Ukraine-Krieg
Prigoschin rekrutiert wieder – was hat Wagner an der Grenze zu Polen vor?
VonAndreas Apetzschließen
Der Ukraine-Krieg wütet weiter, doch auch in Polen bleibt die Lage angespannt. Experten befürchten eine russische Finte hinter dem Verhalten der Wagner-Gruppe.
Warschau/Minsk – Die Anspannung an der polnischen Grenze nimmt seit dem Eintreffen der geächteten Wagner-Söldner in Belarus stetig zu. Nach Angaben des ukrainischen Zentrums für nationalen Widerstand soll sich die geschwächte Söldnertruppe neu formieren und wieder aufbäumen. In einer offiziellen Pressemeldung heißt es, PMC Wagner habe damit begonnen, neue Mitglieder in Belarus zu rekrutieren. Die vom russischen Oligarchen Jewgeni Prigoschin ins Leben gerufene Privatarmee sei angeblich bereit, europäische Nachbarländer anzugreifen.
Prigoschin in Belarus: Wagner rekrutiert Militärmitglieder
Prigoschin rekrutiert wieder, direkt in Belarus. Nach ihrem gescheiterten Putschversuch wurden die aus Russland vertriebenen Wagner-Söldner von Staatschef Alexander Lukaschenko aufgenommen, um ihr militärische Wissen mit den belarussischen Soldaten zu teilen. Lukaschenko bezeichnete dieses Vorhaben damals als Aufgabe „von unschätzbarem Wert“. Doch offenbar vermitteln die Neuankömmlinge nicht nur Fachwissen über Taktik, Bewaffnung, Angriff und Verteidigung, sondern werben auch für ihre eigene Organisation.
Laut Informationen des ukrainischen Zentrums für nationalen Widerstand haben die Ausbilder der Wagner-Gruppe damit begonnen, Militärangehörige der belarussischen Streitkräfte zu rekrutieren. Die Bereitschaft zur Teilnahme an Kampfeinsätzen auf dem Territorium der Nachbarstaaten, insbesondere in Polen und Litauen, gehöre zu den Vertragsbedingungen der Söldnertruppe.
Nato gegen Wagner: Was passiert bei einem Einmarsch in Polen?
Noch im Januar 2023, vor den heftigen Kämpfen um die Stadt Bachmut, wurde die Truppenstärke Wagners alleine in der Ukraine auf mehr als 50.000 Mann geschätzt. Das Militärmagazin Defense Express bezifferte die aktuelle Größe der Wagner-Gruppe in Belarus auf rund 3.500 Söldner mit steigender Tendenz. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Einheit übrig geblieben ist, sorgt die Wagner-Truppe dennoch für Unmut in der Nato. Doch wie wahrscheinlich ist der Einmarsch in ein europäisches Nachbarland und welche Konsequenzen hätte es?
Im Falle eines Angriffs, beispielsweise auf Polen, durch die Wagner-Gruppe würde Artikel 5 des Nato-Vertrages greifen und den sogenannten Bündnisfall auslösen. Dieser sieht vor, dass bei einem „bewaffneten Angriff“ auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten eine kollektive Antwort folgt. Es stünde also Wagner gegen Nato. Unklar ist, wie die nordatlantische Unterstützung für Polen gegen einen Gegner mit nur 3.500 Soldaten aussehen würde.
Ein Angriff auf einen Nato-Bündnispartner würde der angeschlagenen Wagner-Gruppe wohl den Rest geben. Nach Meinung der Militärexperten von der Kyiv Post, sei eine Invasion deshalb höchst unwahrscheinlich. Doch alleine eine Drohung reiche aus, um die Nachbarländer in Alarmbereitschaft zu versetzen. Zudem heizten Lukaschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin erst kürzlich bei ihrem gemeinsamen Treffen die Gerüchte, um einen Angriff auf Polen durch Wagner weiter an. Dort scherzten die beiden Staatsoberhäupter über einen beantragten „Ausflug nach Warschau und nach Rzeszów“ der Söldnertruppe.
Russisches Ablenkungsmanöver? Experten befürchten Finte in Belarus
Europa, insbesondere Polen, nehmen die Provokationen aus Belarus äußerst ernst. An der polnischen Grenze zu Belarus wappnete man sich gegen die Sticheleien mit einer Verstärkung der Grenzposten. Mehrere Tausend zusätzliche Streitkräfte sollen die Landeslinie absichern. Zudem sind seit 2022 an der etwa 400 Kilometer langen Grenze 186 Kilometer mit einem 5,5 Meter hohen metallenen Zaun und Aussichtsposten versehen worden.
Der Auftrag der aus Russland verlegten Wagner-Kämpfer in Belarus sei noch unklar, sagte Stanislaw Zaryn, Sprecher des polnischen Geheimdienstkoordinators, der Agentur PAP in Warschau. „Aber wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sie gegen Polen eingesetzt werden.“ Expertenkreise vermuten hinter den Provokationen ein russisches Ablenkungsmanöver, um die Aufmerksamkeit der Nato vom Ukraine-Krieg weg, hin zur polnischen Grenze zu verlagern. Putin hatte Polen zuletzt unterstellt, es wolle Belarus angreifen und sich die Westukraine einverleiben. (aa/dpa)