Nach Baerbock-Rückzug

Erste Rufe nach Links-Schwenk bei den Grünen – was folgt auf Baerbock und Habeck?

  • Felix Durach
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Annalena Baerbock will vorerst keinen Spitzenposten bei den Grünen mehr übernehmen. Wer übernimmt künftig die Führung in Fraktion und Partei?

Berlin – Das durch die Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2025 ausgelöste Machtbeben in den Reihen der Grünen setzt sich weiter fort. Nach dem angekündigten Rückzug von Kanzlerkandidat Robert Habeck hat am Mittwochmorgen auch Außenministerin Annalena Baerbock angekündigt, bei den Grünen vorerst keine Führungsposition mehr übernehmen zu wollen. Damit verlieren die Grünen in nur anderthalb Wochen gleich beide prägende Figuren der letzten Jahre. Habeck und Baerbock hinterlassen ein Loch bei den Grünen, das Partei und Fraktion jetzt füllen müssen. Wer könnte in den bevorstehenden Jahren in der Opposition die Führung übernehmen?

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Kanzlerkandidat, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, sprechen im Haus der Bundespressekonferenz.

Baerbock und Habeck verzichten auch Führungsposition: Wer bestimmt die Zukunft bei den Grünen?

Bei den Grünen herrscht in der Regel eine klare Trennung zwischen Parteiführung, Fraktionsführung und der Übernahme von Ämtern. Als Baerbock und Habeck nach den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien ihre eigenen Ministerien erhielten, zog sich das Führungsduo als Vorsitzende der Grünen zurück. Es übernahmen Ricarda Lang und Omid Nouripour, die im November 2024 in Folge der schwachen Ergebnisse der Grünen bei den Landtagswahlen im Osten zurücktraten.

Seit Dezember 2024 stehen deshalb Franziska Brantner und Felix Banaszak an der Spitze der Partei. Das neue starke Duo der Grünen kündigte bereits kurz nach der Bundestagswahl 2025 an, ihre Ämter trotz des enttäuschenden Ergebnisses weiter ausüben zu wollen. „Wir sind im November 2024 gewählt worden“, zitierte t-online Banaszak am Montag nach der Wahl. „Und haben vor, das Amt jetzt auch in dieser Situation weiter auszuüben.“ In der Partei dürfte sie also weiterhin den Ton angeben.

