Was ein Einmarsch in Gaza bedeuten würde
Krieg gegen Hamas: Israel plant womöglich Bodenoffensive – wie gefährlich ist das?
- VonBettina Menzelschließen
Die Hamas-Angriffe forderten in Israel so viele Opfer wie noch nie seit Gründung des Staates. Netanjahu kündigte Rache an – ist eine umfassende Bodenoffensive der nächste Schritt?
Gaza – Die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas startete am Samstag einen Großangriff auf Israel. Bei den Attacken und den darauf folgenden Gegenangriffen starben biszum Sonntagabend bereits über 600 Menschen auf israelischer Seite und mehr als 370 im Gazastreifen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief den Kriegszustand aus und schwor am Sonntag „mächtige Rache für diesen bösen Tag“. Israel könnte nun eine Bodenoffensive auf den Gazastreifen planen – was mit großen Risiken behaftet wäre.
Krieg in Israel: Das deutet auf eine israelische Bodenoffensive in Gaza hin
Israel befindet sich im Krieg. In der Nacht auf Sonntag bombardierte das Land als Reaktion auf die Hamas-Großangriffe Wohnblocks, Tunnel, eine Moschee und Häuser von Hamas-Funktionären im Gazastreifen. 800 Ziele sollen laut israelischen Angaben angegriffen worden seien. Ministerpräsident Netanjahu schwor Rache. Um dieses Versprechen einzulösen, könnte Israel bald die größte Bodenoperation seit Jahrzehnten starten, wie etwa das Nachrichtenportal Al Jazeera berichtete. Denn die israelische Regierung versprach, dass die bevorstehende Offensive gegen die Hamas viel weiter gehen werde als die Operationen gegen Militante im Gazastreifen seit 2008.
„Wir werden die Realität vor Ort in Gaza für die nächsten 50 Jahre verändern“, erklärte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant. „Was vorher war, wird nicht mehr sein. Wir werden mit voller Kraft operieren.“ Der Krieg werde Zeit in Anspruch nehmen und schwierig werden, kündigte indes Ministerpräsident Netanjahu an. Das bereite die Öffentlichkeit auf eine große Operation vor, die sich nicht allein auf Luftangriffe und Artillerie verlasse, analysierte Forbes. Zuletzt war Israel 2014 in Gaza einmarschiert. Das Ziel damals: Die Tunnel der Terrororganisation zu zerstören. Das Ziel heute – zumindest wenn es nach radikalen Kräften in Israel geht: Die radikal-islamische Gruppe auslöschen. In jedem Fall wohl: Die Führungsspitze der Hamas töten.
Israels möglicher Einmarsch in Gaza: Diese zwei großen Bodenoffensiven Israels gab es in der Vergangenheit
Was genau Israel plant, wissen nur die Regierung selbst und wenige Insider. Ein Blick in die Vergangenheit hilft jedoch, Israels früheres Vorgehen zu analysieren. Der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern ist lang und komplex. Forbes führt als Beispiel einer umfassenden Bodenoperation „Frieden für Galiläa“ im Libanonkrieg im Jahr 1982 an. Damals marschierten israelische Soldaten in den Südlibanon ein, um Kämpfende der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO weiter ins Inland zu drängen und sie so davon abzuhalten, nordisraelische Städte zu attackieren. Statt den ursprünglich geplanten rund 60 Kilometern erreichten israelische Truppen die libanesische Hauptstadt Beirut und belagerten sie.
Die Mission war scheinbar erfüllt, denn die Führung der PLO siedelte nach Tunesien um. Doch unter der Zivilbevölkerung gab es viele Opfer. Und die Operation führte zu einem Erstarken der Hisbollah, die nun auch im aktuellen Israel-Hamas-Krieg eine Rolle spielt. Der Vergleich hinkt zudem in einem Punkt: Damals begann Israel den Krieg, ohne unmittelbar angegriffen worden zu sein. Wenngleich sich Israel und der Libanon seit 1948 im Krieg befinden – und damit seit dem Gründungsjahr des jüdischen Staates. Eine weitere umfassende Bodenoffensive führte Israel im Jahr 2002 im Rahmen der Operation „Defensive Shield“ (zu Deutsch: „Schutzschild“) im Westjordanland durch, belagerte palästinensische Städte und verhaftete über 700 Menschen.
Möglicher Versuch der Befreiung der Geiseln im Israel-Krieg äußerst schwierig
Hunderte Hamas-Kämpfer waren am Samstag überraschend über Land, Luft und das Meer nach Israel eingedrungen. Die Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften Gruppierung marschierten in Kibbuze und Städte ein und töteten Menschen auf der Straße und in ihren Häusern. Zudem nahmen die Kämpfer über hundert Menschen aus Israel als Geiseln und verschleppten sie in den Gazastreifen. Der Sicherheitsapparat des jüdischen Landes, insbesondere das Militär und die Geheimdienste Mossad und Schin Bet stehen in der Kritik, da sie augenscheinlich von dem Großangriff überrascht wurden.
Die Befreiung der verschleppten Israelis dürfte sich als äußerst schwierig bis unmöglich erweisen – selbst für die gut ausgebildeten Spezialeinheiten des Landes. Bei einer israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen könnten die Geiseln Experten zufolge als menschliche Schutzschilde benutzt werden. Ebenso könnte die Hamas versuchen, die verschleppten Israelis im Tauschgeschäft gegen inhaftierte Islamisten anzubieten. Dafür gibt es Präzedenzfälle: So wurde etwa der in Gaza gefangen gehaltene israelische Soldat Gilad Schalit gegen mehr als tausend Palästinenser getauscht, die in der Folge aus israelischen Gefängnissen freikamen.
Mögliche Bodenoffensive Israels im Gazastreifen: Unterirdisches Tunnelsystem der Hamas birgt hohes Risiko
Risiken bei einem Einmarsch nach Gaza birgt auch das unterirdische Tunnelsystem, das die Hamas über Jahre und Jahrzehnte hinweg anlegte. Die Einstiege sind etwa unter Wohnhäusern und Moscheen verborgen, die Zugänge und Häuser teils vermint. Zuletzt startete Israel im Jahr 2014 im Gazastreifen eine Invasion, um die Tunnelsysteme der Gruppierung zu zerstören. Das Ziel erreichte Israel damals nur teilweise, die Truppen kamen langsam voran. Eine weitere Gefahr geht von der mit der Hamas verbündeten libanesischen Hisbollah-Miliz aus. Sollte Israel bei einer Bodenoffensive etwa große Fortschritte erzielen oder den Gazastreifen sogar besetzten, könnte die Hisbollah eine nördliche Front im Gazastreifen öffnen, schätzt Forbes in seiner Analyse.