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Leere Kassen: Gemeindebund-Chef fordert „System-Umbau“ – und „Umkehr“ in der Integrations-Politik
VonMarkus Knall
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Florian Naumann
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Der Chef des Städte- und Gemeindebundes sieht eine „dramatische Situation“ – und weitere Probleme nahen. Im Merkur-Interview erklärt er die Lage.
Nicht nur die „große“ Politik in Berlin blickt mit einiger Unruhe auf die Bundestagswahl. Auch für die Lokalpolitik stellt sie Weichen. Dem Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, bereitet der Wahlkampf durchaus Sorge, wie er im Interview mit dem Münchner Merkur andeutet. Etwa, weil großzügige Wahlversprechen von allen Seiten am Ende an den Kommunen hängenbleiben könnten – und später der gesamten Politik „auf die Füße fallen“.
Ohnehin hat Brandl einige Anliegen. Angesichts Wirtschaftskrise und leerer Kassen will er viele Ausgaben auf den Prüfstand bringen, idealerweise nach einer Gerechtigkeitsdebatte. Die sollte nach Ansicht des von 1993 bis 2023 amtierenden CSU-Bürgermeisters des südwestniederbayerischen Abensberg Einheimische wie auch Geflüchtete einschließen.
„Denen helfen, die sich selber nicht helfen können – aber nur, solange sie das nicht können“, könnte Brandls Maxime lauten. Dazu gehört aus seiner Sicht auch, dass ankommende Migranten idealerweise „vom ersten Tag an arbeiten“: „Überspitzt gesagt muss auch ein Bauingenieur unter Umständen Arbeit ableisten, die unter seiner Qualifikation liegt, bis er die Sprache so beherrscht, dass er in seinem Beruf tätig sein kann.“
Herr Brandl, Deutschlands Wirtschaft bereitet Sorgen – und ist ein Großthema vor der Bundestagswahl. Sie sind nahe dran: Wie ist die Lage vor Ort?
Wir merken schon jetzt in Gesprächen mit Betriebsinhabern, dass sich drastisch etwas verändert: Wir haben mittlerweile ein systemisches Problem. Es geht um keine überbrückbare Delle im Export, wie Anfang der 2000er. Unsere Probleme hängen mit politisch gewollten Umstellungen zusammen: Ausstieg aus bestimmten Energieerzeugungsarten, komplette Umorganisation der Wirtschaft. Meines Erachtens passiert das alles sehr überhitzt, sehr schnell – vielleicht ohne das Ende vernünftig bedacht zu haben. Das merkt die Wirtschaft und das merken letztlich die Menschen.
Das heißt, dass wir uns auf weniger Geld in der Kasse einstellen müssen. Nicht für ein oder zwei, sondern über mehrere Jahre. Es sei denn, es gelingt der Volkswirtschaft sehr schnell, neue Märkte zu etablieren. Aber da müsste sich politisch sehr viel tun.
Das klingt nach einem ernsten Problem.
Immer mehr Kommunen sind nicht in der Lage, dauerhaft gefestigte Haushalte aufzustellen. Die müssen jetzt radikal umsteuern. Nicht, weil die Kommunen das wollen, sondern weil sie von ihren Aufsichten gezwungen werden. Penzberg in Oberbayern ist ein klassisches Beispiel: Plötzlich kann man freiwillige Aufgaben wie Weihnachtsmärkte und musikalische Darbietungen nicht mehr im gewohnten Umfang anbieten, für Sport und Kultur steht weniger Geld zur Verfügung. Und das ist genau der Bereich, der den Wohlfühlfaktor an einem Ort ausmacht. Unsere große Befürchtung ist, dass jetzt im Wahlkampf wieder sehr viel versprochen wird, was die Kommunen umsetzen müssen – unabhängig von der Frage, ob das Geld dafür da ist. Der Bund sollte dringend die Kommunen in Entscheidungen einbinden. Den Menschen etwas zu versprechen, was man nicht halten kann, das fällt einem über kurz oder lang auf die Füße.
Die Dinge mit Maß und Mitte angehen. (...) Das bedeutet auch, dass man abhängig von den Möglichkeiten einer Volkswirtschaft die Politik gestaltet, nicht umgekehrt.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel der sogenannte Ganztagsbetreuungsanspruch in der Grundschule. Wir haben schon vor sechs Jahren darauf hingewiesen, dass das in vielen Fällen beim besten Willen nicht machbar sein wird – alleine schon, weil uns die Ressource Personal fehlt. In den kommenden zehn Jahren werden annähernd 500.000 der rund 1,65 Millionen Beschäftigten in den Kommunen in den Ruhestand gehen. Bereits heute sind mehr als 100.000 Stellen in den Kommunen unbesetzt, weil kein Personal gefunden wird. In vielen Fällen muss neu gebaut werden – und wir sind schon nicht mehr in der Lage, die nötigen Sanierungen durchzuführen. 186 Milliarden Euro Sanierungsstau gibt es in den kommunalen Kassen bundesweit. Einen Wertverzehr der kommunalen Infrastruktur von 13 Millionen Euro täglich. Das ist eine dramatische Situation.
Klamme Kassen in Deutschland: „Jetzt muss das gesamte System umgebaut werden“
Aber was tun, was ist Ihre Schlussfolgerung?
