„Eskalationsrisiko“ bleibt

Putin und die Moldau-Wahl: Nur ein „Warnschuss“ in Transnistrien – Russland zündelt in der nächsten Region

  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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In Moldau stehen Richtungswahlen an. Russland zündelt dabei kräftig. Neben dem einstigen Pulverfass Transnistrien bastelt Putin am nächsten Krisenherd.

Im Februar 2024 richteten sich die Blicke plötzlich auf Transnistrien: Das Regime der abtrünnigen Provinz Moldaus, direkt an der Grenze zur Ukraine gelegen, rief den Kreml um Hilfe – so, wie zwei Jahre zuvor die prorussischen Separatisten in der Ukraine. Dort lieferten sie den offiziellen Anlass für Russlands Invasion. Doch in Moldau blieb die teils befürchtete Eskalation aus. Am Sonntag (20. Oktober) können die Menschen in Transnistrien sogar bei der Präsidentschaftswahl in Moldau abstimmen.

Aus Sicht von Brigitta Triebel, Leiterin des moldauischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung, ist die aktuell ruhige Lage wenig überraschend. Wladimir Putins Russland stehe vor großen Hürden bei einer Intervention in Moldau – Transnistrien und Moldau hätten sich wiederum in der Situation eingerichtet. Dafür trete zunehmend eine weitere Krisenzone beim EU-Beitrittskandidaten auf den Plan: Gagausien.

Putins „klassischer Hebel“ Transnistrien: Ein „Warnschuss“ – und neue Probleme für Moldau

„Transnistrien war immer der klassische Hebel für Moskau“, sagt Triebel. „Das funktioniert aus einem einfachen Grund nicht mehr so einfach: Die Schutzmacht Russland ist sehr, sehr weit weg – und dazwischen ist eine Front, die im Moment von der Ukraine gehalten wird.“ Die Grenzen habe Kiew im Ukraine-Krieg dichtgemacht; auch mit einem militärischen Eingreifen in Transnistrien drohte die Ukraine zu Beginn der russischen Invasion. In Moldaus Hauptstadt Chisinau seien zugleich korrupte Ansprechpartner Transnistriens in der Regierung weggefallen.

Starker Rückhalt in Transnistrien: Wladimir Putins Russland zündelt weiter beim EU-Beitrittskandidaten Moldau.

Offiziell gebe sich Transnistrien als „kleine Sowjetunion“, de facto aber befinde sich der schmale Landstreifen in der Hand von Oligarchen – die über 30 Jahre hinweg Milliarden an Menschen- und Waffenhandel verdient hätten. Ein einträgliches Geschäft sei nun weggebrochen, die wirtschaftliche Lage habe sich verschlechtert. Mit dem Status Quo seien Moldau und Transnistrien im Prinzip zufrieden, meint Triebel: Für Chisinau wäre eine Wiedereingliederung der längst entfremdeten Republik sehr kostspielig – die Oligarchie wiederum könne immerhin ihre Rest-Pfründe wahren.

Insofern sei der – eher in Deutschland als in Moldau viel beachtete – Hilferuf bestenfalls eine Art „Warnschuss“ gewesen. Aus einem skurril anmutenden Grund: Triebel zufolge exportiert Transnistrien mittlerweile rund 70 Prozent seiner Produkte in die EU, und das unter moldauischem Zolllabel. Moldau wollte im Frühjahr Abgaben dafür verlangen. Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky gab am Donnerstag in einer Presserunde ebenfalls vorsichtig Entwarnung: Anders als etwa in Georgien gebe es „in diesem Gebiet kein Übermaß an russischer Militärpräsenz“.

Wahlen in Moldau: Gagausien bereitet Kopfzerbrechen – „Eskalationsrisiko“ besteht fort

Einen anderen innenpolitischen Konflikt heizt Russland dafür an. In der autonomen Region Gagausien in Moldaus Südwesten gibt es eine starke pro-russische Mehrheit. Die EU-freundliche Präsidentin Maia Sandu erhielt dort 2020 nur zwei Prozent der Stimmen. Die Lokalregierung versuche nun zu provozieren, sagt Triebel – etwa mit dem Vorwurf, man werde der Autonomierechte beraubt. Oder der Drohung, das Ergebnis von Moldaus ebenfalls am Sonntag stattfindenden EU-Referendum nicht zu akzeptieren. „Dann ist die Frage: Was macht man danach?“, warnt Triebel. Die EU hat Teile der örtlichen Regierung auf Sanktionslisten gesetzt. In bewährtem Muster rief auch Gagausien schon nach russischem Schutz.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Wählen dürfen auch die Menschen in Transnistrien: Moldau richtet auf seiner Seite des Grenzflusses Dnister 30 Wahllokale ein. Transnistriens Präsident Wadim Krasnoselski hat den Bürgerinnen und Bürgern per Interview grünes Licht gegeben. Vielleicht, weil die Stimmen das pro-russische Lager stärken könnten – wenngleich Präsidentin Sandu in Krasnoselskis Pseudo-Staat mehr Zuspruch hat als in Gagausien. Allgemein mischt sich Russland mit Desinformationskampagnen über die EU und angebliche Kriegsgefahren stark in Moldaus Wahlen ein.

Finale Entwarnung in Sachen Transnistrien will Triebel indes nicht geben. Nach wie vor gebe es ein „Eskalationsrisiko“ – etwa wenn Putins Regime sich für diesen Eskalationspfad entscheide. Oder wenn der wirtschaftliche oder rechtsstaatliche Druck auf die Oligarchen wachse. Die EU will indes Beitrittsverhandlungen nicht von einer Lösung des Konflikts abhängig machen. „Das darf keine harte Bedingung für den Beitrittsprozess sein“, sagte Lagodinsky. (fn)

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