Referendare unter Druck gesetzt
„Ausbilder machen deutlich, es wird erwartet“: Junge Lehrkräfte fühlen sich durch Ritual erniedrigt
VonPeter Siebenschließen
Fachwissen und pädagogisches Know-how reichen nicht: Oft müssen sich Lehramtsanwärter einem kuriosen Brauch unterziehen. Dabei ist das eigentlich verboten.
Berlin/Düsseldorf – Brötchen, Aufschnitt und der gute O-Saft: Yvonne Walters hatte an alles gedacht. Eigentlich wollte die damalige Lehramtsreferendarin am Tag ihrer Abschlussprüfung nur pädagogische Konzepte, Deutsch und Mathe im Kopf haben. Doch neben all dem Prüfungsstress musste sie frühmorgens auch noch ein Frühstück zubereiten – für ihre Prüfer. „Man hat uns gesagt, dass wir da besser was Gutes auffahren sollen“, so Walters. Heute arbeitet die junge Frau an einer Grundschule in NRW. Weil sie keine Probleme mit ihrem Arbeitgeber haben will, ist hier nicht ihr echter Name zu lesen. Sie steht stellvertretend für zahlreiche Nachwuchs-Lehrkräfte, die alle von einem Ritual berichten, das eigentlich streng untersagt ist. Und sie alle fühlen sich dadurch unter Druck gesetzt.
Brötchen schmieren bei der Lehrer-Prüfung als erniedrigend empfunden
Das Ritual ist oft Bestandteil der sogenannten Lehrprobe. Eine Prüfungskommission besucht die Referendarinnen und Referendare dabei in einer Unterrichtsstunde, um zu beurteilen: Wie geht die Nachwuchslehrkraft mit Schülerinnen und Schülern um? Ist sie fachlich geeignet? Eine wichtige Prüfung, bei der mitunter über Wohl oder Weh einer Karriere entschieden wird. Die Ausbildung findet zum Teil an den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) statt. Und dort hören viele dann von dem Frühstücksritual, bei manchen kommt die Ansage auch von den jeweiligen Schulen. „Die Ausbilder haben deutlich gemacht, dass das erwartet wird“, sagt Walters. Ein Stück weit habe sie es als erniedrigend empfunden, den Prüfern morgens noch die Brötchen zu schmieren. „Oft schmeißt das Kollegium zusammen, damit die Prüflinge wenigstens nicht alles allein bezahlen müssen“, erzählt Walters.
Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) weiß man um den kuriosen Brauch. „Ja, diese Praxis ist bekannt“, sagt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied, zu IPPEN.MEDIA. „Es gibt in der Regel keine reguläre Vorgabe, hat sich aber in einigen Bundesländern, Bezirken und Kreisen über Jahre eingebürgert.“ Der Wettbewerb um das beste Frühstück für die Prüferinnen und Prüfer habe irgendwann immer größere Formen angenommen.
Lehramtsanwärter unter Druck: „Dies sollte nicht durch das Vorbereiten eines Frühstücks verstärkt werden“
Die Referendarinnen und Referendare stünden bei ihren Prüfungsunterrichtsstunden häufig stark unter Druck. „Dies sollte nicht auch noch durch das Vorbereiten eines Frühstücks für die Prüferinnen und Prüfer verstärkt werden“, findet die Gewerkschafterin. „Sie sollten sich am Prüfungstag auf die Durchführung des Unterrichts und das anschließende Gespräch über den Unterricht konzentrieren können.“ Das Verhältnis von Prüferinnen und Prüfern zu den Auszubildenden sollte heute nicht hierarchisch strukturiert sein, sagt Bensinger-Stolze: „Deshalb ist solch eine ‚Ehrerbietung‘ auch nicht angemessen.“
Tatsächlich ist sie nicht nur unangemessen, sondern verboten. „Der Prüfling darf an der Vorbereitung, Durchführung oder sogar Finanzierung der Bewirtung der Prüfungskommission in keiner Weise beteiligt werden. Hierfür hat die jeweilige Schulleitung Sorge zu tragen. Verstöße hiergegen müssen dem Prüfungsamt unverzüglich gemeldet werden“, sagt das NRW-Bildungsministerium auf Anfrage und zitiert damit das Landesamt für Qualitätssicherung und Informationstechnologie der Lehrerausbildung.
Anschein von Bestechlichkeit soll vermieden werden
In einigen Bundesländern stellen die Schulen inzwischen den Prüferinnen und Prüfern Kaffee oder Tee zur Verfügung; als kollegiale Geste der Gastfreundschaft sozusagen, und damit sich die Referendarinnen und Referendare ausschließlich auf ihren Unterricht konzentrieren können. Eigentlich soll von einer Bewirtung durch die Ausbildungsschule aber gänzlich abgesehen werden, sagt das NRW-Bildungsministerium. Lediglich die Nutzung von Schulmensen oder Kiosken „ist natürlich möglich“.
Klar ist: Schon der Anschein von Bestechlichkeit einerseits und Druckausübung auf die Nachwuchskräfte andererseits soll vermieden werden. Auch und gerade in einer Zeit, da massiver Lehrermangel an vielen Schulen ein Problem ist und man niemanden vergraulen will. Aus dem Bildungsministerium heißt es, aktuelle Beschwerden dazu lägen nicht vor. Aber jeder Betroffene könne sich an das Prüfungsamt wenden „und sich sicher sein, dass der Beschwerde ernsthaft nachgegangen wird“. Nur: „Das macht keiner, man will sich die Prüfung nicht versauen“, sagt Yvonne Walters.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist bereits in der Vergangenheit erschienen. Er hat viele Leserinnen und Leser besonders interessiert. Deshalb bieten wir ihn erneut an.
Lehrermangel: Fühlen sich Nachwuchskräfte abgeschreckt?
Fühlen sich junge Menschen durch solche Praktiken womöglich abgeschreckt, den Lehrerberuf zu ergreifen? „Nein, denn in der Regel erfährt man von diesem Ritual erst während des Referendariats oder sogar erst kurz vor der Prüfung. Das wird niemanden abschrecken, ein Lehramtsstudium und ein Referendariat zu absolvieren“, glaubt Anja Bensinger-Stolze von der GEW. Aber: „Der Geist, der sich dahinter vermuten lässt, kann allerdings insgesamt hinderlich sein, um ein Referendariat in einer offenen und guten Lernatmosphäre zu durchlaufen.“
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