„Lohnabstand nicht mehr gewahrt“
FDP schimpft aufs Bürgergeld: „Das muss man netto erst mal verdienen“
VonAndreas Schmidschließen
Die FDP hat das Bürgergeld in der Ampel mit eingeführt, nun bezeichnet sie es als Fehler. „Der Lohnabstand ist nicht mehr gewahrt“, sagt Stephan Thomae.
Der Begriff „Bürgergeld“ taucht insgesamt 14-mal im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf. „Wir lösen die Grundsicherung durch ein neues Bürgergeld ab“, heißt es dort unter anderem. Doch rund drei Jahre und ein Ampel-Aus später sind nicht mehr alle einstigen Regierungspartner überzeugt. Die FDP prangert das von ihr mitgetragene Projekt öffentlich an und meint: „So wie es jetzt ist, war das Bürgergeld ein Fehler“, wie der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, im Interview mit unserer Redaktion sagte.
FDP-Kritik an Bürgergeld: „Der Lohnabstand ist nicht mehr gewahrt“
Ein „echtes Problem“ sieht Thomae in „Menschen, die gar kein Interesse daran haben, in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden.“ Thomae weiter: „Wenn jemand nicht kann, muss das Sozialsystem greifen. Aber nicht, wenn jemand nicht will.“ Diese Totalverweigerer sind zwar in der Minderheit unter den Bürgergeldempfängern. „Trotzdem gibt es sie“, sagt Thomae. „Doch dafür ist der aktuelle Sanktionsmechanismus zu stumpf.“
„Erschwerend kommt das Problem der Berechnungsmethode hinzu“, sagt der FDP-Politiker aus dem Allgäu. „Der Lohnabstand ist nicht mehr gewahrt.“ In aller Regel bekommt man mit Arbeit im Monat mehr aufs Konto als mit Bürgergeld. Die Unterschiede sind mitunter jedoch überschaubar, dazu später mehr. „Manche Bürgergeldleistungen, vor allem für Familien, sind so hoch, das muss man netto erst einmal verdienen“, sagt Thomae. „Da stehen Eltern sehr früh auf, arbeiten bei wenig Freizeit, haben aber am Ende nur wenig mehr Geld als Familien im Bürgergeld. Das kann nicht sein.“
Bürgergeld vs. Job: Lohnt sich Arbeit überhaupt noch?
Dass sich durch Bürgergeld die Arbeit nicht mehr lohne, wird immer wieder betont. Doch stimmt das? Wir haben nachgerechnet: am Beispiel einer kinderlosen, alleinstehenden 34-jährige Kassiererin aus Frankfurt. Sie arbeitet im Mindestlohn. Wenn sie 40 Stunden in der Woche für 12,41 Euro pro Stunde Mindestlohn arbeitet, hat sie laut deutschem Gewerkschaftsbund etwa 2.150 Euro brutto im Monat zur Verfügung. Nach Abzügen der Lohnsteuer und Sozialabgaben bleiben ihr monatlich in etwa 1.564 Euro netto. Davon muss sie Miete, Strom, Heizung, Lebensmittel, Versicherungen und Freizeitausgaben bezahlen.
Wie viel hätte sie mit Bürgergeld? Der Regelsatz 2024 beträgt 563 Euro. Zusätzlich übernimmt der Staat die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit sie angemessen sind. Die Leistungen orientieren sich am Niveau der Mieten auf dem örtlichen Wohnungsmarkt. In Frankfurt beträgt der Maximalbetrag für Mietausgaben inklusive Heizen für einen Single rund 852 Euro. Das würde bedeuten, sie hätte etwa 1.415 Euro netto für Miete, Strom, Heizung, Lebensmittel, Versicherungen und Freizeitausgaben. Der Unterschied ist also gering, nur 149 Euro. Ein weiteres Problem: Mehr Arbeit lohnt sich im Bürgergeld ab einem bestimmten Einkommen kaum, weil dann die Zuschüsse geringer werden und man auch hier nur marginal profitiert.
Das Fazit unserer Rechnung: Besonders in Städten, in denen Mieten sehr hoch sind, ist der Unterschied zwischen Geringverdienerinnen und Bürgergeldempfängerinnen gering. Manche Experten fordern daher einen höheren Mindestlohn. Für Thomae ist das allerdings zu kurz gedacht: „Eine Erhöhung des gesetzlichen bundeseinheitlichen Mindestlohns zieht das gesamte Lohngefüge nach oben, erhöht die Arbeitskosten der Unternehmen, damit das allgemeine Preisniveau und die Inflation, schließlich im nächsten Schritt wieder das Bürgergeld, und alles beginnt wieder von vorn.“
Bürgergeld ist Wahlkampfthema
Das Bürgergeld habe einen guten Punkt, sagt der parlamentarische Geschäftsführer seiner Fraktion. „Der Fortbildungsgedanke ist ein guter Ansatz“, meint Thomae. „Demnach finden Menschen am besten einen dauerhaften Platz im Arbeitsleben, wenn sie sich weiterqualifiziert haben. Früher war es oft so, dass wegen des Vermittlungsvorrangs die Leute ganz schnell vermittelt worden sind, dann aber bald wieder beim Jobcenter oder der Arbeitsagentur standen.“
Das Bürgergeld ist längst Wahlkampfthema. Die CDU/CSU hat eine Reform des Bürgergelds zur Koalitionsbedingung gemacht und auch in der FDP will man das Bürgergeld ändern. Parteichef Christian Lindner betont gerne, dass es sich vor allem um ein rot-grünes Herzensprojekt gehandelt habe. Zuletzt bezeichnete er das Bürgergeld als Negativbeispiel dafür, dass in Deutschland zu wenig gearbeitet werde. „Es gibt nicht wenige, die sich in einem Arrangement aus Bürgergeld und Schwarzarbeit gut eingerichtet haben“, sagte er auf dem Handelskongress.
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