Jetzt muss das gesamte System umgebaut werden. Das ist auch die Chance, sich darauf zu besinnen, dass man sich nicht jeden Wunsch auch leisten kann. Man muss die wirklich wichtigen Dinge priorisiert abarbeiten. Die Dinge mit Maß und Mitte angehen. Das ist mein Plädoyer. Das bedeutet auch, dass man abhängig von den Möglichkeiten einer Volkswirtschaft die Politik gestaltet, nicht umgekehrt.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund und sein Präsident Uwe Brandl
11.000 „große, mittlere und kleinere Kommunen“ sind nach Angaben des Verbandes (freiwillig) im Deutschen Städte- und Gemeindebund (Kürzel: DStGB) organisiert. Er soll die Anliegen der Städte und Gemeinden etwa bei Bundesregierung und EU zu Gehör bringen. Wichtig: Neben dem DStGB gibt es auch den Deutschen Städtetag und den Deutschen Landkreistag. Der Städtetag versammelt auch kreisfreie (also meist: größere) Städte.
Der CSU-Politiker Uwe Brandl war von 1993 bis 2023 Bürgermeister der Kleinstadt Abensberg im Landkreis Kelheim. Von 2018 bis 2020 und seit 2023 ist er Präsident des DStGB. Die Amtszeit beträgt 2,5 Jahre und endet damit turnusgemäß im Sommer 2025.
Wo packt man da konkret an?
Ein Beispiel: Ist es wirklich gerecht, dass sich ein Einkommensmillionär nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten an den Kosten der frühkindlichen Erziehung beteiligt? Wer nichts oder zu wenig hat, wird natürlich unterstützt – aber wer viel hat, bekommt dann von der Allgemeinheit nichts. Es ist Teil unseres Sozialverständnisses gewesen, dass wir denen helfen, die sich selber nicht helfen können – aber nur, solange sie das nicht können. An diese Dinge muss man ran, auch wenn das nicht populär ist.
Gemeindebund-Chef für „Umkehr“ bei Integration: „über Arbeit deutlich besser lösbar“
Ein weiteres unpopuläres und doch lautstark diskutiertes Thema ist Migration. Wie ist die Lage in den Städten und Gemeinden wirklich?
Die illegale Migration ist zwar aktuell zurückgegangen. Aber Einwanderung ist natürlich kein Tagesgeschäftsthema, sondern beschäftigt uns seit 2015, permanent. Alle, die jetzt da sind, müssen im System betreut werden. Das ist für die Kommunen teils brutal, insbesondere die Frage der Unterbringung. Wir haben Wohnraumknappheit in Deutschland. Und wenn eine Gruppe von Menschen durch gesetzliche Rahmenbedingungen zusätzlich privilegiert ist, dann fördert das natürlich nicht ein gutes Klima in einer Gesellschaft – sondern Ressentiments.
Das bedeutet, dass ein Flüchtling andere Unterbringungsansprüche hat, als jemand, der zum Beispiel seine Arbeit verloren hat und obdach- oder wohnungslos wird. Der Staat hat für die erste Unterbringung der Flüchtlinge zu sorgen. Das ist im anderen Szenario nicht unbedingt der Fall.
Zugleich: Nur ein Teil der Ankommenden haben letztlich wirklich ein Recht auf Asyl. Alles andere können Sie, plakativ gesprochen, unter dem Thema Wirtschaftsmigration zusammenfassen. Und wenn ich dann schaue, wie viel Prozent der Menschen, die schon fünf Jahre da sind, in Lohn und Brot stehen und den eigenen Lebensunterhalt verdienen, dann macht mir das schon Sorge. Auch mit Blick auf das Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung.
Was folgern Sie?
Ich bin der festen Überzeugung, dass über das Thema Arbeit das Thema Integration deutlich besser lösbar ist. Auch das Selbstwertgefühl der Menschen ist ein ganz anderes, wenn sie für ihren Lebensunterhalt im neuen Land etwas tun. Da sind sie vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Das wäre eine Umkehr in der Politik. Aber ohne entsprechende Verankerung im Grundgesetz wird es nicht möglich sein, da Stellschrauben zu drehen.
AfD erobert Ämter auch in der Lokalpolitik: „Man muss Sprechblasen zum Platzen bringen“
Unterdessen besetzt die AfD in Deutschland erste kommunale Spitzenämter. Gibt es da politische Versäumnisse nicht auch im Lokalen?
Tatsache ist zunächst: Wer, in welche Gremien auch immer, gewählt wird, ist gewählt. Das kann uns gefallen oder auch nicht. Wenn man von Versäumnissen reden kann, im Umgang mit extremen Organisationen – da gibt es ja deutlich mehr als die AfD, auch auf der linken Seite – dann, dass wir verlernt haben, die politische Konfrontation mit dem Gegner einzugehen. Man muss die Sprechblasen zum Platzen bringen. Das kann aber nur, wer den Dialog sucht und in der Materie fit ist. Das verlangt enorme Vorbereitung und Selbstdisziplin. Die Bereitschaft dazu sehe ich sehr, sehr gering ausgeprägt. Wir werden uns das trotzdem antun müssen: Um den Menschen zu zeigen, wer wirklich liefern kann und wer nur verspricht.
Wie wichtig sind da auch die lokalen Medien?
Ich glaube, dass die Rolle der Medien eine ganz, ganz wichtige ist – die leider Gottes auch in dieser zunehmend digitalen Welt völlig unterschätzt wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass TikTok, Instagram und Co. eine gewisse Daseinsberechtigung haben. Aber die Komplexität politischer Entscheidungen kann man nicht über Schlagzeilen vermitteln. Sondern da muss Hintergrundinformation her. Ich glaube, dass die Demokratie insgesamt ohne fundierte, umfassende, auch kritische Berichterstattung auf Dauer keine Chance hat. (Interview: Markus Knall und Florian Naumann)