Organisierte Kriminalität
Kriminelle Clans ködern Kinder – das unternimmt der Staat dagegen
VonPeter Siebenschließen
Kinder aus Familien, die zu sogenannten kurdisch-libanesischen Clans gehören, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Kriminelle nutzen genau das aus.
Gelsenkirchen – „Nomen est omen“, sagten die alten Römer und meinten: Der Name ist Programm. Für Akin Sat gibt es wohl kaum eine blödere Redensart. Er ist Sozialpädagoge und arbeitet in Gelsenkirchen gemeinsam mit Polizeibeamtinnen und -beamten im Präventionsprogramm „Kurve kriegen“. Seine Klientel sind Kinder und Jugendliche, die schon mehrere Straftaten begangen haben. Die jüngsten sind erst acht, die meisten zwischen elf und 17 Jahre alt. Sat und seine Kollegen wollen verhindern, dass diese Kinder zu Intensivtätern werden. Ein paar von ihnen stammen aus Großfamilien, deren Namen man vielleicht „aus den Medien“ kenne, sagt Sat und meint sogenannte kurdisch-libanesische Clans. Mit organisierter Kriminalität haben seine Schützlinge in der Regel nichts zu tun. Doch allein ihr Nachname führe immer wieder zu Vorurteilen und Problemen. Und das machen sich Kriminelle zunutze.
Familien bekommen keine Wohnung, weil sie den Namen eines Clans tragen
Sat und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten aktuell mit 25 Kindern und Jugendlichen; sieben von ihnen tragen Namen, die im Kontext der sogenannten Clankriminalität immer wieder auftauchen. Die Großfamilien bestehen aus unzähligen Familienzweigen, die oft lose miteinander verwandt sind. Nur einige wenige Subclans sind in der organisierten Bandenkriminalität aktiv – doch viele seien allein aufgrund ihrer familiären Herkunft bereits abgestempelt, erzählt Sat: „Ich kenne Familien, die einfach keine Wohnung bekommen, obwohl sie nichts mit Kriminellen zu tun hat. Der Name allein reicht Vermietern für eine Absage.“
Präventionsprogramm „Kurve kriegen“
► Das Projekt läuft in mehreren NRW-Städten und richtet seinen Fokus auf soziobiografisch stark belastete Kinder und Jugendliche, die bereits mehrfach straffällig geworden sind.
► Das Ziel: Durch Früherkennung soll verhindert werden, dass die Jugendlichen zu Intensivstraftätern werden. Dafür gibt es regelmäßig Antiaggressionstrainings, Hausaufgabenbetreuung und Reflexionsgespräche.
► Wenn sie nach Einschätzung der Pädagoginnen und Pädagogen nicht mehr gefährdet sind, Intensivtäter zu werden, verlassen sie „Kurve kriegen“ als sogenannte Absolventen. Im vergangenen Jahr war das zum Beispiel in Gelsenkirchen bei sieben von acht Abgängern der Fall.
Clankriminelle brauchen „immer jemanden, der die Drecksarbeit macht“
Das präge deren Kinder, die mit einem ständigen Gefühl der Ablehnung aufwachsen. „Die fühlen sich als Deutsche, bekommen aber gespiegelt: Nein, seid ihr nicht.“ Manchmal wird daraus eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. „Die Jungen denken dann: Wenn ich auf diesem Wege nichts werden kann, dann suche ich mir eben andere Wege.“ Genau das nutzen Kriminelle aus den Clans aus – und ködern die Jugendlichen: „Die kennen sich untereinander. Und die Banden brauchen immer jemanden, der die Drecksarbeit macht. Dann sprechen sie Kinder und Jugendliche aus den Familien an. Die werden dann erst mal Laufburschen der Clankriminellen.“
Dabei locken die Banden auch mit dem schnellen Geld und Luxus. In den sozialen Netzwerken gibt es sogar Influencerinnen und Influencer aus dem kriminellen Clan-Milieu: Gezielt sprechen sie ein jugendliches Publikum an und propagieren einen kriminellen Lifestyle – dicke Autos, teurer Schmuck, Glamour. „Das kann Jungs in dem Alter schon reizen“, sagt Akin Sat. Er bringt dann immer wieder positive Gegenbeispiele. Etwa von einem seiner ehemaligen Schützlinge, der jetzt eine Ausbildung macht. „Da kommen sie vielleicht nicht so schnell wie mit Diebstahl an das dicke Auto, das sie sich wünschen. Dafür haben sie ein Leben und echte Wertschätzung. Das vermitteln wir den Jugendlichen.“
Clankriminalität
► Wenn die Rede von kriminellen Clans ist, sind in Deutschland oft kriminelle Mitglieder von Großfamilien mit kurdisch-libanesischen Wurzeln gemeint. Die meisten Menschen aus diesen Familien sind nicht kriminell. Wenige Subclans aber haben sich zu Gruppierungen zusammengeschlossen, die Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität begehen.
► Viele gehören den sogenannten Mhallami an, einer arabischstämmigen Volksgruppe. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben, kamen dann in den Libanon. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
► Als Staatenlose erhielten sie den Duldungsstatus, viele konnten keiner geregelten Arbeit nachgehen. Experten sehen in der Perspektivlosigkeit einen Grund dafür, dass sich kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.
In der Regel bleiben die straffälligen Jugendlichen mindestens zwei Jahre im Präventionsprogramm. Das Projekt basiert auf Freiwilligkeit, die Eltern müssen mitziehen: „Die wollen nicht, dass ihre Kinder mit den kriminellen Clans zu tun haben“, sagt Sat. Beim harten Kern der Familien, die in die Kriminalität involviert sind, habe man indes gar keine Chance: „Mit denen müssen Sie gar nicht erst reden.“ Straftaten und im Zweifel auch ein Gefängnisaufenthalt gehören dort zur Familienehre.
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