Widerstandskämpfer im Norden von Myanmar (Archivbild)
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Widerstandskämpfer im Norden von Myanmar (Archivbild): Die Rebellen kontrollieren bereits die Hälfte des Landes.

Bürgerkrieg in Südostasien

Drei Jahre nach dem Putsch: „Das Militär ist in Myanmar auf dem Rückzug“

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Im Jahr 2021 putschte sich in Myanmar das Militär an die Macht, seitdem tobt in dem asiatischen Land ein Bürgerkrieg. Die Welt sieht hilflos zu.

Es war ein Putsch mit eigenem Soundtrack. In den frühen Morgenstunden des 1. Februar 2021 tönt ein Elektropopsong über eine Straßenecke im Zentrum von Myanmars Retortenhauptstadt Naypyidaw, Fitnesstrainerin Khing Hnin Wai vollführt zu den pumpenden Beats ihr Aerobic-Programm. Anderthalb Minuten geht das so, im Hintergrund eine Absperrung, die mehrspurige Straße führt zum Parlament des asiatischen Landes. Dann rollen gepanzerte schwarze Fahrzeuge von rechts ins Bild – der Putsch des Militärs, live und in Farbe. Zu sehen ist all das in einem Video, das die Fitnesstrainerin am selben Tag ins Internet hochlädt und das sich millionenfach klicken wird. Der Staatsstreich in Myanmar ist plötzlich nicht mehr nur Thema in der Tagesschau, sondern auch auf TikTok.

Drei Jahre ist das jetzt her, und die Frage ist, wie fest die Militärjunta noch im Sattel sitzt. Richard Horsey, Myanmar-Experte bei der US-Denkfabrik Crisis Group, hält einen Zusammenbruch des Regimes zwar für unwahrscheinlich, sagt aber auch: „Aufgrund der Ereignisse der letzten Monate muss man das nun als eine Möglichkeit in Betracht ziehen.“ Denn in den letzten Monaten sind im gesamten Land Aufstände gegen die Junta ausgebrochen, Myanmar steckt mitten in einem Bürgerkrieg, der laut Vereinten Nationen 2,6 Millionen Menschen zu Vertriebenen im eigenen Land gemacht hat. Fast 19 Millionen Menschen seien auf Hilfslieferungen angewiesen, heißt es von der UNO. Über die Zahl der Toten und Verletzten gibt es keine verlässlichen Angaben, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht aber von „Massentötungen, gewaltsamen Verschwindenlassen, Folter, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt sowie willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen“.

„Operation 1027“: Aufständische feiern Erfolge gegen Myanmars Militärherrscher

Aufstände gegen das Militär gibt es in Myanmar, seit die Generäle dem rund zehn Jahre währenden demokratischen Frühling in dem Land 2021 jäh ein Ende bereiteten. Der Hintergrund: 2015 holte die National League for Democracy (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bei ersten freien Wahlen die Parlamentsmehrheit, bei der Wahl Ende 2020 errang sie gar einen Erdrutschsieg. Doch die noch immer mächtigen Militärs, die Myanmar seit der Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien fast ununterbrochen kontrollierten, putschten sich nur wenige Wochen später an die Macht und sperrten Aung San Suu Kyi und viele andere NLD-Politiker hinter Gitter.

Bis vor wenigen Monaten formierte sich in Myanmar nur vereinzelt versprengter Widerstand gegen die Militärs, seit dem 27. Oktober 2023 aber attackierten drei Widerstandsgruppen, die sich zur sogenannten „Bruderallianz“ zusammengeschlossen haben, Stellungen der Junta in großem Stil. Vor allem in Nordosten des Landes, im Shan-Staat an der Grenze zu China, hat die Junta seit Beginn der „Operation 1027“ die Kontrolle über Dutzende Städte und Ortschaften verloren. Auch im Westen, im Rakhine-Staat, der an Bangladesch grenzt, konnten Rebellengruppen zuletzt beeindruckende Erfolge feiern. Rund die Hälfte des Landes befindet sich laut einem Bericht des Guardian unter Kontrolle verschiedener Widerstandsgruppen.

„Das Militär ist in mehreren Teilen von Myanmar auf dem Rückzug“

„Das Militär ist in mehreren Teilen des Landes auf dem Rückzug“, sagt Analyst Richard Horsey zu IPPEN.MEDIA. „Die bewaffneten Gruppen in diesen Gebieten haben sich seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren, auf ihre Offensiven vorbereitet, indem sie sich in strategischer Geduld übten und in einem Moment der Schwäche des Militärs zuschlugen. Sie sind gut bewaffnet und haben vor allem Drohnenschwärme eingesetzt, um Armeestellungen aus der Luft anzugreifen – eine neue Taktik, auf die das Militär keine gute Antwort hat.“

Täglich berichten Exilmedien wie The Irrawaddy in diesen Wochen von abgeschossenen Militär-Hubschraubern, gefangen genommenen Generälen – und von Überläufern, die der Junta den Rücken kehren und sich den Rebellen anschließen. Unabhängig verifizieren lassen sich die meisten dieser Berichte nicht, aber auch das Militär selbst räumt längst regelmäßig Verluste ein. Nach Beginn der Oktober-Offensive warnte Myanmars Präsident, der von der Junta eingesetzte General Myint Swe, vor einem Zerfall des Landes. Berichten zufolge gehen sogar Teile der Junta auf Abstand zur Armeeführung.

Und auch China, Myanmars großer und mächtiger Nachbar und traditionell ein Verbündeter der Militärjunta, hat sich ein Stück weit von den Generälen losgesagt. Dem Militär war es nämlich nicht gelungen, im Grenzgebiet gegen illegale Betrugszentren vorzugehen, in denen Tausende chinesische Staatsbürger gegen ihren Willen gezwungen werden, ihren Landsleuten mit Kryptowährungsbetrug das Geld aus der Tasche zu ziehen – ein Milliarden-Dollar-Geschäft. Ein Anfang des Jahres von Peking vermittelter Waffenstillstand zwischen der Junta und der „Bruderallianz“ konnte die Kämpfe jedenfalls nicht beenden; auch frühere Vermittlungsversuche der Chinesen verliefen im Sand.

Zukunft von Myanmar offen

Der Westen sieht dem Bürgerkrieg derweil hilflos und weitgehend auch tatenlos zu. So beklagten die Vereinten Nationen kürzlich, dass die internationale Staatengemeinschaft im vergangenen Jahr nur rund ein Drittel der Hilfsgelder, die eigentlich für Myanmar vorgesehen waren, ausgezahlt habe. Zu leiden haben darunter auch die Rohingya, Myanmars muslimische Minderheit, deren Mitglieder größtenteils ins benachbarte Bangladesch vertrieben wurden.

Wie es weitergeht in Myanmar, ist am dritten Jahrestag des Militärputsches weitgehend unklar. Crisis-Group-Experte Horsey verweist darauf, dass die verschiedenen Widerstandsgruppen zwar denselben Gegner hätten, nämlich das Militär. Ansonsten aber hätten sie „ganz unterschiedliche Ansichten über die Zukunft Myanmars“. So geht es manchen Widerstandsgruppen schlichtweg darum, ihren eigenen Einflussbereich auszuweiten, wie Yun Sun von der Denkfabrik Brookings Institution schreibt. Ein geeintes, demokratisches Land dürfte Myanmar so schnell also nicht werden.