Kaukasuskrieg 2008

Konflikt im Südkaukasus: Als Georgien und Russland Krieg führten

  • Alexandra Heidsiek
    VonAlexandra Heidsiek
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Nach fünf Tagen war alles vorbei: 2008 gewann Russland den Krieg in Georgien. Seitdem ist der Konflikt eingefroren – mit bis heute spürbaren Folgen.

Tiflis – Am 14. Mai hat Georgien das umstrittene Gesetz über „ausländische Einflussnahme“ verabschiedet. Der Entwurf ist aus Russland kopiert: Im Land tätige NGOs und Medien sollen sich registrieren, wenn sie mindestens 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten.

Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ argumentiert, das Gesetz sorge für mehr Transparenz. Kritiker sehen in ihm eine Einschränkung der Medienfreiheit wie in Russland. Dort wird es regelmäßig angewendet, um unliebsame Stimmen mundtot zu machen.

Georgien und Russland seit Jahrzehnten auf Kriegsfuß

Für Georgien, wo ein Großteil der Bevölkerung auf einen EU- und Nato-Beitritt hofft, ist die Entscheidung eine Grundsatzfrage: Bleibt das Land auf seinem pro-europäischen Kurs? Oder rutscht es in die Autokratie – wie sein Nachbar Russland? Präsidentin Salome Surabischwili hat ihr Veto angekündigt, doch ihre Macht ist begrenzt. Wenn sich die Regierungspartei durchsetzt, ist dies ein definitiver Schritt Richtung Russland. Dabei sind die beiden Staaten seit Russlands Einmarsch 2008 eigentlich verfeindet.

Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region.

Der Konflikt um die beiden abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien begann bereits Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Beide erklärten zunächst ihre Unabhängigkeit. Abchasien wollte einen eigenen Staat für die ethnische Minderheit der Abchasen. Südossetien wollte eine Vereinigung mit dem russischen Nordossetien erzielen. Der Konflikt eskalierte, im Georgisch-Abchasischen Krieg starben mehr als 10.000 Menschen. Seit 1994 sind in beiden Staaten russische „Friedenstruppen“ stationiert.

Insbesondere in Südossetien schien sich die Lage unter anderem dank lascher Grenzpolitik zu entspannen. Dann kam die Nacht vom 7. auf den 8. August 2008. Georgische Truppen marschieren in die beiden de facto Republiken ein – um einem russischen Angriff zuvorzukommen, sagt Tiflis. Nach fünf Tagen enden die Kämpfe am 12. August 2008. Dabei kamen circa 850 Menschen ums Leben, fast 200.000 weitere mussten fliehen. Manche davon sind bis heute Vertriebene.

Russland will seine Einflusssphäre vergrößern

Russland dementiert, einen solchen Angriff geplant zu haben. Auch die EU kommt ein Jahr später zu dem Entschluss, es hätte keine Anzeichen dafür gegeben. Doch: Um seine Einflusssphäre im Süden auszudehnen, habe Russland den Konflikt angestachelt. Zum Beispiel durch die Herausgabe russischer Pässe – wie aktuell in der Ukraine. Auch ökonomisch sind Südossetien und Abchasien völlig von ihrem Wohltäter abhängig. Heute erkennen die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens – neben Russland – nur vier weiteren Staaten an: Syrien, Nicaragua, Venezuela und der Pazifik-Inselstaat Nauru. Durch die fehlende Anerkennung sind die de facto Republiken sowohl politisch als auch wirtschaftlich abgekapselt.

Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region.

Mit seiner Isolationspolitik, der russischen Staatsbürgerschaft und der erzwungenen Abhängigkeit versucht der Kreml, die beiden Regionen informell zu annektieren. Doch auch militärisch ist das Land nach wie vor präsent. Die Georgier sagen: Jeden Tag verschieben die russischen Soldaten die Grenze einen Schritt weiter. In der Folge werden manchmal Zivilisten aufgrund „illegaler Grenzübertritte“ verhaftet und zu Bußgeldern gezwungen.

Seit dem Ukraine-Krieg entfernen sich Bevölkerung und Politik zunehmend voneinander

In der Bevölkerung wächst deshalb seit dem Ukraine-Krieg die Angst vor einem Einmarsch, das Verhältnis ist angespannt. Wer in Tiflis über die großen Boulevards schlendert, sieht überall Sticker und Graffitis wie „Ruzzia is a terror state“ oder „Russen, lebt in Angst“. Insbesondere seit dem Anstieg russischer Migranten, die dem autoritären Staat oder dem Kriegsdienst entkommen wollten, kommt es zu Anfeindungen. Die Russen seien unter anderem schuld an den unmöglichen Mietpreisen, heißt es.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Die abtrünnigen Republiken sind für Georgien ein Problem. Denn: Die ersehnte Nato-Mitgliedschaft – und damit der Schutz vor der ehemaligen Besatzungsmacht – setzt voraus, dass ein Land die Kontrolle über sein gesamtes Territorium hält. Die EU ihrerseits hat Georgien zwar 2023 offiziell als Beitrittskandidaten aufgenommen. Doch die wankende demokratische Ordnung kann den Gesprächen schnell ein Ende bereiten. Bevölkerung und Politik driften immer weiter auseinander: die einen Richtung Westen, die anderen gen Osten. Und so bleibt das Informationszentrum über die Nato und EU am Freiheitsplatz der Hauptstadt weiterhin geschlossen. (ah)

Rubriklistenbild: © Dimitry Kostyukov/afp