Ungewöhnliche Wagenknecht-Gespräche
Harte Koalitionsverhandlungen in Thüringen: „Autoritär geführtes“ BSW und „klare Drohung“ von AfD
VonPeter Siebenschließen
In Thüringen zeichnet sich eine Zusammenarbeit von CDU, SPD und BSW ab. Das Bündnis wird jedoch auf Widerstand stoßen.
Erfurt – Neue Realitäten erfordern Kreativität: „Brombeer-Bündnis“ heißt jetzt das, was sich in Thüringen abzeichnet. Bislang bekannte und erprobte Koalitionen sind nach der Thüringen-Wahl nicht möglich, Grüne und FDP sind aus dem Landtag geflogen. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt schickt sich an, neuer Ministerpräsident zu werden, seine Partei führt jetzt Gespräche mit der SPD und der neuen Wagenknecht-Partei BSW. Schwarz-Rot-Lila – Brombeere eben.
Brombeer-Koalition mit Wagenknecht-Partei in Thüringen ohne eigene Mehrheit
Nur: mit 44 von insgesamt 88 Stimmen im Landtag fehlt der Brombeer-Koalition eine eigene Mehrheit, um zum Beispiel Gesetze eigenständig verabschieden zu können. Das macht das Regieren schwer – und die Linke mit ins Koalitionsboot zu holen, das hat die CDU kategorisch ausgeschlossen.
Die rechtsextreme AfD wiederum hat mit 32 Sitzen deutlichen Einfluss. Man werde im parlamentarischen Raum nicht mehr umhinkommen, mit ihr zu reden, sagen Insider. Und schließlich: Sahra Wagenknecht hatte zunächst angekündigt, an Sondierungsgesprächen teilnehmen zu wollen – Voigt hatte das im Vorfeld im Gespräch mit dieser Redaktion allerdings zum No-Go für Koalitionsverhandlungen erklärt. Inzwischen ist klar: An Koalitionsgesprächen will Wagenknecht nicht mehr persönlich teilnehmen, allerdings hat sie deutlich gemacht, dass sie sich persönliche Gespräche mit potenziellen Koalitionären wünsche, um die „großen Linien“ zu klären. Eine verfahrene Situation – wie geht es nach der Wahl jetzt weiter in Thüringen?
Absprachen mit der Linken im Landtag von Thüringen möglich
Politikberater Johannes Hillje verfolgt die Entwicklungen intensiv. Er sagt zu IPPEN.MEDIA: „Eine CDU-BSW-SPD-Koalition könnte Absprachen mit der Linken treffen. Das hat die CDU nicht ausgeschlossen.“ Mit 44 Stimmen könnte diese Koalition theoretisch Gesetze im Landtag verabschieden, denn dafür reiche die einfache Stimmenmehrheit der anwesenden Abgeordneten. „Der Patt tritt nur ein, wenn alle Abgeordneten anwesend sind und AfD und Linke gemeinsam ein Gesetz ablehnen.“ Linken-Chef Bodo Ramelow hatte im Vorfeld aber bereits angekündigt, zur Herstellung stabiler Verhältnisse beitragen zu wollen – sprich: Im Zweifel Mehrheitsbeschaffer der Brombeer-Koalition zu werden.
„Normalisierung von AfD“ und Höcke wegen Sperrminorität
Hillje sieht allerdings die Gefahr einer „weiteren Normalisierung der AfD“, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden ist. Denn die Partei hat eine Sperrminorität inne: Als stärkste Kraft im Landtag mit 32 Sitzen hat sie großen Einfluss bei allen Entscheidungen, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern. Zum Beispiel, wenn es um Verfassungsänderungen geht. „Die AfD wird hohe Forderungen stellen, wenn sie zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit beitragen soll“, schätzt Hillje. Werden die Forderungen nicht erfüllt, könnte die AfD Vorstöße der Regierung blockieren.
„AfD-Chef Björn Höcke hat die Sperrminorität seiner Fraktion bereits als Gestaltungsminorität bezeichnet. Das sollten Voigt und die CDU als klare Drohung verstehen“, sagt Experte Johannes Hillje. Ein möglicher Ministerpräsident Voigt müsse sich daran messen lassen, ob es ihm gelinge, einer rechtsextremen Partei mit Sperrminorität so wenig Einfluss wie möglich zu gewähren. „Es braucht demokratisches Geschick und Standfestigkeit für die nächsten Jahre in Thüringen.“
BSW wird von „Sahra Wagenknecht autoritär geführt“
Geschick braucht Voigt auch bei den Verhandlungen mit dem BSW. Der Einfluss der Partei-Namensgeberin ist groß, Sahra Wagenknecht hatte zeitweise gar angedeutet, dass sie an Koalitionsgesprächen teilnehmen will. Das dürfte CDU-Chef Mario Voigt ein Dorn im Auge sein. Noch kurz vor der Thüringen-Wahl hatte er im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt: Solange aus Berlin oder Saarbrücken – Wagenknecht lebt im Saarland – entschieden werde, was in Thüringen gemacht werden solle, gebe es keine Gesprächsgrundlage. „Sahra Wagenknecht ist gemeinhin dafür bekannt, dass sie Dinge eher kaputt macht, als dass sie Dinge aufbaut“, so Voigt.
Jetzt allerdings war Voigt nach Berlin gereist, um mit Sahra Wagenknecht zu sprechen. Das ist mindestens ungewöhnlich. „Vom BSW fährt ja auch niemand zu Friedrich Merz vor den Koalitionsverhandlungen“, kommentierte jüngst ein Beobachter aus dem thüringischen Landtag. Auch Johannes Hillje sieht Risiken: „Wagenknecht nimmt großen Einfluss auf die Verhandlungen in den ostdeutschen Ländern. Auch wenn das BSW anderes behauptet, wird diese Partei autoritär von Wagenknecht geführt.“ Für die Politikerin seien die Verhandlungen auf Landesebene aber auch deshalb so wichtig, weil sie für ihre Ausgangslage für den Bundestagswahlkampf entscheidend seien. „Eine Regierungsbeteiligung auf Landesebene ist ein Risiko für jeden populistisch geführten Bundestagswahlkampf“, so Hillje. Denn: Wenn die Brombeere in Thüringen patzt, wirft das ein schlechtes Licht auf das BSW insgesamt.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Sahra Wagenknecht wolle nach wie vor an Koalitionsgesprächen persönlich teilnehmen. Diese Information ist inzwischen überholt.
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