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Keine Rückkehr zur Gazprom-Logik: Deutschland muss sich von seinen alten Russen-Tricks verabschieden
VonForeign Policy
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Deutschland ist an der Ostpolitik und Annäherung an Putin und Russland gescheitert. Wie Washington sicherstellen kann, dass die Berliner Gazprom-Ära vorbei ist.
„Ostpolitik“ und „Wandel durch Handel“ scheiterten an Russland und Wladimir Putin
Ungewisse Zukunft für die Ukraine: Aufschwung der kremlfreundlichen Parteien in Europa und die US-Wahl
Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 25. September 2024 das Magazin Foreign Policy.
Berlin – Dass Moskau seit Jahrzehnten Energie als Waffe gegen Europa einsetzt, wurde Ende 2021 und Anfang 2022 zu einer unumstößlichen Tatsache, als der Kreml die Erdgaslieferungen drosselte, um Deutschland und andere europäische Länder davon abzuhalten, die Ukraine zu unterstützen. Um sicherzustellen, dass Russland nicht erneut Energie zur Kriegsführung einsetzen kann, ist es an der Zeit, dass die Vereinigten Staaten dauerhafte Sanktionen gegen die verbleibenden russischen Gaspipelines nach Europa verhängen. Beginnend mit den bestehenden, aber bald auslaufenden Sanktionen gegen Nord Stream 2, die inaktive Gaspipeline, die Russland unter der Ostsee mit Deutschland verbindet.
Da die Energieimporte Europas aus Russland inzwischen auf ein Rinnsal geschrumpft sind, hat sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf andere Fragen verlagert – vor allem darauf, wie verlässlich die Unterstützung der USA für die Ukraine in Zukunft sein wird. Nicht nur haben die Republikaner im US-Repräsentantenhaus im vergangenen Herbst und Anfang dieses Jahres Militärhilfe in Höhe von fast 60 Milliarden Dollar für die Ukraine blockiert, auch die Regierung Joe Bidens hat die Hilfe nur schleppend ausgezahlt. Nun ist sie dabei, mehrere Milliarden Dollar an Hilfsgeldern ungenutzt verfallen zu lassen, und zögert weiterhin, der Ukraine den Beschuss von Militär- und Infrastrukturzielen mit Langstreckenwaffen zu gestatten.
Die jüngsten Entwicklungen deuten jedoch darauf hin, dass das nächste große Fragezeichen in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine und die Fähigkeit Europas, Russland zu widerstehen, nicht aus Washington, sondern aus Berlin kommt.
In den Jahren vor dem jüngsten Einmarsch Russlands in die Ukraine verfolgten die aufeinanderfolgenden deutschen Regierungen unter den Bundeskanzlern Gerhard Schröder, Angela Merkel und Olaf Scholz (SPD) eine Politik der Annäherung an ein zunehmend autoritäres und aggressives Russland unter Präsident Wladimir Putin. Dazu gehörten die Konzepte der „Neuen Ostpolitik“, eine angebliche Wiederaufnahme der Annäherung des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt an den Sowjetblock aus der Zeit des Kalten Krieges – und „Wandel durch Handel“.
Brandts Ostpolitik ist gescheitert – Warnungen aus Berlin über Russland und Putin wurden ignoriert
Theoretisch sollten die beiden Konzepte zu stabilen Beziehungen und sogar zu demokratischen Reformen in Russland führen, basierend auf der Vorstellung, dass verstärkte Handelsbeziehungen mit Europa Putin die Vorteile friedlicher Beziehungen zu Deutschland und dem Westen aufzeigen würden. Im Gegensatz zu Brandt, der wusste, dass die „Ostpolitik“ nur mit der Peitsche einer starken westlichen Abschreckung funktionierte, ließen die nachfolgenden deutschen Regierungen nicht nur ihre Verteidigungsfähigkeiten verkümmern, sondern legten auch ein Veto gegen die NATO-Krisenplanung an der Ostgrenze ein, um den Kreml nicht zu verärgern.
Enge Beziehungen zu einem ressourcenreichen Russland entsprachen auch den Interessen der deutschen Wirtschaft, die seit langem einen übergroßen Einfluss auf die Politik in Berlin ausübt und sich bei Geschäften mit autoritären Staaten nur selten von lästigen Themen wie der nationalen Sicherheit oder den Menschenrechten ablenken lässt.
