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„Hassprediger“ Erdogan kommt nach Deutschland: Fachleute erinnern Scholz an Schmerzpunkte
VonErkan Pehlivanschließen
Der Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Freitag wird nicht einfach: Fachleute weisen bei FR.de auf die Brennpunkte hin.
Berlin – Die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen haben sich seit dem Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober weiter verschlechtert. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Hamas anschließend als Befreiungsorganisation bezeichnet, die ihr Land und Volk befreien wolle. Nach landesweiten antisemitischen Protesten musste Israel sogar seine Diplomaten aus dem Land abziehen. Die Türkei rief ihren Botschafter ebenfalls zurück.
Auch in Deutschland hatten Erdogans Worte bezüglich der Hamas für Empörung gesorgt. Nun kommt der türkische Staatschef nach Berlin. Trotz Aufrufen aus der Politik und der Zivilgesellschaft, das Treffen abzusagen, bleibe es bei der bisherigen Planung, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag (13. November) in der Bundespressekonferenz. Doch Politiker und Fachleute warnten im Gespräch mit IPPEN.MEDIA vor Fußangeln für Deutschlands Vertreter bei der Erdogan-Visite.
Treffen mit Erdogan laut Bundesregierung „herausfordernd“ – Linke stellt Forderung an Scholz
Die deutsche Position gegenüber Israel sei felsenfest. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) werde diese auch im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten „sehr deutlich machen“. Die Türkei sei bei einer ganzen Reihe von Themen ein wichtiger Faktor, sagte Hebestreit zugleich. Es gehe darum, in diesen Fragen voranzukommen. Unter den aktuellen Umständen werde der Besuch auch „herausfordernd“ sein. Erdogan wird auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammenkommen.
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) forderte Scholz im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA auf, bei dem Treffen mit Erdogan auf die Menschenrechtslage in der Türkei aufmerksam zu machen. „Die Bundesregierung muss den Besuch Erdogans nutzen, um sich für die Rechte von Regimegegnern einzusetzen, die in der Türkei gnadenlos verfolgt und weggesperrt werden“, sagte sie. „Willkürliche, politisch motivierte Haftstrafen sind in der Türkei an der Tagesordnung, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hingegen werden einfach ignoriert. Zugleich unterdrückt Erdogan die Kurden im eigenen Land“.
Türkei-Deal bei Erdogan-Besuch im Fokus: „Kein sicheres Land für Geflüchtete“
Auch die Hilfsorganisation medico international sieht den Besuch des türkischen Präsidenten skeptisch. „Wir sehen an dem Besuch, dass die Bundesregierung eine interessensgeleitete Politik verfolgt. Bei dem Treffen wird auch die Aushandlung eines erneuten Flüchtlingsdeals sowie Abschiebungen in die Türkei im Fokus stehen, obwohl die Türkei kein sicheres Land für Geflüchtete ist“, mahnte Anita Starosta, medicos Referentin für Syrien, Türkei und Irak im Gespräch mit unserer Redaktion.
„Die völkerrechtswidrigen Aktionen der Türkei in Syrien und der offene Zuspruch Erdogans zur Hamas bieten genug Anlässe, die Beziehungen der beiden Länder nicht weiter zu vertiefen und die Durchsetzung der Menschenrechte als oberste Prämisse der Zusammenarbeit zu formulieren“, fügte sie hinzu.
„Hassprediger Erdogan“ zu Besuch bei Scholz
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) forderte den Bundeskanzler zu deutlichen Worten bei Treffen mit dem türkischen Präsidenten auf. „Olaf Scholz muss Erdogan unbedingt öffentlich auffordern, seine Hasspredigten zu unterlassen. Es ist kein Wunder, dass Erdogan in diesen Tagen zu einem der wichtigsten Hassprediger wird“, sagt der Nahostreferent bei der GfbV, Kamal Sido, im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA.
„Erdogan hetzt seit jeher gegen Juden und Israel, Kurden oder Armenier. 2018 feierten viele islamistische Anhänger Erdogans die Besetzung Afrins durch die türkische Armee“, betonte er: „In ihren Moscheen, auch in Deutschland, wurde für den Sieg der türkischen Armee gebetet.“
Türkei-Besuch in Deutschland: Kurdische Gemeinde weist auf türkische Imame im Land hin
Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD) stellte Forderungen an die Bundesregierung. „Die Bundesregierung muss die Finanzierung der türkischen Imame in Deutschland durch die Türkei beenden“, teilt die KGD auf X mit. Hintergrund sind vor allem antisemitische Aussagen und Verschwörungsmythen des Vorsitzenden der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş.
„Hinter dem jüdischen Zionismus, der die ganze Welt ins Unglück stürzt, steht der Evangelikalismus, d. h. der christliche Zionismus“, sagte Erbaş am Montag bei einer Konferenz mit Vertretern der Diyanet. Die Imame des größten deutschen Moscheeverbandes Ditib werden ebenfalls von der Diyanet entsandt. Erbaş ist damit der Vorgesetzte der Imame in den Ditib-Moscheen.
Die Türkei hingegen hat massive wirtschaftliche Probleme und braucht dringend ausländisches Kapital. Inflation und Währungsverfall treiben in dem Land immer mehr Menschen in die Armut. Auch außenpolitisch ist das Land isoliert. Das Vertrauen in das Land ist sichtlich verschwunden. (Erkan Pehlivan)
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