Klimaprotest vor dem Brandenburger Tor.
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Weltweit demonstrieren Menschen seit Jahren für einen besseren Schutz des Klimas (Symbolbild).

Analyse

Klimaziel 2040: Warum die Europawahl die Pläne zunichtemachen könnte

  • VonLukas Scheid
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Das Klimaziel für 2040 zu verabschieden und umzusetzen, wird Aufgabe des nächsten EU-Parlaments sein. Und das dürfte anders ticken als das jetzige.

Die Verabschiedung der zahlreichen Green-Deal-Gesetze im Europäischen Parlament war durch eine komfortable Mehrheit jener Parteien möglich, die klimapolitisch ernsthaft etwas bewegen wollten. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne waren sich selten komplett einig. Kompromisse wurden meist hart erkämpft und nicht von allen akzeptiert, aber sie waren möglich. Dieser grundsätzliche Konsens bekam allerdings bereits im vergangenen Jahr erste Risse, als die EVP vehement neue Naturschutzgesetze bekämpfte und die Mehrheiten dafür auch rechts von ihr fand.

2024 dürfte es nicht leichter werden, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu organisieren. Bei der Europawahl im Juni wird die rechte Seite des Parlaments voraussichtlich wachsen. Die Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, S&D und Renew könnte zwar weiterhin eine knappe Mehrheit behalten, allerdings bräuchte sie schon bei wenigen Abweichlern aus den eigenen Reihen Unterstützung aus anderen Gruppen.

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2040er-Ziel: Parlament zunächst machtlos

Auswirkungen könnte das vor allem für das EU-Klimaziel für 2040 haben. Am 6. Februar will die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein neues CO₂-Reduktionsziel mitteilen – inklusive einer Folgenabschätzung. Der EU-Klimabeirat empfahl 90 bis 95 Prozent gegenüber dem Stand von 1990. Nach den Ankündigungen des Klimakommissars Wopke Hoekstra wird die Zielmarke aller Voraussicht nach bei 90 Prozent angesetzt werden. Es handelt sich jedoch nur um die sogenannte „Kommunikation“ des numerischen Ziels. Es ist zwar bindend für die nächste Kommission, aber es ist noch kein legislativer Vorschlag.

Das aktuelle Parlament hat also noch kein Mitspracherecht und kann lediglich eine nicht rechtlich bindende Resolution verabschieden. Der Legislativvorschlag der Kommission zur Umsetzung des festgelegten Ziels folgt voraussichtlich erst gegen Ende des Jahres unter der neuen Kommission. Das bedeutet, dass sich auch erst das neue EU-Parlament mit einer eigenen Verhandlungsposition befassen kann.

Peter Liese, klimapolitischer Sprecher der EVP, hat bereits angedeutet, dass seine Fraktion sich auch ein niedrigeres Ziel als 90 Prozent vorstellen könnte. Ob das Wahltaktik ist, um sich nicht zu früh festzulegen, oder ob er bereits versucht, das Ziel nach unten zu drücken, wird man sehen. Klar ist aber: Es läuft auf Konfrontation hinaus. Die Grünen im EP wollen das Ziel lieber am oberen Ende der Empfehlungen des Klimabeirats ansiedeln, bei 95 Prozent.

CO₂-Management-Strategie kommt auch im Februar

Auf welches Ziel sich die einzelnen Fraktionen einlassen wollen, hängt auch unmittelbar davon ab, wie viele Treibhausgasemissionen durch CO₂-Abscheidung und Speicherung (CCS) vermieden werden können. Zusammen mit der Kommunikation für das 2040er-Klimaziel stellt die Kommission ihre CO₂-Management-Strategie vor. Darin wird die Rolle von CCS für die künftigen Klimaziele der EU genauer definiert.

Grüne und Sozialdemokraten wollen CCS nur in einem eng definierten Bereich zulassen – in Sektoren, die ohne CCS nicht oder nur sehr schwer dekarbonisiert werden können. Vor allem im Stromsektor wollen sie die Investitionen stattdessen in Erneuerbare und die Elektrifizierung fließen lassen. Die EVP wirbt für einen flächendeckenden Einsatz von CCS, weit über die sogenannten „hard to abate“-Sektoren hinaus, um eine größere Anzahl von Wirtschaftssektoren von hohen Transformationskosten zu schützen.

Sie beruft sich auf die Berichte des Weltklimarats IPCC, der CCS als Notwendigkeit zur Erreichung der Klimaziele beschreibt. Allerdings heißt es auch vom IPCC, dass CCS priorisiert dort eingesetzt werden müsse, wo andere Dekarbonisierungsmöglichkeiten nicht ausreichen.

Daraus entsteht ein Dilemma: Ein hohes Einzelziel für CCS lehnen Grüne und Sozialdemokraten strikt ab, könnte die EVP aber dazu bewegen, einem höheren CO₂-Reduktionsziel zuzustimmen. Ein weiter rechtsstehendes EU-Parlament könnte dieses Dilemma noch verschärfen, wenn es keine Kompromisse beider Lager mehr braucht, um eine Mehrheit zu finden.

Ball liegt schon jetzt bei den Ländern

Anders als das Parlament, das sich erst nach der Wahl mit dem 2040-Ziel ernsthaft befassen kann, haben die Mitgliedstaaten schon jetzt Möglichkeiten, dem Entscheidungsprozess vorzugreifen. Die dänische Regierung ist bereits vorgeprescht und hat sich hinter ein 90-Prozent-Ziel gestellt. Andere Länder könnten bald folgen. Die neue belgische Ratspräsidentschaft könnte das Thema zudem auf die Agenda beim Umweltrat im März setzen, um die Stimmung für das nächste EU-Klimaziel abzuklopfen.

Das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni, bei dem die Strategische Agenda 2024–2029 des Rates festgelegt wird, könnte einen weiteren Schritt machen. Der Rat könnte sich im Energieteil des langfristigen Strategiepapiers bereits auf einen langfristigen Treibhausgasreduktionspfad einigen, mitsamt einer Zielmarke für 2040. Dies möglicherweise auch in Antizipation eines EU-Parlaments, das weiter rechts und Klimapolitik ablehnender gegenüber steht. Denn das Treffen findet kurz nach der Wahl statt. Es obliegt an dieser Stelle dem Ratspräsidenten Charles Michel, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

Linda Kalcher, Direktorin des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives, sieht auch für die derzeitigen Parlamentsfraktionen eine Möglichkeit, noch vor der Wahl in den Entscheidungsprozess des nächsten Parlaments einzugreifen. Dafür müssten sie sich allerdings schon jetzt auf eine Zielmarke für 2040 festlegen: „Wenn die Parteien eine Zahl in ihre Wahlprogramme für die Europawahl schreiben, dann gilt diese auch für die Abgeordneten des nächsten Parlaments“, sagt Kalcher.

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