Dies ist nicht nur eine rückblickende Feststellung. Fast zwei Jahrzehnte lang gab es einen anhaltenden Chor gleichzeitiger Warnungen vor der Politik Berlins gegenüber Russland, deren Torheit heute noch genauso offensichtlich ist wie zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung. Trotz Putins zunehmend brutalerem Vorgehen im eigenen Land, mehrfacher Besetzungen von Nachbarländern und zunehmender Angriffe auf westliche Demokratien brachten aufeinanderfolgende deutsche Regierungschefs immer wieder ihre abgedroschenen Patentrezepte für Russland hervor. Mit dem Zweck, die zunehmend schmutzigen Geschäfts- und Energiebeziehungen zu verschleiern, die sie mit Moskau geknüpft hatten.
Jeder der drei deutschen Staats- und Regierungschefs trug seinen Teil dazu bei. Schröder unterzeichnete nur wenige Monate vor seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 2005 ein äußerst umstrittenes Energieabkommen mit Russland und wechselte kurz darauf zum vom Kreml kontrollierten Unternehmen Gazprom. Er bekleidete Posten bei mehreren staatlich kontrollierten russischen Energieunternehmen, unter anderem als Vorsitzender des Aktionärsausschusses des von Gazprom unterstützten Pipeline-Projekts Nord Stream 1, das er als Bundeskanzler genehmigt hatte.
Merkels Nord Stream 2 Projekt trotz Cyberangriffe Russlands
Merkel, seine Nachfolgerin, setzte dann ein weiteres Pipeline-Projekt durch – Nord Stream 2 –, obwohl die Russen Cyberangriffe gegen das deutsche Parlament und eine Mordkampagne in Europa durchführten, darunter einen nur wenige Schritte vom Kanzleramt in Berlin entfernt. Nicht einmal Russlands erste Invasion in der Ukraine im Jahr 2014 konnte das Projekt stoppen.
Mitte 2022 gab Merkel zu, dass sie sich nie der „Illusion“ hingegeben hatte, Putin würde durch verstärkten Handel mit Deutschland seine Einstellung ändern – dennoch verfolgte sie die Geschäfte weiter. Fairerweise muss man sagen, dass Merkel nie allein regierte und dass in 12 der 16 Jahre ihrer Kanzlerschaft die traditionell russlandfreundlichen Sozialdemokraten einflussreiche Positionen innehatten. Dazu gehörten der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ein enger Vertrauter Schröders, und der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der den Verkauf der größten inländischen Gasspeicherinfrastruktur Deutschlands an Gazprom genehmigte.
Steinmeier, der wie kaum ein anderer Politiker für die gescheiterte Russlandpolitik Berlins steht, ist heute Bundespräsident und hat es am 24. Februar 2022, nach Beginn der großangelegten Invasion Russlands in der Ukraine, verpasst, zurückzutreten. Auch Gabriel musste kaum politische Konsequenzen tragen. Er gab verspätet Fehler in seinen Beziehungen zum Kreml zu und scheint sich als überzeugter Transatlantiker mit einflussreichen Positionen bei der Atlantik-Brücke, der Harvard University und der Eurasia Group neu erfunden zu haben.
Scholz wiederum klammerte sich an Nord Stream 2, das kurz vor der Fertigstellung stand, als sich 2021 und Anfang 2022 der Krieg Russlands gegen die Ukraine zusammenbraute. Er weigerte sich, auch nur streng defensive Waffen in die Ukraine zu schicken, und bot stattdessen an, 5.000 Helme zur Verfügung zu stellen. Schließlich gab er dem überwältigenden Druck nach, die Betriebsgenehmigung für die Pipeline zu widerrufen, nur wenige Stunden bevor Putin die Invasion startete.
Scholz kündigt nach Beginn des Ukraine-Kriegs Zeitenwende an: Was davon übrig ist
Zu Scholz‘ Gunsten muss man sagen, dass er nur wenige Tage nach der groß angelegten Invasion der Ukraine eine mutige Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik verkündete – die sogenannte „Zeitenwende“, oder der Wechsel in eine neue Ära. Die darauf abzielte, sich endlich der russischen Bedrohung zu stellen und die Verteidigungshaltung Deutschlands zu erneuern. Seitdem ist Deutschland nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Geber von Hilfsmitteln für die Ukraine, einschließlich militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe.
