Waffen, Investoren und EU-Beitritt

Geld-Deal trotz Hamas-Zwist: Das will Erdogan mit seinem Deutschland-Besuch erreichen

  • Erkan Pehlivan
    VonErkan Pehlivan
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Als Hamas-Sympathisant verärgert Erdogan den Westen. Trotzdem wird er heute in Deutschland zum Staatsbesuch empfangen. Beide Seiten brauchen sich.

Berlin – Im Vorfeld des Staatsbesuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am Freitag (17. November) hat es viele Proteste gegeben. Mehrere Organisationen haben eine Absage des Treffens mit Kanzler Olaf Scholz gefordert. Der Grund: Erdogan hatte sich als Unterstützer der Hamas im Israel-Krieg geoutet – und damit einen Aufschrei provoziert. Zum Schluss hatte die Bundesregierung jedoch einen Schlussstrich gezogen und eine Absage des Treffens abgelehnt. Es bleibe bei der bisherigen Planung, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag (13. November) in der Bundespressekonferenz.

Staatsbesuch in Deutschland: Geld gegen Geflüchtete – Erdogan und Scholz planen Deal

Zu besprechen gibt es bei dem Staatsbesuch von Erdogan in Berlin vieles. Deutschland und die Europäische Union (EU) wollen eine Entlastung bei den Flüchtlingszahlen – und deshalb einen Asylpakt mit der Türkei verlängern. Und Erdogan braucht im Gegenzug angesichts massiver wirtschaftlicher Probleme dringend Investoren, die frisches Kapital ins Land bringen. Gute Voraussetzungen für einen Deal.

Derzeit liegt die Inflation nach staatlichen Angaben bei 62,56 Prozent. Das unabhängige Wirtschaftsinstitut Ena Grup berechnet die Inflation sogar mit 126,18 Prozent. Auch die Landeswährung rutscht seit Jahren ab, was die Armut in dem Land zusätzlich befeuert. Der US-Dollar kostet inzwischen 28,70 Türkische Lira (TL). Ein Jahr zuvor kostete er noch 18,60 TL und fünf Jahre zuvor 5,30 TL.

Forderung vor Deutschland-Besuch: Erdogan fordert EU-Mitgliedschaft

Auch drängt Erdogan weiterhin in die Europäische Union (EU). Im September hatte der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei, Nacho Sánchez Amor, einem EU-Beitritt der Türkei eine Absage abgelehnt. Die EU-Beitrittsgespräche könnten unter der jetzigen Situation in der Türkei nicht fortgesetzt werden. Der Berichterstatter gab bei der Vorstellung seines Papiers vor dem EU-Parlament bekannt, dass er keine Besserung in der Türkei sieht. „Es gibt keine Maßnahmen im Bereich der Rechte und Freiheiten. Es gibt nicht einmal Ankündigungen von Plänen oder Reformen“, sagte Amor bei der Vorstellung seines Papiers.

Erdogan in Berlin: Türkei hofft auf Zusage für Eurofighter

Auch versucht die Türkei seit Jahren, das Militär zu modernisieren. Das Land flog aus dem F-35-Programm raus, nachdem es entgegengesetzt aller Warnungen aus der Nato das russische Raketenabwehrsystem S-400 beschafft hatte. Die Türkei versucht bislang vergeblich moderne F-16 Kampfflugzeuge aus Washington zu kaufen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat viele Forderungen an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Die Türkei plant jetzt den Kauf von 40 Maschinen des Typs Eurofighter Typhoon, ließ Verteidigungsminister Yaşar Güler mitteilen. „Sowohl England als auch Spanien sagen „Ja“, und jetzt arbeiten sie daran, Deutschland zu überreden. England und Spanien sagen: Wir werden dieses Problem lösen“, sagte Güler bei einer Anhörung im Parlament. Eine Zustimmung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt weiterhin fraglich.

Zwar ist das russische Raketenabwehrsystem nicht in Betrieb, doch der türkische Verteidigungsminister warnt den Westen, die Forderungen aus Ankara zu erfüllen. „Wenn wir auf den Knopf drücken, wenn wir die S-400 brauchen, werden alle sehen, was passiert“, sagte Güler. Man könne nicht das Raketenabwehrsystem kaufen und es in die Ecke stellen. Der Kauf moderner Kampfflugzeuge würde zudem Erdoğans Image aufpolieren.

Trotz Besuch bei Scholz: Türkei entfernt sich immer weiter von der EU

Fachleute warnen schon lange, sich nicht von Erdogan erpressen zu lassen. „Es ist nahezu unmöglich geworden, mit dem Erdogan -Regime Kooperationen zu schließen, das sich immer weiter von den EU-Normen entfernt“, erzählt der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Prof. Savaş Genç im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA. Durch die Fortsetzung der bilateralen Beziehungen werde nur Erdogan und sein Regime legitimiert, das alle seine Trümpfe, wie ihre Nato-Mitgliedschaft, gegen die Europäische Union einsetzt. „Indem sie dem Erdogan-Regime günstige Kredite gewähren, finanzieren Sie dieses problematische Regime“, so Genç.

Wegen Israel-Krieg: Kurdische Gemeinde warnt vor laschem Umgang mit der Türkei

Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland warnt in einer gemeinsamen Mitteilung mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft die Bundesregierung vor einem zu laschen Umgang mit dem türkischen Präsidenten. „Deutschland muss seinen Kuschelkurs mit dem Nato-Bündnispartner Erdogan beenden und darf nicht weiter die Augen vor seinen Kriegsverbrechen verschließen“. Gemeint sind vor allem die Angriffe des türkischen Militärs in Nordostsyrien (Kurdisch: Rojava), die sowohl Menschenleben kosten und wichtige Infrastruktur wie Elektrizitätswerke zerstören. (erpe)

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