Ferieninseln in Gefahr
Sturmfluten werden heftiger: Wie der Klimawandel die deutsche Küste verändert
VonPeter Siebenschließen
Die Sturmfluten an der Nord- und Ostseeküste werden immer extremer. Grund ist der Klimawandel. Die Folgen für mehrere beliebte Ferieninseln könnten verheerend sein.
Kiel – Es fühlt sich dort oben am Himmel so an, als wäre man Gott, der beim Scrollen durch sein Werk am Ende der Welt angekommen ist. Die Propellermaschine scheint beinahe in der Luft zu stehen, ein paar hundert Meter weiter unten erstreckt sich die ausgefranste Küste von Schleswig-Holstein. Jenseits davon liegen die Inseln – Sylt, Amrum, die Halligen. Dahinter kommt nur noch das Meer. Seit Jahrtausenden wappnen sich die Menschen da unten gegen die Naturgewalt der See. Doch das wird immer schwieriger, erzählt der Pilot beim Rundflug über Nordfriesland. Denn die Sturmfluten werden heftiger, wie in diesen Tagen auch Sturmtief Zoltan auf dramatische Weise gezeigt hat.
Hochwasser und Sturmflut an der Nord- und Ostseeküste: „Das ist der Klimawandel“
Am Boden spüren die Leute das am eigenen Leib. Auf der Hallig Hooge gibt es keine Deiche, die Bewohner bauen ihre Häuser und Höfe seit jeher auf künstliche Erdhügel, sogenannte Warften. Bei Hochwassern sind sie dort in Sicherheit. Ein Landwirt erzählt, dass sie die Maschinen jetzt lieber im Schuppen lagern, die obligatorische Überflutung passiere immer früher im Jahr. „Das ist der Klimawandel“, sagt er. Und die uralte Seemannskirche laufe öfter als sonst mit Wasser voll. Klimawandel-Leugner gibt es hier oben wohl nicht. Wenige Monate vor Zoltan hatte Norddeutschland im Oktober 2023 gar mit einer Jahrhundertflut zu kämpfen: Einen ersten Vorgeschmack hatte es in Hamburg gegeben, wo der Fischmarkt unter Wasser stand. Wenige Tage später brachen an der Ostsee Deiche, Häuser wurden von den Wassermassen zerstört.
Mittlerer Meeresspiegel wegen Klimawandel angestiegen: „Höhere Sturmflut als vor 50 Jahren“
Tatsächlich gibt es nicht unbedingt wesentlich mehr heftige Stürme als früher – doch durch veränderte Bedingungen werden die Sturmfluten deutlich höher, weiß Bauingenieur Leon Jänicke. Er ist Professor an der Internationalen Hochschule (IU) Erfurt und beschäftigt sich unter anderem mit Küstenschutz. „Durch den Klimawandel steigen sowohl der mittlere Meeresspiegel als auch die Tidehochwasser im Bereich der Deutschen Bucht an, sodass der Windstau und die Windwellen auf ein höheres Niveau aufsatteln und damit potenziell höhere Sturmfluten zu erwarten sind“, so Jänicke. „Das bedeutet, dieselbe Intensität eines Sturmes heute könnte eine höhere Sturmflut als vor 50 Jahren auslösen aufgrund des höheren Ausgangswasserspiegels.“
Der mittlere Meeresspiegel ist im Bereich der Deutschen Nordseeküste im Laufe des letzten Jahrhunderts um etwa zwei Millimeter pro Jahr angestiegen, der an der Ostsee um etwa 1,6 Millimeter. „Aus Warnemünde existieren beispielsweise Werte, die auf einen Anstieg von etwa 17 Zentimetern zwischen den Jahren 1856 und 2019 hindeuten“, so Jänicke.
Neuartige Deiche als Schutz gegen Sturmflut und Hochwasser
In Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereitet man sich auf die neuen Sturmfluten vor. Eine Anpassung an die Entwicklung biete das Konzept der sogenannten Klimadeiche, sagt Jänickes Kollege Matthias von Harten, Professor für Architektur und Bau an der IU: „Der Deichkörper beim Klimadeich wird erhöht und verbreitert, damit gegebenenfalls weitere Erhöhungen mit geringem Aufwand möglich sind. Außerdem verfügen Klimadeiche über eine geringere Neigung, um die Aufprallenergie der Wellen zu verringern und Schäden am Deich zu vermindern.“ Der erste dieser Deiche wurde 2016 auf Nordstrand fertiggestellt. Seit der großen Flutkatastrophe von 1962 habe sich der Küstenschutz insgesamt wesentlich verbessert, sagt von Harten.
Noch effizienter als eine reine Erhöhung sei eine zusätzliche Rückverlegung der Deiche, heißt es in einer aktuellen Studie von Forscherinnen und Forschern der Uni Kiel. Dadurch entstehe eine Pufferzone zwischen Meer und Land, wo sich Gebiete wie Salzwiesen entwickeln können, die wiederum Lebensräume vieler Tierarten sind. Mithilfe von sogenannten Buhnen wird an der Küste zusätzliches Land gewonnen: An Pfahlreihen, die rechtwinklig zur Küste in Richtung Meer verlaufen, lagert sich bei Ebbe und Flut nach und nach eine Sedimentschicht ab.
Nach einem ähnlichen Prinzip wachsen auch die Halligen seit Jahrtausenden Millimeter für Millimeter. Heißt: Durch das regelmäßige Überfluten werden sie automatisch immer größer, weil sich jedes Mal kleine Partikel absetzen – noch. „Die entscheidende Frage ist, ob sich die Halligen schneller erhöhen als der Meeresspiegel ansteigt“, sagt Küstenschutzexperte Leon Jänicke. Legt man Projektionen des Weltklimarats zugrunde, sieht es schlecht aus für die Inseln: Dann werden sie in wenigen Jahrzehnten nicht mehr existieren. Allerdings sei die Forschung diesbezüglich noch unsicher, sagt Jänicke. „Ohne Eingriffe durch den Menschen würden die Halligen höchstwahrscheinlich schnell verschwinden.“ Der Erhalt der Inseln in Nord- und Ostsee hänge am Ende auch an der Frage, ob sich die jeweiligen Bundesländer das erneute Aufschütten nach immer stärker werdenden Sturmfluten mit Sand leisten wollen oder nicht.
Rubriklistenbild: © Peter Sieben




