Ausweg aus der Isolation

Warme Worte statt Raketen: Erdogan muss plötzlich mit Erzfeind Griechenland kuscheln

  • Erkan Pehlivan
    VonErkan Pehlivan
    schließen

Kürzlich hatte Erdogan seinem Nachbarn noch mit Tayfun-Raketen gedroht. Jetzt schwenkt er um – und buhlt um Griechenland. Denn die Türkei ist isoliert.

Update 7. Dezember 2023, 13.40 Uhr: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz haben Ministerpräsident Kiryakos Mitsotakis und Präsident Recep Tayyip Erdoğan beteuert, die Beziehungen zwischen beiden Staaten weiter auszubauen. Ziel sei es, das Wirtschaftsvolumen von fünf auf 10 Milliarden Dollar zu steigern. Zudem soll der Dialog auf alle Ebenen aufrechterhalten werden.

Erdoğan sagte, dass insbesondere die Außenminister die Probleme im östlichen Mittelmeer und der Ägäis durch einen konstruktiven Dialog, gute Nachbarschaft und gemeinsame Anstrengungen im Rahmen des internationalen Rechts lösen wollten.

Für das geteilte Zypern solle es eine gerechte, dauerhafte und nachhaltige Lösung „auf der Grundlage der Realitäten auf der Insel“ geben. „Wir wollen die Ägäis in ein Meer des Friedens und der Zusammenarbeit verwandeln. Mit den gemeinsamen Schritten, die wir als Türkei und Griechenland unternehmen werden, wollen wir ein Beispiel für die Welt setzen“, sagte der türkische Präsident.

In Zukunft sollten türkische Staatsbürger sich in Griechenland bis zu sieben Tage ohne Visum aufhalten können. Zudem arbeite Griechenland daran, dass es in Zukunft für junge Türken einfacher wird, ein europäisches Visum zu erhalten.

Trotz zahlreicher Drohungen: Erdogan auf Staatsbesuch in Griechenland

Erstmeldung: Athen – Zwischen der Türkei und Griechenland gibt es wieder eine Annäherung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reist heute nach Athen und trifft sich mit Staatspräsidentin Katerina Sakelaropoulou und Premierminister Kiryakos Mitsotakis. Immer wieder hatte Erdogan im vergangenen Jahr Drohgebärden in Richtung Griechenland gemacht. „Wir können eines Nachts ungeahnt kommen“ hatte der türkische Staatschef im vergangenen Jahr gegenüber seinem Nachbarn gedroht.

Auch drohte Erdogan damit, Griechenland mit Tayfun-Raketen anzugreifen. „Sie sagen, dass die Tayfun-Raketen Athen treffen kann. Das wird sie, wenn ihr euch nicht ruhig verhaltet“, hatte der türkische Präsident bei einer Konferenz mit Jugendlichen noch vor einem Jahr gesagt. Zuvor hatte er jegliche Gespräche mit der griechischen Führung abgelehnt. „Mitsotakis existiert für mich nicht mehr“, hatte Erdogan zuvor behauptet.

Reise nach Athen: Erdogan zeigt sich vor Griechenland-Reise versöhnlich

Doch jetzt die Kehrtwende. Bereits im Vorfeld seiner Reise hatte Erdogan versöhnliche Töne in Richtung Athen abgegeben. „Es gibt keine Probleme mit Nachbarn, die man nicht bewältigen kann“, sagte der Staatschef vor Journalisten. „Als zwei wichtige und benachbarte Länder der Region ist es ganz normal, dass unsere Interessen in dieselbe Richtung gehen. Wir können unsere Meinungsverschiedenheiten in einigen Fragen lösen, indem wir den Dialog in den Vordergrund stellen.“

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi sollen eine Reihe von Abkommen und Absichtserklärungen zwischen den beiden Ländern unterzeichnet werden, „unter anderem in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Verkehr, Landwirtschaft, Energie, Zoll, Tourismus und Sport“. Auch soll der Gaza-Krieg Thema des Treffens sein.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht Griechenland.

Erdogan wirft westlichen Medien Verdrehung seiner Worte vor

In einem Interview mit der griechischen Zeitung Katherimini versuchte Erdogan, seine früheren Drohgebärden zu relativieren. Westliche Medien hätten seine Worte verdreht. „Wir werden eines Nachts ungeahnt kommen“, habe er zu Terroristen gesagt, die die Sicherheit seines Landes bedrohen. „Unsere Heimat zu verteidigen und den Frieden unserer Nation zu schützen, ist unser natürlichstes Recht. Und niemand sollte daran zweifeln, dass wir dieses Recht auch weiterhin in vollem Umfang gegen alle terroristischen Herde ausüben werden“, sagte Erdogan gegenüber der Zeitung.

„Wir sind Nachbarn, wir werden Nachbarn bleiben und wir müssen gegenseitig unsere Rechte und lebenswichtigen Interessen respektieren.“ Die Türkei wolle die Beziehungen auf der Grundlage des gegenseitigen Verständnisses weiterentwickeln und in Frieden in dieser Geografie leben.

Türkei innerhalb der Nato isoliert

Der plötzliche Schwenk auf einen neuen Kuschelkurs kommt nicht von ungefähr. Die Türkei hat sich wegen ihrer bisherigen aggressiven Politik innerhalb der Nato und dem Nein zu Schwedens Beitritt sehr viel Ärger eingehandelt und steht weitgehend isoliert da. Der US-Kongress verhindert weiterhin den Verkauf moderner F-16 Flugzeuge, die Ankara dringend haben will. Auch die Europäer weigern sich bislang, dem Land moderne Eurofighter-Kampfflugzeuge zu verkaufen. Mehrere türkische Delegationen waren in der Vergangenheit deswegen immer wieder vergeblich nach Washington gereist. Erdogan sucht also neue Verbündete in der Region. Zur Not ist ihm auch die Hilfe des verhassten Nachbarlandes willkommen.

Wie sehr sich Erdogan in die Enge getrieben hat, brachte kürzlich auch der Berichterstatter des Europaparlaments für die Türkei-Fragen auf den Punkt: „Die Türkei ist komplett isoliert“, sagte Nacho Sanchez Amor in einem Gespräch mit Euronews an die Adresse des türkischen Präsidenten. „Euer einziger Freund in der Welt ist Aserbaidschan.“ (epe)

Rubriklistenbild: © dpa/Thanassis Stavrakis