Verteidigungsallianz
„Er droht Europa unverhohlen“: Wie sich die Nato auch in Zukunft gegen Putin wehren kann
VonFlorian Pfitznerschließen
Im 75. Jahr ihres Bestehens ist die Nato zu ihrem Kernauftrag zurückgekehrt: Abschreckung und Verteidigung gegen einen territorialen Aggressor. Die Zukunft des Nordatlantikpakts hängt vor allem von Europa ab.
Berlin - Die Nato feiert an diesem Donnerstag (4. April) ihr 75-jähriges Bestehen. Die Ursachen ihrer Gründung haben aus heutiger Sicht nur die wenigsten Menschen bewusst erlebt; so galt der Nordatlantikpakt lange als sicherheitspolitischer „Wohlfühlfaktor“, wie man in einem Aufsatz der Atlantik-Brücke lesen kann: Gegen die Nato konnte man immer protestieren, gerade gegen das „Amerikanische“ darin – sie wurde nie geliebt, aber auch nie grundsätzlich in Frage gestellt.
In dieser Zeit sieht sich die Nato in schwierigem Fahrwasser. „Zum einen ist sie nicht ‚hirntot‘“, sagt Christina Bellmann, Referentin für Transatlantische Beziehungen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Anspielung auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der im November 2019 angesichts des Syrien-Krieges von einem „Hirntod“ der Verteidigungsallianz gesprochen hatte. Inzwischen habe sich die Lage geändert, erklärt Bellmann im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Die Nato agiere verlässlich – und gewähre auch neuen Mitgliedern wie Finnland und Schweden, die ihre jahrzehntelange Neutralität aufgegeben haben, übergeordneten Schutz.
Zum anderen sieht die Politikwissenschaftlerin große Herausforderungen angesichts des Ukraine-Krieges. „Im dritten Kriegsjahr ist die militärische Lage für die Ukraine ernst“, warnt Bellmann. „Das Militär gerät zusehends unter Druck und europäische Partner liefern zu langsam und zu wenig.“
Scholz orientiert sich in der Ukraine-Hilfe an US-Waffenlieferungen
Vor dem Außenministertreffen der Nato in Brüssel hat der britische Ressortchef David Cameron die Mitglieder des Verteidigungsbündnisses zu höheren Rüstungsausgaben aufgefordert. Die Ukraine sei einer Mitgliedschaft in der Allianz näher als je zuvor, sagte Cameron. Daher müsse die Nato ihre Unterstützung für das von Russland angegriffene Land aufrechterhalten, damit die Ukraine den Krieg gewinnen könne.
Auch in der KAS sehen sie Handlungsbedarf. „Die westliche Unterstützung muss hochgefahren werden“, fordert Bellmann. „Davon hängt auch das künftige Verhalten Russlands gegenüber seiner Nachbarschaft ab.“
Die größten militärischen Hilfen für die Ukraine erbringen bislang die USA. Sie haben entscheidendes Gewicht, wenn es um konkrete Unterstützungsleistungen der Nato-Mitglieder geht. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) orientiert sich in der Frage deutscher Militärhilfen immer wieder an US-Waffenlieferungen. Von entsprechend großer Bedeutung für die Zukunft der Nato werden die US-Wahlen im November 2024 sein.
Unter republikanischen Anhängern steigt die Ungeduld
Wie ernst die Lage ist, offenbart sich allerdings schon jetzt. „Die aktuelle Blockade der von der Ukraine dringend benötigten 60 Milliarden US-Dollar im mit hauchdünner Mehrheit republikanisch geführten US-Repräsentantenhaus zeigt auf, welche Herausforderungen auf die Europäer zukommen werden – egal, welcher Präsident nach der Wahl im Weißen Haus sitzen wird”, sagt Bellmann. Unter den republikanischen Anhängern nehme die Ungeduld angesichts des Krieges zu.
Zugleich sinkt die Zustimmung für weitere Ukraine-Hilfen in der amerikanischen Bevölkerung, wie ABC News herausgefunden hat. Demzufolge stieg die Meinung, wonach die USA „zu viel“ für die Ukraine täten, zwischen April 2022 und September 2023 von 14 auf 41 Prozent.
Die europäische Verteidigung soll Zugkraft entwickeln
Zwei Drittel der Nato-Mitgliedsstaaten sind immerhin auf einem guten Weg, das Zwei-Prozent-Ziel nationaler Verteidigungsausgaben zu erfüllen. „Vor allem Deutschland muss sicherstellen, dass dieses langfristig eingehalten wird“, mahnt Sicherheitsexpertin Bellmann. „Amerikaner beider Lager wollen sehen, dass die Versprechen endlich umgesetzt werden.“ Dies liege auch im ureigensten europäischen Interesse, denn der russische Präsident Wladimir Putin „zeigt keinerlei Bereitschaft, auf das Parkett internationaler Regeln zurückzukehren, sondern droht Europa unverhohlen“.
Aus Bellmanns Sicht ist mehr denn je die Verantwortung größerer Staaten wie Deutschland, Frankreich und Polen gefragt, um Zugkraft in der europäischen Verteidigung zu entwickeln. „Sie sollten einem künftigen US-Präsidenten eine belastbare Lastenteilungsbilanz vorweisen und die Ukraine – und die europäische Sicherheitsordnung – nicht im Stich lassen.“
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