Diese bekannten Politiker sitzen jetzt nicht mehr im Bundestag

Christian Lindner
Die FDP ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und scheidet damit aus dem Bundestag aus. Noch 2017 hatte Parteichef Christian Lindner sie mit neuem Image und einem zweistelligen Ergebnis nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder ins Parlament geführt – doch die Rechnung ging dieses Mal nach Ampel-Bruch und Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Partei nicht auf.  © imago
Johannes Vogel, Fraktionsgeschäftsführer der FDP
Dem Wahlergebnis fiel damit auch Johannes Vogel zum Opfer. Er war zuletzt Fraktionsgeschäftsführer der FDP im Bundestag sowie stellvertretender Bundesvorsitzender. Durch das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zieht auch er nicht wieder in den Bundestag ein.  © Rabea Gruber/dpa
FDP-Politikerin und frühere JuLi-Chefin Ria Schröder
Ria Schröder gilt als eine der personellen Hoffnungen der Freien Demokraten. Die Juristin war Vorsitzende der Jugendbewegung Junge Liberale und ist Mitglied des FDP-Bundesvorstands.  © Hannes P. Albert/dpa
Früherer FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
Bijan Djir-Sarai saß ebenfalls für die FDP im Bundestag und war bis November 2024 ihr Generalsekretär. Nach dem Ampel-Bruch trat er von der Position zurück.  © Sebastian Gollnow/dpa
Linda Teuteberg, FDP-Spitzenkandidatin in Brandenburg
Linda Teuteberg hatte viel vor mit der FDP, als sie 2019 Generalsekretärin wurde. Von diesem Amt entfernte Christian Lindner sie jedoch zugunsten Volker Wissings schon vor dem Ende ihrer Amtszeit wegen Streitigkeiten. Auch sie ist durch das schlechte Abschneiden der FDP bei der Bundestagswahl 2025 nicht mehr im Bundestag vertreten. © Bernd von Jutrczenka/dpa
Wolfgang Kubicki (FDP)
Auch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden und FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki werden wir in dieser Legislaturperiode wegen des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Deutschen Bundestag sehen.  © Michael Kappeler/dpa
Christian Dürr, Fraktionschef der FDP im Bundestag
Christian Dürr ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP und war zuletzt Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Bundestag. Auch er scheidet mit seiner Partei wegen ihres schlechten Wahlergebnisses aus dem Bundestag aus.  © imago
Marco Buschmann, FDP
Marco Buschmann war in der Ampel-Koalition als Bundesjustizminister tätig. Mit dem Bruch der Ampel gab er das Amt jedoch an Volker Wissing ab, der nach dem Zerwürfnis der Koalition aus der Partei austrat.  © Michael Kappeler/dpa
Volker Wissing, ehemals FDP und mittlerweile parteilos
Volker Wissing, in der Ampel-Koalition Verkehrsminister und später zusätzlich Justizminister, ließ zwar nach dem Scheitern der Ampel seine Partei hinter sich. In den neuen Bundestag zieht der jetzt parteilose Rechtsanwalt aber trotzdem nicht ein. Er möchte sich aus der Politik zurückziehen und in seiner Kanzlei arbeiten. © Hannes P Albert/dpa
Jens Teutrine, früherer Chef der Jungen Liberalen
Jens Teutrine war wie Ria Schröder auch Chef der Jungen Liberalen, bevor er in den Bundestag einzog. Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag endet auch sein Mandat. © Serhat Kocak/dpa
Bettina Stark-Watzinger, ehemalige FDP-Bundesbildungsministerin
Ein weiteres prominentes Gesicht der Ampel-Koalition verlässt den Bundestag: Bettina Stark-Watzinger, die während der letzten Legislaturperiode Bundesbildungsministerin war.  © Christine Schultze/dpa
Sahra Wagenknecht, BSW-Gründerin und frühere Linken-Chefin
Politisch eklatant unterschiedlich, eint sie doch dasselbe Schicksal: Wie die FDP scheiterte auch das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde – und zwar äußerst knapp. Einst Linken-Chefin, gründete Sahra Wagenknecht Anfang 2024 das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Trotz des aus dem Stand starken Abschneidens bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zieht das Bündnis nach der Bundestagswahl knapp nicht ins Parlament ein.  © Frank Ossenbrink/imago
Amira Mohamed Ali, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Amira Mohamed Ali war einst Abgeordnete der Linken, gründete jedoch zusammen mit Sahra Wagenknecht das BSW. Sie ist Parteivorsitzende – und nicht mehr im Bundestag. © Christoph Hardt/imago