Von der „Zeitenwende“ ist heute nur noch wenig übrig. Im vergangenen Monat kürzte Deutschland die Militärhilfe für die Ukraine in einem im vergangenen Monat veröffentlichten Entwurf des Bundeshaushalts für 2025 um etwa die Hälfte gegenüber dem Vorjahresbetrag von 8 Milliarden Euro (8,9 Milliarden US-Dollar). Zwar hat der Berliner Verteidigungshaushalt endlich das NATO-Minimum von 2 Prozent des BIP erreicht, doch die deutsche Regierung scheint es nicht eilig zu haben, Waffenvorräte aufzubauen und die militärische Einsatzbereitschaft zu erhöhen.
Mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr und die zunehmende Unterstützung für kremlfreundliche Parteien bei den jüngsten regionalen Wahlen scheint Scholz sich darauf vorzubereiten, als „Friedenskanzler“ zu kandidieren, der Deutschland aus dem Krieg herausgehalten hat. Zu viel Hilfe für die Ukraine würde nur im Weg stehen. Eine drastische Kürzung der Hilfe durch Berlin würde die Kriegsanstrengungen Kiews natürlich erheblich beeinträchtigen, insbesondere angesichts der Zweifel an der Zuverlässigkeit Washingtons nach den Wahlen im November und der möglichen Notwendigkeit, dass Europa alleine dasteht.
Während sich eine Wolke der Ungewissheit über die deutsche Militärhilfe für die Ukraine erhebt, könnte sich die Wolke über der zukünftigen Energiepolitik Berlins als ebenso dunkel erweisen. Deutschland hat es geschafft, die russischen Gaslieferungen in erstaunlich kurzer Zeit zu ersetzen, aber es wäre naiv zu glauben, dass es nicht starken Druck von deutschen Unternehmen und weiten Teilen des politischen Spektrums geben wird, die Handelsbeziehungen mit Russland wiederherzustellen. Sobald ein Waffenstillstand zwischen Moskau und Kiew angekündigt wird, könnte die Stimmung wieder drehen.
Erneuerung der Sanktionen für Nord Stream 2: US-Kongress muss handeln
Dieser Druck wäre besonders im Energiesektor akut, wo Deutschland lange nach Geschäften für relativ günstiges Pipeline-Gas aus Russland gesucht hat. Die Energieoptionen Deutschlands sind nach der Abschaltung des letzten seiner Kernkraftwerke im vergangenen Jahr noch weiter geschrumpft. Es liegt im Interesse der Vereinigten Staaten und aller Befürworter eines freien und friedlichen Europas, dass Deutschland nicht zu seinen alten Russland-Tricks zurückkehrt.
Glücklicherweise können die Vereinigten Staaten dazu beitragen, dass dies nicht geschieht. Im Jahr 2019 verabschiedete der US-Kongress begrenzte, technologisch abgestimmte Sanktionen gegen die Nord Stream 2-Pipeline – in Form des parteiübergreifenden „Protecting Europe‘s Energy Security Act“ –, was zu einer einjährigen Verzögerung des Baus führte, da Russland sich bemühte, andere technische Mittel zur Fertigstellung des Projekts zu finden.
Ukraine-Krieg: Die Ursprünge des Konflikts mit Russland
Das Gesetz, dessen Geltungsbereich ein Jahr später erweitert wurde, läuft jedoch Ende dieses Jahres aus, wenn der Kongress nicht handelt. Obwohl Nord Stream 2 nie in Betrieb genommen wurde, haben Mitglieder des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen kürzlich einen neuen Gesetzesentwurf eingebracht, der die Sanktionen erneuern würde.
Dies sollte für den Kongress ein Kinderspiel sein. Berichten zufolge haben der Streitkräfteausschuss und der Bankenausschuss des Senats bereits die Verlängerung der Sanktionen durch eine Änderung des jährlichen „National Defense Authorization Act“ gebilligt. Jetzt muss nur noch die Führung des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen zustimmen, was wahrscheinlich bald geschehen wird.
