90.000 offene Stellen weniger

Weniger freie Stellen trotz Fachkräftemangel und hoher Arbeitslosigkeit: Wie passt das zusammen?

  • Andreas Schmid
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Überall ist von Fachkräftemangel die Rede. Tatsächlich aber sind weniger offene Stellen auf dem Markt. Bedarf nach neuen Arbeitern haben vor allem fünf Branchen.

Berlin – Jeden Monat veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit einen Bericht zur Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Im Vergleich zum November 2022 sind aktuell 90.000 Stellen weniger auf dem Markt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) berichtet von einer „anhaltenden Flaute der deutschen Wirtschaft“, die am Arbeitsmarkt ihre Spuren hinterlasse.

Arbeitslosenquote steigt

Insgesamt hat sich der Bestand offener Stellen im Jahresvergleich um elf Prozent reduziert, sagt Ulf Rinne, Arbeitsmarktforscher am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Er beobachtet einen doppelseitigen Trend. „So ist die Erwerbstätigkeit in Deutschland zwar weiter auf einem historischen Höchststand, aber es ist hier seit Jahresmitte kein nennenswertes Wachstum mehr zu verzeichnen.“ Die Zahl der Erwerbstätigen ist geringfügig um 15.000 gestiegen und liegt bei 46,26 Millionen. „Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit seit geraumer Zeit, und es ist insgesamt eine reduzierte Arbeitsmarktdynamik festzustellen.“

Die Arbeitslosigkeit ist zwar im November 2023 – wie in den Herbstmonaten üblich – gesunken. Mit einem Minus von 1.000 fällt der Rückgang für einen November aber sehr gering aus. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es 172.000 Arbeitslose mehr. Insgesamt sind es derzeit 2,6 Millionen Menschen in Deutschland. Freie Arbeitsstellen gibt es bei der BA aber nur 733.000. Heißt: Für weniger als 30 Prozent der Arbeitslosen gibt es über die BA einen Job. „Arbeitslose Menschen haben nach wie vor sehr niedrige Chancen auf eine neue Beschäftigung“, erklärt die BA auf Nachfrage.

2,6 Millionen Arbeitslose: Deshalb ist die Zahl in der Realität höher

Die Bundesagentur für Arbeit gibt neben der Zahl der Arbeitslosen noch einen weiteren Faktor an: die Unterbeschäftigung. Sie umfasst Arbeitslose, die nicht als arbeitslos im Sinne des Sozialgesetzbuches gelten, weil sie Teilnehmer an einer Maßnahme der Arbeitsförderung oder kurzfristig erkrankt sind. Die Unterbeschäftigung lag im November 2023 bei 3.448.000 Personen. Das waren 176.000 mehr als vor einem Jahr. Ohne die Berücksichtigung ukrainischer Geflüchteter hätte die Unterbeschäftigung nur um 122.000 über dem Vorjahreswert gelegen.

Diese Dynamik begründet sich vor allem in der wirtschaftlichen Lage Deutschlands, wie auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg meint. Die aktuelle Situation sei „kein Arbeitsmarkteinbruch, aber ein Dämpfer“, sagt Weber im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass die Nachfrage an Arbeitskräften sinkt, liegt laut Weber an der Energiekrise und der Schwächung der Wirtschaft. „Wir haben seit Monaten eine Abschwächung der Nachfrage, kommen aber von einem sehr hohen Niveau.“ In der Zeit nach den Corona-Einschränkungen habe es einen enormen Anstieg des Arbeitskräftebedarfs gegeben. Das ist nun anders. „Durch die Inflation sank die effektive Kaufkraft“, sagt Weber. Das merke man etwa in der Gastronomie. Die Menschen gehen seltener zum Essen, die Betriebe benötigen weniger neues Personal. 

Fachkräftemangel? Diese Branchen suchen nach neuen Mitarbeitern

Insgesamt gebe es nach wie vor eine „Situation mit sehr viel offenen Stellen“, meint Weber. Von der Bundesagentur für Arbeit heißt es dazu: „Es kann zwar nicht von einem allgemeinen Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel gesprochen werden, es zeigen sich aber deutliche Anspannungen und Engpässe in bestimmten Berufen.“ Etwa in der Pflege, im Bau und Handwerk oder der IT-Branche. Laut Arbeitsmarktforscher Rinne suchen zudem Berufsgruppen im Verkauf und der Logistik sowie der Energietechnik händeringend nach neuen Kräften. Unternehmen haben in vielen Bereichen also weiterhin große Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen.

Warum das nicht gelingt, liegt laut Rinne an „Passungsproblemen auf dem deutschen Arbeitsmarkt“. Heißt: „Dass Bewerberinnen und Bewerber dem Arbeitsmarkt nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen – oder dass sie mit ihren Qualifikationen oder bisher ausgeübten Berufen nicht zu den Tätigkeitsprofilen der von den Betrieben neu ausgeschriebenen Stellen passen.“

Es gibt allerdings auch positive Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Laut Weber gibt es deutlich weniger Entlassungen als früher. „Danach hätten wir uns früher alle zehn Finger geleckt.“ Die Betriebe hätten Sorge davor, die Stelle nicht wieder besetzt zu bekommen. Deshalb haben viele Beschäftigte ihren Job aktuell sicherer als früher. (as)

Rubriklistenbild: © IMAGO / Bihlmayerfotografie

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