Sevim Dagdelen, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Auch Sevim Dagdelen entschied sich zum Parteiaustritt aus der Linken und zum Eintritt ins BSW, das bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und somit nicht im Bundestag vertreten ist.  © imago
Grünen-Politiker Cem Özdemir
Die Grünen verlieren nach der Bundestagswahl 2025 sogar ein Ministergesicht: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wird nicht mehr im Parlament vertreten sein. Jedoch entschied er das bereits selbst lange vor der Wahl. Er will der Bundespolitik den Rücken kehren und strebt in seiner Heimat Baden-Württemberg das Amt des Ministerpräsidenten an. © Hannes P Albert/dpa
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar dürfte über die Grenzen Berlins hinaus nicht besonders bekannt gewesen sein – bis Ende 2024 Vorwürfe der Belästigung gegen ihn laut wurden. Eigentlich wollte er in seinem Wahlkreis Berlin-Pankow wieder zur Bundestagswahl antreten, jedoch entschied sich der Kreisverband bei einer erneuten Abstimmung stattdessen für Julia Schneider, die nun in den Bundestag einzieht. Die Vorwürfe hatten sich im Übrigen als falsch erwiesen.  © imago
Grünen-Politikerin Tessa Ganserer
Tessa Ganserer ist eine der bekanntesten Trans*-Politikerinnen Deutschlands. Im Bundestag setzte sich die Grüne vor allem für die Rechte queerer Menschen ein. Dass sie in der 21. Wahlperiode nicht mehr im Parlament sitzt, war ihre eigene Entscheidung. Sie trat nicht mehr als Kandidatin an. Wegen des „menschenverachtenden Hasses“, der ihrer Person entgegengebracht worden sei, wolle sie ihrem Leben noch einmal eine andere Richtung geben. © Dwi Anoraganingrum/imago
Grünen-Politikerin Renate Künast
Auch die prominente Grünen-Politikerin Renate Künast wird nicht mehr im neuen Bundestag vertreten sein – ebenfalls aus freien Stücken. Sie wollte nicht mehr antreten, „um Platz für Jüngere zu machen“, hatte Künast im Sommer 2024 erklärt. Vorher war sie bereits Landwirtschaftsministerin, Grünen-Fraktionschefin und Parteivorsitzende gewesen.  © Christoph Soeder/dpa
SPD-Politikerin Michelle Müntefering
Auch bei der SPD verlassen bekannte Gesichter den Bundestag. Michelle Müntefering (SPD), Ehefrau von Franz Müntefering, sitzt ebenfalls nicht mehr im Parlament. Das war jedoch schon vor der Bundestagswahl klar: Die SPD hatte nicht mehr sie, sondern Hendrik Bollmann für ihren Wahlkreis Herne - Bochum II nominiert. © M. Popow/imago
SPD-Politiker und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, Michael Müller
Michael Müller (SPD) war einst Regierender Bürgermeister von Berlin und zog 2021 in den Bundestag ein. Damals hatte er in seinem Wahlkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf die meisten Stimmen bekommen, diesmal landete er hinter Lukas Krieger (CDU) und Lisa Paus (Grüne) nur auf dem dritten Platz und verpasste damit sein Ticket ins Parlament.  © Bernd von Jutrczenka/dpa
Der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
SPD-Promi Kevin Kühnert hatte eine steile politische Karriere hingelegt. Er war Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und seit 2021 Generalsekretär. Von dem Amt trat er 2024 zurück und kündigte an, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzuziehen und nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen.  © Michael Kappeler/dpa
SPD-Politiker Michael Roth
Der hessische SPD-Politiker Michael Roth entschied sich ebenfalls weit vor der Wahl, nicht mehr für den Bundestag anzutreten. In seinem Fall spielte auch sein Einsatz für die Ukraine eine Rolle, der nicht allen in der Partei gefallen habe, und er habe sich mit der Zeit von den Sozialdemokraten und dem Politikbetrieb entfremdet. © imago
CDU-Politiker Helge Braun
Trotz ihres Wahlsiegs verliert auch die Union ein bekanntes Gesicht: Helge Braun war unter Angela Merkel Kanzleramtschef. Ende 2024 kündigte der Arzt aus Gießen an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen.  © Kay Nietfeld/dpa
CSU-Politiker Peter Ramsauer
Auch aus der Schwesterpartei CSU verschwindet eine bekannte Persönlichkeit: Der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer scheidet aus dem Bundestag aus – auf eigenen Wunsch war er nicht mehr angetreten. © Michael Kappeler/dpa
Susanne Hennig-Wellsow, Die Linke
Auch die Linke verbüßt trotz überraschend starkem Wahlergebnis Abgänge: unter anderem Susanne Hennig-Wellsow. Die frühere Bundesparteivorsitzende ist nicht mehr zur Bundestagswahl angetreten. Sie wollte sich beruflich etwas Neuem widmen. © Frederic Kern/imago

