Xi Jinpings Infrastrukturprogramm
Zehn Jahre Neue Seidenstraße: Chinas Milliarden gehen um die Welt – und sicherten Peking Infrastruktur in Europa
VonChristiane Kühlschließen
Häfen, Bahnstrecken, Industrieanlagen: Zehn Jahre nach Xi Jinpings Startschuss für die Neue Seidenstraße hat China weltweit in Infrastruktur investiert. Auch in Europa – das daran selbst nicht ganz unschuldig ist.
Peking/München – Deutschland ist der Neuen Seidenstraße nie beigetreten, Italien will wieder hinaus: Chinas milliardenschweres Investitionsprogramm ist vor allem ein Projekt für den globalen Süden. 2013 hatte Staatschef Xi Jinping die Initiative mit einer Rede in Kasachstan ins Leben gerufen. Damals wollte er Zentralasien entlang antiker Handelswege vernetzen und den Warenaustausch ankurbeln. Inzwischen ist seine Neue Seidenstraße allerdings zu einem milliardenschweren globalen Infrastrukturprogramm geworden. Dort, wo es gut läuft, bekommen die Partnerländer Kraftwerke, Bahnlinien oder Straßen. Und China sichert sich umgekehrt geopolitischen Einfluss.
Seit 2019 ist Italien als einziges großes westliches Industrieland Mitglied. Doch diese Mitgliedschaft gilt der neuen Regierung von Giorgia Meloni als lästig, und schädlich für die Beziehungen zu den anderen G7-Staaten. Bis Jahresende muss Italien sich entscheiden, ein Austritt gilt als sicher. Eine Abkehr von China soll es aber nicht sein: Wie auch immer die Entscheidung ausfalle, „sie wird unsere Beziehungen nicht gefährden, und auf jeden Fall wird die Partnerschaft mit China gestärkt“, sagte Außenminister Antonio Tajani nach seinem China-Besuch Anfang dieser Woche in einem Fernsehinterview. Man werde es verschmerzen, ließ sein Amtskollege Wang Yi wissen.
Chinas Neue Seidenstraße: Zehn Jahre und 150 Mitgliedsstaaten
Denn auch ohne Italien hat die Seidenstraßen-Initiative knapp 150 Partnerländer. Denn auch wenn in Europa die Seidenstraßen-Initiative zunehmend kritisch gesehen wird, ist sie im globalen Süden weiterhin populär. Zwar gibt es immer wieder Berichte über Schuldenfallen oder Umweltschäden. Doch die armen Länder haben schlicht zuwenig Geld, um ihre Infrastruktur selbst zu bauen. Chinas Angebot passt daher zu ihrer Nachfrage. „Sprechen wir mit China, bekommen wir einen Flughafen; sprechen wir mit Deutschland, bekommen wir einen Vortrag“, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala diese Woche als Gast auf der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt.
Deswegen sind praktisch alle afrikanischen Länder Mitglieder der Neuen Seidenstraße, sowie alle in Südostasien und 13 Länder Südamerikas. In der EU sind die Mitglieder durchaus zahlreich: Neben Italien sind es Polen, Österreich, Ungarn, Griechenland, Portugal, Kroatien, Rumänien, Slowenien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen und Luxemburg. Hinzu kommen in mehrere Länder Südosteuropas, die Türkei, die Ukraine und natürlich Russland.
In Europa besitzt China die Mehrheit am griechischen Hafen Piräus und finanzierte den Bau der Bahnlinie von Budapest nach Belgrad. Solche Investitionen in EU-Mitgliedsstaaten machen es Brüssel seit Jahren schwer, eine einheitliche Haltung gegenüber China zu entwickeln. Vor allem Griechenland und Ungarn haben immer wieder Ansätze öffentlicher Kritik der EU an China torpediert. Auch in Südosteuropa vergab Peking zinsgünstige Kredite für Infrastruktur und Energieprojekte; vor allem Serbien positioniert sich derzeit sehr China-freundlich.
Der Schwerpunkt der Neuen Seidenstraße liegt indes nicht in Europa, sondern im Globalen Süden. Derzeit schließt China nach Daten der bundeseigenen Germany Trade & Invest (GTAI) die meisten und größten Verträge auf der arabischen Halbinsel ab, vor allem zur Energiewende. Zu den bekanntesten realisierten Projekten gehören der China-Pakistanische Wirtschaftskorridor (CPEC) – ein Netz von Energieanlagen, Industriezonen, Straßen, Eisenbahnen und Häfen – , eine kenianische Normalspurbahn und die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke Jakarta-Bandung in Indonesien. Am Mittwoch verhandelten China und Indonesien gerade erst über eine Verlängerung der Strecke.
