„Niemals versprechen, auf Einsatz von Gewalt zu verzichten“

Möglicher Krieg um Taiwan: 70 Staaten stellen sich hinter China

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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China will Taiwan angliedern, notfalls mit Gewalt. Für Dutzende Staaten wäre das kein Problem – sie unterstützen Chinas Drohungen.

Wenn es um Taiwan geht, lässt Chinas Staatschef Xi Jinping keinen Raum für Zweifel: Um den demokratisch regierten Inselstaat der Volksrepublik anzugliedern, „behalten wird uns die Möglichkeit vor, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“, erklärte Xi auf dem letzten Parteitag von Chinas regierenden Kommunisten. Zwar solle die „Wiedervereinigung“ möglichst friedlich erfolgen, so Xi weiter. Aber: „Wir werden niemals versprechen, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten.“ Heißt: Auch ein Krieg um Taiwan ist für China eine Option.

Vor allem in den USA sind viele Beobachter und Politiker überzeugt, dass Chinas Volksbefreiungsarmee schon 2027 die Fähigkeit erlangt haben wird, eine großangelegte Invasion Taiwans zu starten. Ob Xi Jinping dann aber tatsächlich den Befehl zu einem Angriff auf den 23-Millionen-Einwohner-Staat gibt, ist völlig unklar. Denn Xi weiß: China müsste mit einer entschlossenen Reaktion des Westens rechnen – mit massiven Sanktionen etwa, die das Zeug hätten, die ohnehin schon schwächelnde chinesische Wirtschaft weiter nach unten zu ziehen.

Von Dutzenden anderen Staaten aber kann Xi Rückendeckung erwarten. Wie eine neue Auswertung des Magazins Economist zeigt, sagen 70 Länder weltweit, dass sie das Recht Chinas auf „alle“ Bemühungen um die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan offiziell anerkennen. Und das bedeutet eben auch: dass sich China Taiwan mit Gewalt einverleiben darf, wenn es das möchte. Die Zahl der Staaten, die Chinas Säbelrasseln ausdrücklich hinnehmen, steigt demnach seit Jahren an.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Dutzende Staaten in Afrika unterstützen Taiwans China-Politik

Ausgewertet hat das Magazin unter anderem bilaterale Erklärungen von China und seinen Verbündeten. So sagte zuletzt etwa der Präsident von Sri Lanka bei einem Treffen mit Xi Jinping, dass sein Land „alle Bemühungen der chinesischen Regierung, die nationale Wiedervereinigung zu erreichen, entschieden unterstützt“. Ähnlich äußerten sich im vergangenen September gleich 53 afrikanische Staaten auf einmal, bei einem von Xi veranstalteten Afrika-Gipfel in Peking.

Von den 70 Ländern, die sich vorbehaltlos hinter Chinas Taiwan-Politik gestellt haben, liegen der Auswertung zufolge 97 Prozent im sogenannten Globalen Süden. Was kaum verwundert, schließlich baut Peking seit Jahren seinen Einfluss in der Region kontinuierlich aus, etwa durch sein Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“. „Ich denke, dass China durch die Seidenstraße geopolitisch und auch wirtschaftlich, gerade im Globalen Süden, ein höheres Ansehen erreichen konnte“, sagte unlängst die Asien-Expertin Lisa Flatten von Germany Trade & Invest, der Außenwirtschaftsagentur des Bundes, im Interview mit unserer Redaktion.

Nun bedeuten die Äußerungen der 70 engen China-Freunde zwar nicht, dass sie einen Angriff auf Taiwan direkt unterstützen würden, etwa mit Waffen oder ähnlichem. Die Länder könnten allerdings versuchen, China diplomatisch den Rücken freizuhalten, zum Beispiel in den Vereinten Nationen. Eine klare Verurteilung eines chinesischen Angriffs in der UN-Generalversammlung scheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Zudem geht es China wohl darum, eine mögliche Invasion als gerechtfertigten Schritt darzustellen. Je mehr Staaten sich hinter die chinesischen Gewaltdrohungen stellen, desto mehr wird auch ein militärisches Vorgehen legitim, so das chinesische Kalkül.

Soldaten aus Taiwan stehen im Januar 2023 Wache nach einer Bereitschaftsübung, bei der die Verteidigung gegen Pekings militärische Angriffe simuliert wurde.

Nur elf Länder unterhalten diplomatische Beziehungen mit Taiwan

Schon jetzt behauptet Peking immer wieder, es sei „universeller Konsens der internationalen Gemeinschaft“, dass Taiwan ein Teil Chinas sei. Was bei genauer Betrachtung freilich nicht ganz stimmt. So unterhalten immerhin elf Staaten sowie der Vatikan diplomatische Beziehungen mit Taiwan (und verzichten im Gegenzug auf Beziehungen zur Regierung in Peking).

Und von den restlichen Staaten, die keine Beziehungen zu Taiwan unterhalten, unterstützen längst nicht alle die chinesischen Ansprüche auf den Inselstaat. So zeigt eine im Januar veröffentlichte Auswertung der australischen Denkfabrik Lowy Institute, dass 40 Länder die chinesische Position zwar „zur Kenntnis nehmen“, „anerkennen“ oder „respektieren“ – diese aber nicht ausdrücklich unterstützen. Dazu gehören unter anderem die USA, Kanada und Australien. Von weiteren 23 Staaten, darunter auch Deutschland und Frankreich, gingen „gemischte Signale“ aus, so die Studie.

„Obwohl China selbstbewusst behauptet, es gäbe einen internationalen Konsens, ist die Welt in Bezug auf Taiwan tatsächlich gespalten“, sagt Benjamin Herscovitch vom Lowy Institute. Es sei allerdings besorgniserregend, dass sich immer mehr Länder hinter Peking stellen würden. Denn das, so Herscovitch, könnte China einen „Freibrief für die Eskalation militärischer Aggressionen und anderer Zwangsmaßnahmen gegen Taiwan ausstellen“.

Rubriklistenbild: © Daniel Ceng/AP/dpa