken: Nawalnys Leiche soll Hinweise auf Kämpfe vor seinen Tod aufweisen

Am Freitagabend soll Nawalnys Leiche ins Krankenhaus von Salechard gebracht worden sein, das bestätigte ein Mitarbeiter des örtlichen Notfalldienstes der Nowaja Gaseta Europa. Die Leiche weise blaue Flecken auf, das deute auf Kämpfe vor dem Tod. Auf der Brust habe er einen Bluterguss, der häufig nach einer Herzdruckmassage auftrete. Er selber habe die Leiche nicht gesehen, sondern habe die Informationen von einem Kollegen.

Todesursache ungeklärt: Russland weigert sich Nawalnys Leiche zu übergeben

Die Todesursache sei weiterhin ungeklärt – unklar ist auch, wo sich Nawalnys Leiche befindet. Seiner Mutter, Ljudmila Nawalnaja habe man gesagt, dass die Untersuchungen noch mindestens 14 Tage dauern würden. Auf der Plattform X schrieb Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch: „Sie lügen, kaufen sich Zeit damit und verstecken es noch nicht mal.“ (hk)

Rubriklistenbild: © IMAGO / ITAR-TASS