Interview

Armin Laschet über Krieg in Israel: Warum die „regelrechte Invasion“ der Hamas gerade jetzt kommt

  • Anne-Christine Merholz
    VonAnne-Christine Merholz
    schließen

Warum hat die Hamas gerade jetzt Israel überfallen und wie konnte das Land von den Terroristen so eiskalt erschwischt werden?

München – Nach den Angriffen der Hamas am Wochenende mobilisiert Israel für den Krieg gegen die im Gazastreifen herrschende islamistische Terrororganisation rund 300 000 Reservisten. Dies sei die größte Mobilisierung in der israelischen Geschichte in so kurzer Zeit, bestätigte ein Armeesprecher am Montag. Die Hamas hatte bei ihrem Großangriff auf das israelische Grenzgebiet unter Zivilisten das schlimmste Blutbad seit der israelischen Staatsgründung angerichtet. Dabei wurden mindestens 700 Menschen getötet und rund 2400 (Stand 12.00 Uhr am 9. Oktober) weitere verletzt.

Im Interview erklärt der Bundestagsabgeordnete, ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende des von ihm neu gegründetem Vereins zur Förderung des Abraham Prozesses für Frieden und regionale Integration e.V, Armin Laschet die Hintergründe.

Krieg in Israel: Warum der Hamas-Angriff gerade zu diesem Zeitpunkt kommt

Der Angriff der Hamas scheint aus dem Nichts zu kommen, warum gerade jetzt?
Der Angriff der Hamas hat das Ziel, die fortschreitenden Annäherungen Israels mit seinen arabischen Nachbarn zu stören. 2020 haben Israel und vier arabische Staaten in den Abraham Accords diplomatische Beziehungen aufgenommen und lebendige zwischenstaatliche Kooperationen geschaffen. Auch mit Saudi-Arabien gibt es Annäherungen. All dies geht gegen die Interessen des Iran, der Unterstützer der Hamas. Die Angriffe sind ein Zeichen der Hamas und des Irans, dass sie jeden Friedensversuch torpedieren werden. 

Krieg in Israel: „Dieser Angriff hat eine neue Qualität“

Wie unterscheidet sich dieser Angriff von anderen der Hamas?
Dieser Angriff hat eine neue Qualität. Die Hamas hat nie zuvor eine Bodenoffensive gestartet. Die Grenze zwischen Gazastreifen und Israel gilt als eine der am besten gesicherten Grenzen der Welt. Kaum jemand hätte einen solchen Durchbruch für möglich gehalten.  Es hat über provisorisch gegrabene Tunnel und über Ballons schon vorher Angriffe außerhalb der Raketenangriffe gegeben, aber noch nie hat eine regelrechte Invasion mit einem Durchbruch der Sperranlagen auf breiter Front stattgefunden. Und noch nie seit dem Holocaust sind so viele Juden ermordet worden, nur weil sie Juden sind. 
Warum wurde Israel und der israelische Geheimdienst so massiv überrascht? 
Das wird sicher in Israel eine Diskussion auslösen: wieso waren wir darauf nicht vorbereitet? Wieso haben wir nicht die Informationen gehabt? Aber diese Fragen stellt im Moment niemand. Jetzt gerade steht die Verteidigung im Mittelpunkt. Aber man wird für die Zukunft so etwas niemals mehr zulassen wollen. 
Vom Iran kamen Glückwünsche an die Terroristen, Katar gibt Israel die alleinige Schuld. Das bedeutet dieser Krieg jetzt für die Stabilität im Nahen Osten?
Die Stimmung ist auf jeden Fall angespannt. Aus dem Libanon werden durch die Hisbollah Raketen auf den Norden Israels abgefeuert. Bisher bleiben dies aber sehr überschaubare Angriffe. Auch in Ägypten scheint es antiisraelische Bekundungen zu geben, leider sogar bis hin zu einem Anschlag auf israelische Touristen. 
Aber die ägyptische Regierung ruft zur Zurückhaltung auf und warnt vor einer Eskalation. Israel und der Hamas gegenüber haben sie Vermittlungen angeboten, eine Rolle die Ägypten schon zuvor eingenommen hat und dies wieder tun könnte. Auch Saudi-Arabien ruft zur Zurückhaltung auf und mahnt, keine zivilen Ziele anzugreifen, was ein deutlicher Verweis auf die Taten der Hamas ist. Alle Staaten in der Region gehen offenbar behutsam vor, um die Gewalt nicht weiter zu eskalieren.

