Zukunft der Wagner-Gruppe

Nach Prigoschin: Experte hält „Säuberungen“ in Russland für möglich

  • VonTadhg Nagel
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Nach dem Tod von Jewgeni Prigoschin könnte die Wagner-Gruppe aufgelöst werden. Die russische Militärelite muss sich auf Veränderungen einstellen.

Moskau – Etwa zwei Wochen nach dem Flugzeugabsturz, bei dem Jewgeni Prigoschin aller Wahrscheinlichkeit nach ums Leben kam, beginnt sich der Staub erst langsam zu legen. Die Zukunft der Wagner-Gruppe ist weiterhin ungewiss, eine Auflösung gilt jedoch als wahrscheinlich. Bereits vor Prigoschins Tod seien Wagner-Kommandeure abgeworben worden, vor allem vom russischen Verteidigungsministerium und dem privaten Militärunternehmen Redut. Diese würden nun weitere Söldner auffordern, es ihnen gleichzutun. Das zumindest berichtet der russische Politologe Michael Naki auf seinem Youtube-Kanal.

Auch die ehemaligen Verbündeten Prigoschins müssen sich damit auf eine Veränderung einstellen. Bereits einen Tag nach dem mutmaßlichen Tod Prigoschins wurde General Sergej Surowikin, Chef der russischen Luft- und Raumfahrttruppen und stellvertretender Generalstabschef, offiziell abgesetzt. Surowikin war im September 2022, kurz nach Prigoschins erstem öffentlichen Bekenntnis zum Anführen der Wagner Truppe, von Wladimir Putin damit betraut worden, die Kriegsanstrengungen in der Ukraine zu leiten. Prigoschin hatte ihn daraufhin als „legendäre Figur“ und den fähigsten Befehlshaber der russischen Armee bezeichnet. Die beiden kannten sich von Einsätzen in Syrien.

Wechselnde Oberbefehlshaber im Ukraine-Krieg: erstes Anzeichen für Prigoschins Machtverlust

Bereits im Januar wurde Surowikin jedoch teilweise durch Waleri Gerassimow ausgetauscht, der fortan die Operationen im Ukraine-Krieg übersehen sollte – laut New York Times ein erstes Anzeichen für den beginnenden Machtverlust Prigoschins. Nach dem gescheiterten Putschversuch der Wagner-Gruppe im Juni war Surowikin plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Nach Angaben der US-Regierung hatte der General bereits zwei Wochen vorher Kenntnis von den Plänen Prigoschins. Laut der US-Zeitung hatte ein hochrangiger Gesetzgeber, der den Vorsitz im Verteidigungsausschuss des russischen Parlaments innehat, gegenüber einem Reporter mitgeteilt, dass sich der General „ausruhen“ würde.

Unehrenvoll versetzt: Sergej Surowikin und Wladimir Putin (vl.)

Inzwischen ist ein Bild aufgetaucht, das den einstigen Oberbefehlshaber in ziviler Kleidung neben seiner Frau an einem öffentlichen Ort zeigt. Die Echtheit des Fotos kann nicht überprüft werden. Laut der BBC berichteten mehrere russische Medien, dass Surowikin wohlbehalten bei seiner Familie sei. Er sei beurlaubt und stehe „der Verteidigung zur Verfügung“.

Laut dem US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW), gibt es Hinweise darauf, dass der General eine neue Position in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) angenommen habe. Dies decke sich, so der Thinktank, mit Beobachtungen aus der Vergangenheit. Russische Generäle, die in der Ukraine hinter den Erwartungen zurückblieben, würden zur Bestrafung oft auf externe Schauplätze und in Randgebiete versetzt.

Im Ukraine-Krieg in Ungnade gefallene Kommandeure werden versetzt – eine Säuberung der Eliten?

Bei der neuen Rolle Surowikins handle es sich nicht um eine militärische oder kommandierende Rolle. Das deute darauf hin, dass die russische Militärführung wahrscheinlich die Praxis fortsetzte, in Ungnade gefallene oder ineffektive Kommandeure auf Positionen zu versetzen, die nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben, so das ISW. Findet in Russland also eine Säuberung der Eliten statt? Dieser Frage ging das unabhängige russische Medienportal Meduza zusammen mit dem Politikwissenschaftler Austin Matthews nach. Dieser forscht an der East Carolina University zu Überschneidungen zwischen politischen Eliten, Institutionalisierung und Repression in Diktaturen.

Es sei richtig, dass in Russland „Säuberungen“ stattfänden, so der Politikwissenschaftler. Allerdings handle es sich im Falle Surowikins nicht um eine Säuberung der Eliten. Von einer solchen spreche man, wenn Menschen beseitigt würden, die den Kern des politischen Regimes bilden – also diejenigen, die die Macht haben, staatliche Entscheidungen zu treffen. Das sei bei dem Vertrauten Prigoschins nicht der Fall gewesen. Surowikin habe eher persönliche politische Macht gehabt. Außerdem sei er illoyal gewesen, was wahrscheinlich der Grund für seine Versetzung gewesen sei.

Säuberungen müssen nicht gewaltvoll sein – Bei Wladimir Putin gibt es jedoch eine eindeutige Tendenz

Normalerweise fänden Säuberungen dann statt, wenn eine autoritäre Regierung die Macht ergreife, so Matthews. „Im Laufe der Zeit werden Säuberungen dann seltener und finden meist nach gescheiterten Putschversuchen statt“. Ein Putsch sei für einen Diktator ein klares Signal, dass es eine Unzufriedenheit unter den Eliten gibt. Sofern sich ein autoritärer Herrscher an der Macht halten könne, nutzte er dann die Gelegenheit, um Stärke zu zeigen – „zumal er jetzt genau weiß, von wem er Probleme zu erwarten hat. Und diese Leute können nun so schnell wie möglich eliminiert werden“.

Eine Säuberung müsse jedoch nicht immer mit Gewalt einhergehen. „Wenn zum Beispiel jemand aus dem Dienst ‚gesäubert‘ wird, bedeutet das nicht, dass er ins Gefängnis kommt oder einen Unfall hat.“, so Matthews. In Russland würden die Daten jedoch eine Tendenz zur Gewalt nahelegen. (tpn)

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