Baerbock strebt Koalitionsführung nicht an – freie Bahn für Haßelmann und Dröge

Mit Blick auf die Fraktionsführung gibt es zwei klare Favoritinnen auf den Posten. Britta Haßelmann und Katharina Dröge führten die Grünen-Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode an und ließen nach der Wahl wissen, dass sie gerne weiter machen würden. In der vergangenen Woche machten jedoch bereits erste Gedankenspiele die Runde, wer in der Fraktionsspitze für Baerbock Platz machen könnte. Im Gespräch soll unter anderem eine Nominierung von Haßelmann zur Bundestagsvizepräsidentin gewesen sein. Überlegungen, die nach Baerbocks Ankündigung erst einmal verworfen werden können.

„Mit zwei starken Frauen an ihrer Spitze beginnt jetzt ein neues Kapitel für unsere Fraktion“, betonte Baerbock in dem am Mittwochmorgen veröffentlichten Brief. Dröge und Haßelmann wurden erst in der vergangene Woche geschäftsführend im Amt bestätigt – im Bundestag dürften sie in der kommenden Legislaturperiode den Kurs der Grünen-Fraktion vorgeben.

Rufe nach Links-Schwenk in der Grünen-Fraktion – Ricarda Lang im Fokus

Wie der Focus berichtet, gibt es jedoch auch Forderungen aus den linken Kreisen der Fraktion, die Führung umzubauen. „Nach acht Jahren mit einer Realo-Doppelspitze in der Führung brauchen wir personelle Veränderungen“, sagte ein namentlich nicht genanntes Mitglied des linken Flügels im Gespräch mit dem Focus. Der Vorschlag: Die bei den Grünen bewährte Kombi aus Parteilinke und Realo soll aufgebrochen und durch eine linke Doppelspitze ersetzt werden. Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist Ricarda Lang.

Die Ex-Parteivorsitzende erfreut sich seit ihres Rücktritts im vergangenen Jahr großer Beliebtheit. Zuletzt zeigte die erst 31-Jährige mit deutlichen Worten gegen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auch, dass sie austeilen kann – in der Opposition könnte sie somit eine führende Rolle als Kritikerin der Regierung übernehmen. Wie der Focus berichtet, ist eine sofortige Rückkehr von Lang in die erste Reihe für sie jedoch zunächst keine Option. Chancen auf mehr Verantwortung hat auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch, der als Wahlkampfleiter seiner Partei für die Bundestagswahl 2025 agierte.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, und Ricarda Lang, von Bündnis 90/Die Grünen, unterhalten sich am Rande der Fraktionssitzung ihrer Partei.

Grüne suchen nach Baerbock-Abgang neue Führung: Göring-Eckardt will als Bundestagsvize weitermachen

Offen ist weiterhin, wen die Grünen als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten nominieren werden. Katrin Göring-Eckardt bekleidete das Amt bereits in den vergangenen vier Jahren und will offenbar weiter machen. Für die frühere Parteivorsitzende spricht unter anderem, dass sie die einzige in der Führungsriege der Grünen ist, die aus Ostdeutschland kommt. Ebenfalls im Gespräch für das Amt soll nach Informationen des Handelsblatt Omid Nouripour sein. Eher schlecht stehen die Chancen für Claudia Roth, die das Amt bereits zwischen 2013 und 2021 innehatte und offenbar erneutes Interesse angemeldet haben soll.

Grüne müssen nach Baerbock-Rückzug Weichen für die Oposition stellen

Führungsverantwortung könnten in der Theorie auch die scheidenden Grünen-Minister aus der Ampel-Regierung übernehmen, doch der Blick ins Kabinett zeigt wenig Optionen. Der sicherlich prominenteste Vertreter neben Habeck und Baerbock – Landwirtschaftsminister Cem Özdemir – hat andere Pläne. Der 59-Jährige will 2026 Nachfolger von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden. Übrig bleiben Umweltministerin Steffi Lemke und Familienministerin Lisa Paus, die bislang jedoch nicht mit weiteren Führungspositionen in den Reihen der Grünen in Verbindung gebracht werden.

Mehr Klarheit über die Zukunft der Grünen nach Habeck und Baerbock könnte ein kleiner Parteitag in den kommenden Wochen bringen. Spätestens am 25. März muss der neue Bundestag erstmals für eine konstituierende Sitzung zusammentreten – dann kann die neue Fraktion der Grünen die Weichen für die kommenden vier Jahre Opposition stellen. (fd)

Rubriklistenbild: © Jens Büttner/dpa