Hamas-Angriff: Woher kommen die Mittel der Terrororganisation für den Krieg in Israel

Woher hat die Hamas die finanziellen Mittel, um Israel anzugreifen?
Die Hamas ist ohne die Unterstützung aus dem Ausland nicht handlungsfähig. Insbesondere der Iran spielt dabei eine Rolle. Das betrifft finanzielle Hilfen, die Lieferung von Waffensystemen, die Ausbildung von Kämpfern und die strategische Vorbereitung. Und der Führer der Hamas führt ein Luxusleben in Qatar und hält von dort aus seine Hetzreden gegen Juden. 
Was muss die Bundesregierung tun?
Die Bundesregierung hat klar die Unterstützung und Solidarität Deutschlands für Israel betont. Jetzt muss geprüft werden, inwiefern Steuergelder für die Palästinensische Autonomiebehörde reduziert werden können. Jegliche Terrorförderung muss ausgeschlossen werden. Nur zweckgebundene Nothilfe für die Zivilbevölkerung ist vertretbar. Der Antisemit Abbas ist nicht willens und in der Lage, die Hamas zu stoppen, die auch die Palästinensische Bevölkerung in Gaza selbst terrorisieren und unterdrücken und eine islamistische und militante Ideologie verfolgt. 
Was muss die Europäische Union jetzt tun?
Im EU-Parlament gibt es eine latent unreflektierte Sympathie für die Palästinenser, die oftmals blind für extremistische Tendenzen ist. Daraus entsteht eine unkontrollierte Unterstützung durch EU-Gelder, die auch immer wieder für Terrorismus missbraucht werden könnten. Ich habe selbst dazu vor vielen Jahren einen Untersuchungsausschuss geleitet. Hier muss man viel genauer hinschauen und die humanitäre und entwicklungspolitische Unterstützung so zuzuschneiden, dass Gelder nicht für Terrorismus gegen Israel missbraucht werden können. 
Auf den Straßen in Berlin-Neukölln wurden die Terrorangriffe mit Süßigkeiten und Anti-Israel-Demonstrationen gefeiert. Immer wieder gibt es in der Hauptstadt antisemitische Demonstrationen. Haben wir in Deutschland ein Problem mit Antisemitismus?
Ja, wir haben in Deutschland tatsächlich ein Problem mit Antisemitismus. Seit Jahrzehnten gibt es rechten und auch linken Antisemitismus. Jetzt kommt ein migrantischer Antisemitismus wie gerade in Neukölln hinzu. Das ist beschämend und unerträglich. Das können wir nicht tolerieren und wir müssen als Gesellschaft klar dazu Stellung beziehen. Alle Mittel des Rechtsstaates müssen genutzt werden, um die Verherrlicher von Gewalt und die Unterstützer der terroristischen Hamas zur Rechenschaft zu ziehen. In Nordrhein-Westfalen haben wir mit Innenminister Herbert Reul mit tausend Nadelstichen den Clans die Grenzen aufgezeigt. Das muss jetzt auch rund um die Sonnenallee in Neukölln geschehen. 

Krieg in Israel: Wird es jemals Frieden geben?

Das von Ihnen gegründete Abraham Accords Institute setzt sich von Berlin aus ein für den Frieden in der Region. Wie sehr wird dieser Prozess jetzt belastet durch diesen Kriegsausbruch?
Der Weg regionaler Integration, diplomatischer, kultureller und wirtschaftlicher Austausch zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn sowie religiöseToleranz bleibt richtig. Ich hoffe, dass Saudi-Arabien die Absicht des Iran hinter dem Terror erkennt und seine Bemühungen um Annäherung und Entspannung fortsetzt. 
Wird es jemals Frieden in der Region geben?
Die Abraham Accords sind ein Zeichen der Hoffnung auf Frieden. Dass jetzt Terroristen töten, wird die Hoffnung auf Frieden nicht ersticken. Die Hoffnung bleibt. 

Rubriklistenbild: © Ohad Zwigenberg / dpa