Versammlungsfreiheit in Gefahr?
Unterdrückung von Klimaaktivisten: Amnesty stellt Deutschland erstmals auf Ächtungsliste
VonRobert Wagnerschließen
Amnesty beobachtet mehr Repression gegen Protestierende – vor allem gegen Klimaaktivisten. Erstmals wird Deutschland auf einer Liste angeprangert – zusammen mit dem Iran.
Berlin - Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beobachtet eine zunehmende Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Deutschland. Auf einer am Dienstag (19. September) veröffentlichten digitalen Weltkarte führt die NGO Länder auf, in denen Proteste vonseiten des Staates auf undemokratische Weise unterdrückt und niedergeschlagen werden, wie es in einer Pressemitteilung heißt.
Auf dieser „Protest Map“ listet Amnesty erstmals auch Deutschland als ein Land auf, in dem die Versammlungsfreiheit „durch Präventivhaft, Schmerzgriffe, repressive Gesetzgebung und Versammlungsverbote“ zunehmend eingeschränkt werde. „In Deutschland werden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrgenommen und deshalb eingeschränkt. Das bereitet uns große Sorge“, sagt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland.
Amnesty International über Deutschland: Klimaaktivisten werden Opfer „zunehmender Repressionen“
Hierzulande seien vor allem Klimaaktivisten „zunehmenden Repressionen“ ausgesetzt. In Bayern seien seit Oktober 2022 Dutzende Aktivisten, meist von der Klimabewegung „Letzte Generation“, für bis zu 30 Tage in Präventivhaft genommen worden. Statt, wie eigentlich gedacht, zur Verhinderung schwerer Straftaten werde diese Maßnahme zu Abschreckungszwecken eingesetzt, so Zimmermann. „Dies umgeht das Recht auf ein faires Verfahren und stellt eine Menschenrechtsverletzung dar.“ Mit der Razzia gegen die „Letzte Generation“ im vergangenen Mai sah Amnesty „eine neue Eskalationsstufe erreicht“.
Auch präventive Versammlungsverbote seien in einigen Städten Deutschlands erlassen worden, um unliebsame Klimaproteste im Vorfeld zu unterbinden. Auch propalästinensische Kundgebungen in Berlin anlässlich des Nakba-Gedenktages seien 2022 und 2023 präventiv verboten worden. Amnesty kritisiert solche Versammlungsverbote „aufgrund ihrer Pauschalität als unverhältnismäßig“ und stuft sie in menschenrechtlicher Hinsicht als bedenklich ein, da „sie sich auf stigmatisierende und diskriminierende Stereotype beziehen.“
Trotz Klimaprotest: Amnesty International appelliert – „Versammlungsfreiheit in Deutschland schützen“
Amnesty spricht auch von „übermäßiger Polizeigewalt“, die wiederum besonders Klimaaktivisten betreffen würde. Schmerzhafte Spezialgriffe, Schmerzgriffe genannt, würden gezielt eingesetzt, um deren Protestaktionen aufzulösen. Diese Praxis, gegen friedliche Protestierende eingesetzt, verstoße gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. „In einigen Fällen können diese Techniken sogar eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung darstellen und damit gegen das Folterverbot verstoßen“, sagt Zimmermann.
Gewalt gegen Aktivisten, Sachbeschädigung und Blockaden: Die Proteste der „Letzten Generation“ in Bildern




Insagesamt würde Protest als solcher in Deutschland „teils kriminalisiert und dämonisiert, statt ihn als Menschenrecht zu achten und als Kern einer lebendigen Zivilgesellschaft anzuerkennen“, so die Amnesty-Funktionärin Zimmermann. „Wir appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, die Versammlungsfreiheit in Deutschland umfassend zu schützen.“
Amnesty International sieht einen weltweiten Trend zu mehr Repression gegen Protestierende
Deutschland ist lauf Amnesty mit seinem Trend zu mehr Repression gegen Protestierende nicht allein, auch wenn sich das Ausmaß der Repression vergleichsweise in Grenzen hält. Die Menschenrechtsorganisation stellt eine weltweite Zunahme staatlicher Unterdrückung von Protesten fest. Für die „Protest Map“ wurden 156 Länder untersucht. In mindestens 86 von ihnen seien die Behörden mit „unrechtmäßige Gewalt“ und „repressiven Gesetzen“ gegen Proteste vorgegangen.
In 79 Ländern seien Protestierende willkürlich inhaftiert und in 37 Ländern sogar tödliche Waffen eingesetzt worden. So seien in Peru 49 protestierende Menschen von Sicherheitskräften getötet worden. Besonders schlimm sei die Situation im Iran. Das dortige Regime habe Hunderte ermordet und Zenhntausende, darunter Kinder, willkürlich inhaftiert. Zahlreiche Menschen seien in der Haft gefoltert und auch mittels sexualisierter Gewalt misshandelt worden.
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