In Peking traf Antony Blinken am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping.
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In Peking traf Antony Blinken am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping.

Peking-Besuch von Außenminister Blinken

„Kooperation oder Konflikt“: China sieht Beziehungen zu den USA am Scheideweg

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Konkrete Fortschritte gab es nicht, aber doch so etwas wie Entspannung: Der China-Besuch von US-Außenminister Blinken endete am Dienstag mit einem Gespräch mit Xi Jinping.

München/Peking – Die Erwartungen an die China-Reise von US-Außenminister Antony Blinken waren gering. „Es geht nicht um konkrete Ergebnisse“, sagte der China-Analyst Andrew Small von der US-Denkfabrik German Marshal Fund vor wenigen Tagen unserer Redaktion. „Beide Seiten wollen aber zumindest in der Lage sein, miteinander zu verhandeln, und dafür sorgen, dass es funktionierende Gesprächskanäle auf höchster Ebene gibt.“ Insofern kann man zum Abschluss von Blinkens zweitägigem Peking-Besuch sagen: Mission erfüllt.

Es war der erste Besuch von Antony Blinken in China und die erste Reise eines US-Außenministers in die Volksrepublik seit fünf Jahren. Eigentlich wollte Blinken bereits im Februar nach Peking fliegen, sagte den Besuch dann aber kurzfristig ab, nachdem ein chinesischer Spionageballon über den USA entdeckt worden war. Nun traf er in Peking nicht nur seinen Amtskollegen Qin Gang und Pekings obersten Diplomaten Wang Yi, sondern am Dienstagnachmittag (Ortszeit) überraschend auch Staats- und Parteichef Xi Jinping.

In der Großen Halle des Volkes im Zentrum Pekings drückte Xi seine Hoffnung aus, dass Blinkens Besuch „einen weiteren positiven Beitrag zur Stabilisierung der Beziehungen zwischen China und den USA leisten“ werde. Man habe „Fortschritte gemacht und eine Einigung über einige spezifische Fragen erzielt“, sagte Xi, ohne Details zu nennen. „Das ist sehr gut.“ Die Welt sei groß genug für „die Entwicklung und den gemeinsamen Wohlstand Chinas und der Vereinigten Staaten“.

US-Außenminister in Peking: „Offene“ Gespräche und viel Konfliktpotential

Was auf dem Spiel steht, wenn zwei Supermächte auf Konfrontationskurs gehen, machte vor dem Treffen mit Xi am Dienstag Wang Yi deutlich, der oberste Außenpolitiker der Kommunistischen Partei Chinas. Beide Länder stünden vor der Entscheidung, ob sie künftig auf „Dialog oder Konfrontation, Kooperation oder Konflikt“ setzen, sagte Wang in dem gut zweistündigen Gespräch mit Blinken, das im Gästehaus der chinesischen Regierung stattfand.

Am Sonntag hatte Blinken zunächst fünfeinhalb Stunden mit seinem Amtskollegen Qin Gang gesprochen, gefolgt von einem gemeinsamen Abendessen. „Offen, substantiell und konstruktiv“ seien die Gespräche gewesen, hieß es anschließend aus dem US-Außenministerium. Fast wortgleich („offen, ausführlich und konstruktiv“) äußerte sich die chinesische Seite.

Vor ein paar Tagen noch war der Tonfall ein ganz anderer gewesen, als Qin von seinem US-Kollegen am Telefon unverblümt gefordert hatte, die USA müssten „Respekt“ vor China zeigen und sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ des Landes einmischen. Auch wenn die Gesprächsatmosphäre nun offenbar besser war: In der Sache gab sich Qin weiterhin kompromisslos. Vor allem in der Taiwan-Frage – „Chinas Kerninteresse“ – müssten die USA den chinesischen Standpunkt respektieren, sagte Qin. Der Streit um Taiwan sei „das wichtigste Thema in den Beziehungen zwischen China und den USA“ und berge „das größte Risiko“ für eine Konfrontation.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Taiwan-Frage spaltet China und die USA

China betrachtet das demokratisch regierte Taiwan als abtrünnige Provinz, die notfalls gewaltsam mit dem Festland vereinigt werden soll. Washington müsse sich an das „Ein-China-Prinzip“ halten und dürfe Bestrebungen innerhalb Taiwans, formell die Unabhängigkeit von Peking zu erklären, nicht unterstützen, sagte Qin nun. Blinken wiederum pochte darauf, dass auch China „die auf Regeln basierende internationale Ordnung“ respektieren müsse. Gemünzt war das wohl nicht nur auf den Taiwan-Konflikt, der laut Washington nur friedlich gelöst werden könne. Auch Chinas Drohgebärden im Südchinesischen Meer betrachten die USA seit geraumer Zeit mit Sorge.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien auf einem Tiefpunkt angekommen, erklärte denn auch Außenpolitiker Wang Yi am Dienstag, und schuld daran sei Washington. „Die USA haben ein falsches Bild von China, was zu einer falschen Politik gegenüber China führt“, so der Außenpolitikzar, der bis vor kurzem Außenminister gewesen war. Die USA müssten folglich „gründlich nachdenken“, um „Differenzen zu bewältigen und strategische Unfälle zu vermeiden“.

Das war Drohung und Aufforderung zugleich: Sollte es tatsächlich zu einem Zwischenfall zwischen China und den USA kommen, ob nun mit Kalkül oder aus Versehen – Schuld wären aus chinesischer Sicht in jedem Fall die Amerikaner und nicht etwa Pekings militärische Muskelspiel rund um Taiwan. Gleichzeitig ist aber auch China klar, dass es verlässliche Gesprächskanäle braucht, um eben solche Missverständnisse zu vermeiden.

Außenminister Blinken in China: Immerhin, sie reden wieder miteinander

In der jüngeren Vergangenheit hat das nicht immer geklappt: Nachdem die USA im Februar den chinesischen Spionageballon abgeschossen hatten, versuchte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin vergeblich, seinen chinesischen Amtskollegen über den Abschuss zu unterrichten. Als er über eine extra für solche Zwecke eingerichtete Krisenhotline die Nummer des Pekinger Ministers Wei Fenghe wählte, nahm der einfach nicht ab. Sollte Antony Blinkens Besuch in Peking nun dazu beitragen, dass sich solche Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen, es wäre schon viel gewonnen.