Die Ära der Vorherrschaft von Gazprom muss ein Ende finden: Russland untergräbt deutsche Sicherheit
Das Problem ist jedoch das Weiße Haus. Ende 2021, als Putin gerade Truppen vor der Haustür der Ukraine zusammenzog, hob die Biden-Regierung die Sanktionen auf, die Nord Stream 2 verzögert hatten. Sie schloss einen Deal mit der scheidenden Merkel-Regierung: Im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen versprach Berlin nationale und EU-weite Sanktionen für den Fall, dass Russland „versucht, Energie als Waffe einzusetzen oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen“.
Trotz eindeutiger Beweise dafür, dass der Kreml die europäischen Gasspeicher bereits unterversorgte und Moldawien nach der Wahl einer pro-westlichen Regierung im Jahr 2019 bedrohte, wurden keine Sanktionen unter deutscher Führung verhängt. Stattdessen beschleunigte die Regierung Merkel die Genehmigungsverfahren und entsandte nur wenige Wochen vor der russischen Invasion Gesandte nach Washington, um den Kongress zu beeinflussen, Putins Pipeline zu verschonen. Biden und Scholz, der im Dezember Merkel als Kanzler ablöste, stoppten das Projekt schließlich, kurz bevor russische Panzer über die ukrainische Grenze rollten.
Es gibt keine Entschuldigung für eine Wiederholung. Die Ära der Vorherrschaft von Gazprom in Europa muss endlich vorbei sein, und weder die deutsche Wirtschaft noch die kremlfreundlichen politischen Fraktionen des Landes sollten dazu beitragen, den Frieden und die Stabilität in Europa erneut zu untergraben. Und wenn die Biden-Regierung – die sich Berlin unter Ausschluss der meisten anderen europäischen Verbündeten angedient hat – beschließt, sich den parteiübergreifenden Plänen des Kongresses zur Verlängerung der Sanktionen zu widersetzen, sollte sie diesen Ansatz überdenken.
Erneuerung der Nord Stream 2 Sanktionen stehen kurz bevor
Nach all den Opfern der letzten Jahre gibt es keinen Grund, zuzulassen, dass böswillige russische Energieinteressen ihre Freunde in Deutschland ausnutzen, um sich wieder in Europa einzunisten. Und wer auch immer die US-Präsidentschaftswahlen im November gewinnt, die amerikanische Politik gegenüber Europa sollte den Meinungen Berlins nicht länger eine so einseitige Aufmerksamkeit schenken.
Biden könnte jedoch erneut Scholz‘ schlimmsten Instinkten entgegenkommen, wenn er beabsichtigt, die Verlängerung der Nord-Stream-2-Sanktionen zu blockieren, die auslaufen, wenn der Kongress nicht handelt. Auf dem Kapitolshügel ist die Unterstützung für die Verlängerung der Sanktionen parteiübergreifend. Es ist an der Zeit, dass Biden und der Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen, Ben Cardin, die beide weniger als fünf Monate im Amt sind, die langfristige Sicherheit Europas stärken, indem sie die Verlängerung der Sanktionen zulassen.
Wladimir Putin: Der Aufstieg von Russlands Machthabern in Bildern
Wenn sie schon dabei sind, könnten Biden und Cardin auch neue Gesetze anregen, die ehemaligen Amtsträgern ein für alle Mal verbieten, für russische Staatsunternehmen oder deren Tochtergesellschaften zu arbeiten. Und sie sollten Berlin unter Druck setzen, es ihnen gleichzutun. Andernfalls werden russische Interessen dafür sorgen, dass eine Menge Handel ohne große Veränderungen auf uns zukommt.
Zu den Autoren
Benjamin L. Schmitt ist Senior Fellow am Kleinman Center for Energy Policy der University of Pennsylvania, Associate am Harvard Ukrainian Research Institute, Mitglied auf Zeit des Council on Foreign Relations und Mitbegründer des Space Diplomacy Lab der Duke University. X: @BLSchmitt
John E. Herbst ist Senior Director des Eurasia Center des Atlantic Council und ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine.
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Dieser Artikel war zuerst am 25. September 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.