Und die Kritik? „Es gab einige sehr prominente katastrophale Projekte im Zusammenhang mit der Neuen Seidenstraße, etwa den Hafen von Hambantota in Sri Lanka oder ein Eisenbahnprojekt in Ostafrika, das die Küste mit dem Landesinneren verbindet“, sagte der britische Historiker Peter Frankopan. kürzlich im Interview mit IPPEN.MEDIA. „Diese Projekte haben zu Recht viel Aufmerksamkeit erregt. Aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Viele Seidenstraßen-Projekte sind gut gelaufen – und waren gut für die Gemeinschaften vor Ort.“ In Osteuropa beklagten manche Länder eher, dass China angekündigte Investitionen überhaupt nie realisierte.
Handel und Neue Seidenstraße: Chinas Projekte in Deutschland
In Deutschland war Chinas Staatsreederei Cosco am Bau eines Container-Terminals im Duisport beteiligt, dem größten europäischen Binnenhafen in Duisburg. Die Stadt ist Endpunkt der Seidenstraßen-Bahnverbindung aus China; jede Woche fahren von dort bis zu 60 Züge in verschiedene Städte der Volksrepublik. Für den Jade-Weser-Port Wilhelmshaven, Deutschlands einzigen Tiefseehafen, unterzeichnete China Logistics einen Pachtvertrag über 99 Jahre, um dort ein Logistikzentrum zu bauen. Und in Hamburg steigt Cosco jetzt nach langem Ringen zwischen der Hansestadt und der Bundesregierung mit einer Beteiligung von 24,9 Prozent an einem von drei Containerterminals ein. Es ging um die Frage, wie groß die Sicherheitsrisiken durch den Verkauf kritischer Infrastruktur an eine diktatorisch regierte Großmacht sind. Diese Grundsatzdebatte geht auch nach dem Kompromiss von Hamburg weiter.
Früher war Europa indes nur zu bereit, Anteile auch an bestehender Infrastruktur abzugeben. Cosco und seine Partnerfirma China Merchants haben bereits in 14 europäische Häfen investiert. Sie übernahmen die Mehrheit im griechischen Hafen Piräus, im spanischen Valencia und dem belgischen Zeebrügge. Zeebrügge ist seither das am schnellsten wachsende Drehkreuz im weltweiten Cosco-Netz. Hinzu kommen Minderheitsanteile an Rotterdam, Antwerpen und wichtigen Mittelmeerhäfen. Dabei sind auch Spanien, die Niederlande und Belgien keine Mitglieder der Neuen Seidenstraße. „Chinas Investitionen unterstreichen seine langfristige Hafenstrategie in Europa: die maritime Vernetzung der Transportinfrastruktur. Cosco steht dabei stellvertretend für Staatsunternehmen, welche die Anbindung an und Integration in die Neue Seidenstraße vorantreiben“, erklärt der Seidenstraßen-Experte Jens Bastian von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Athens Hafen Piräus: Chinas Brückenkopf nach Europa
Piräus ist heute Brückenkopf der Neuen Seidenstraße in Europa und damit das wichtigste Hafenprojekt Chinas in der EU. Cosco hält inzwischen 67 Prozent am Hafenbetreiber. Griechische Reedereien hätten bereits vor mehr als zehn Jahren Cosco die Tür geöffnet, erzählt Bastian. „Diese Familienunternehmen ließen ihre Tankerflotte in Südkorea und China bauen, während sich Peking in Europa auf den Erwerb von Häfen und maritime Transportkapazitäten konzentrierte.“ Mögliche europäische Investoren hatten übrigens 2015 abgewunken. Auch das ist Teil der Geschichte.
Wirtschaftlich ist der einst marode Hafen von Piräus seit dem Cosco-Einstieg ein Erfolg. Schiffe aus Asien laufen heute nach der Durchquerung des Suezkanals als erstes Piräus an; Fracht wird dort für den ganzen Mittelmeerraum in kleinere Feederschiffe umgeladen. Doch Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis beschrieb das Verhältnis zu China 2022 trotzdem als „schwierig und komplex“. In der aktuellen Weltlage dürfte es künftig nicht einfacher werden.
Rubriklistenbild: © ORESTIS PANAGIOTOU/AFP