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Entwicklungsministerin kritisiert Ampel-Haushalt 2025: „Sollten eigentlich noch viel mehr tun“
VonFlorian Pfitzner
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Aus Sicht von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) wird der Haushaltsentwurf der Ampel den internationalen Ansprüchen Deutschlands nur in geringem Maße gerecht.
Das 1931 fertiggestellte Europahaus war das erste Hochhaus Berlins, mit seinen riesigen Leuchtwerbetafeln prägte es einst das Stadtbild. In den elf Etagen logiert inzwischen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Im zehnten Stockwerk empfängt Ministerin Svenja Schulze zum Gespräch mit dieser Redaktion. Aus ihrem Büro schaut sie auf das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP), auf ihrem Tisch liegt ein Buch mit dem Titel „Strong Women“, starke Frauen.
Die SPD-Politikerin hat sich in ihrem Ministerium ehrgeizige Ziele gesteckt. Sie setzt sich für Feminismus ein, was aber nicht heißen soll: „Politik von Frauen für Frauen“ – Männer seien in diesem Kampf gefragter denn je. „Olaf Scholz ist der erste Kanzler, der erklärt hat, dass er Feminist ist“, erzählt Schulze. Entwicklungspolitik versteht sie als nachhaltige Sicherheitspolitik. Wird der Haushaltsentwurf der Ampelkoalition ihren Ansprüchen gerecht? Schulze sagt: „Eigentlich sollten wir gerade für die Länder südlich der Sahara noch viel mehr tun.“
Frau Schulze, Sie sind für eine feministische Entwicklungspolitik angetreten. Was genau ist damit gemeint?
Einige fühlen sich ja vom Begriff Feminismus provoziert. Aber es geht um ganz grundlegende Dinge: Frauen haben in vielen Ländern deutlich weniger Rechte und Ressourcen als Männer, sie sind weniger repräsentiert, häufiger von Gewalt betroffen. Wie können Frauen ohne Angst vor Gewalt zur Arbeit kommen? Können sie ein Konto eröffnen? Eine Ausbildung machen? Selber darüber bestimmen, ob sie Kinder bekommen? Um solche Fragen geht es. Und das ist gut für alle. Denn wenn man auf die Hälfte der Kompetenzen einer Gesellschaft verzichtet, kann Entwicklung nicht funktionieren.
Explizit nicht gemeint ist „Politik von Frauen für Frauen“. Warum wird diese Politik von so wenigen Männern geprägt?
Wir stehen noch ziemlich weit am Anfang. Ich glaube, Olaf Scholz ist der erste Kanzler, der erklärt hat, dass er Feminist ist. Wir haben in Deutschland lange gebraucht, um unserem eigenen Anspruch gerecht zu werden und Männer und Frauen juristisch gleichzustellen. Frauen dürfen hier erst seit den 1960er Jahren ein eigenes Konto führen. Das Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe zu einer Straftat erklärt, trat erst 1997 in Kraft.
Sollten in Deutschland mehr Männer für Frauenrechte kämpfen?
Ja, ich finde schon. Das Land braucht Männer, die bei diesem Kampf mithelfen. Es macht unsere Gesellschaft nicht nur gerechter, sondern vor allem auch besser, wenn Männer und Frauen wirklich gleichgestellt sind.
Schulzes Haltung in der Entwicklungspolitik: „Weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand“
Sind Frauen eher geeignet, Konflikte in der Welt zu lösen?
Die Forschungsergebnisse sind in dieser Frage eindeutig: Wenn bei der Lösung von Konflikten die Perspektive der einen Hälfte der Bevölkerung fehlt, stehen die Lösungen auf wackeligen Beinen. Ermutigende Beispiele gibt es etwa in Kolumbien, wo man sehr genau darauf geachtet hat, dass Frauen an den Friedensgesprächen beteiligt sind.
Ministerin Annalena Baerbock wird wegen ihres feministischen Ansatzes häufig verspottet. Was sagen Sie dazu?
Es wird in Deutschland oft so getan, als hätten wir die Gleichberechtigung erfunden und würden anderen Ländern etwas aufdrücken, das gar nicht ihrer Kultur entspricht. Ich finde das arrogant und uninformiert. Es gibt überall auf der Welt lebendige Frauenbewegungen. Meine grundsätzliche Haltung für die Zusammenarbeit ist: weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand.
Außenpolitik steht in einem Spannungsfeld zwischen Werten und Interessen. Gilt das auch für Entwicklungspolitik?
In der Entwicklungspolitik haben wir den Vorteil, dass wir in ganz konkreten Projekten und Programmen arbeiten. Wenn es darum geht, Landwirtschaft an die Klimaveränderung anzupassen, dann kann man genau sagen, ob Frauen beteiligt sind oder nicht und ob das Projekt am Ende erfolgreich war.
„Die Radwege in Peru werden gerne genommen, um Entwicklungspolitik zu verhetzen“
In Deutschland geht die Debatte häufig so: Wir geben unser Geld für alles Mögliche in der Welt aus, das hier dann in Schulen und Kitas fehlt. Was sagen Sie jenen, die so argumentieren?
Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen. Tatsächlich wird fast der gesamte Bundeshaushalt in Deutschland verwendet. In unsere Entwicklungsprojekte fließen zwischen zwei und drei Prozent. Damit bekämpfen wir international Armut. Und zugleich sichern wir damit auch die Grundlagen von Wohlstand und Sicherheit in Deutschland und bringen weltweit den Klimaschutz voran. Unser Land und unsere Wirtschaft sind global vernetzt. Das ist gut angelegtes Geld.
Im Bundestag gibt es regelmäßig Kritik an Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit. Was bringt uns der Bau von Radwegen in Peru?
Die Radwege in Peru werden immer wieder stellvertretend genommen, um Entwicklungspolitik zu verhetzen. Das finde ich aus vielen Gründen gefährlich, unter anderem für Deutschlands volkswirtschaftliches Erfolgsmodell. Wir sind ein Exportland, wir sind auf Partnerschaften in der Welt angewiesen. Wir haben jahrzehntelang über verlässliche Beziehungen unseren Handel aufgebaut. Wer das alles so sinnlos findet, kann sich ja mal fragen, warum China und Russland in so hohem Maße in Afrika, Asien und Lateinamerika aktiv sind.
Die Radwege liegen im Interesse der deutschen Wirtschaft?
Sie sind Zubringer zu den neuen U-Bahn-Linien, die gerade gebaut werden und die wir mit Krediten unterstützen. Das ist ein Fünf-Milliarden-Dollar-Projekt, viele deutsche Firmen sind am Bau beteiligt. Wir sind also auch Türöffner und tragen zum guten deutschen Ruf bei. Was soll besser daran sein, wenn nur noch chinesische Firmen die Aufträge bekommen?
„Die neue China-Strategie ist völlig richtig – China ist in vielen Ländern selbst Kreditgeber“
Mit der Zeitenwende hat sich die China-Strategie der Bundesregierung geändert. Die Volksrepublik wird als wirtschaftlicher Wettbewerber und nicht mehr als Entwicklungsland behandelt. War das ein überfälliger Schritt?
Die Erarbeitung einer neuen China-Strategie war jedenfalls völlig richtig. Mit China gab es schon lange keine Entwicklungszusammenarbeit mehr, zumal China in vielen Ländern selbst als Kreditgeber unterwegs ist. Viele haben sich in Peking verschuldet. Zugleich ist es wichtig, mit China im Austausch zu bleiben.
In der Europäischen Union gilt China als Verhandlungspartner, als wirtschaftlicher Konkurrent und als ein systemischer Rivale.
Dieser Dreiklang prägt auch die deutsche China-Strategie. Wir werben für Demokratie, China nicht. China setzt seine Entwicklungspolitik sehr strategisch auch dafür ein, um Abhängigkeiten aufzubauen. Wir sollten China deshalb nicht überall konkurrenzlos das Feld überlassen. Die Entwicklungsländer suchen sich ihre Partner nach ihren Interessen aus. Wir sollten unseren guten Ruf in der Welt bestätigen und zeigen, dass wir der bessere Partner sind. Aber wir brauchen China auch als globalen Partner, weil wir gegen den Klimawandel oder Pandemien sonst nicht erfolgreich sein können.
Auch die Entwicklungspolitik für Gaza hat kritische Fragen aufgeworfen. Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Wir hatten in der Entwicklungszusammenarbeit im Gazastreifen bereits besonders strenge Kontrollmechanismen etabliert, damit Geld oder Material nicht in die falschen Hänge gelangen. Nach der furchtbaren Attacke der Hamas am 7. Oktober haben wir das noch einmal überprüft. Im Gazastreifen ist derzeit keine Entwicklungszusammenarbeit möglich. Aber im Westjordanland bemühen wir uns verstärkt um Stabilisierung.
Haushaltseinigung der Ampel: „Immerhin ist es gelungen, handlungsfähig zu bleiben“
Das Terrorregime der Hamas betrügt nach den Erkenntnissen des Ausschusses zur Entwicklungspolitik ihre eigene Bevölkerung, indem sie beispielsweise Wasserrohre in Gaza wieder ausgräbt und daraus Raketen für ihren Krieg gegen Israel baut. Was tun?
Wenn das stimmt, wäre es abgrundtief zynisch, die eigene Bevölkerung für Raketen verdursten zu lassen. Anschuldigungen dieser Art nehmen wir sehr ernst und gehen dem genau nach, soweit das in dieser Kriegssituation möglich ist. Bislang haben wir keinerlei Beweise dafür, dass unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen derart missbraucht wurden.
Die Ampelkoalition hat sich jetzt auf einen Haushaltsentwurf geeinigt. Es wurde hart gerungen. Welche Projekte muss das BMZ streichen?
Für mich war die entscheidende Botschaft diese: Deutschland hat eine Regierung, die in der Lage ist, gemeinsame Lösungen in schwierigen Fragen zu finden. In einer Zeit, in der weltweit so viel ins Rutschen gerät, ist Deutschland ein ganz wichtiger Stabilitätsanker.
Die Schwerpunkte dieses Haushaltes sollen auch auf der äußeren und inneren Sicherheit liegen. Sie verstehen Entwicklungspolitik als nachhaltige Sicherheitspolitik. Wird der Entwurf Ihren Ansprüchen gerecht?
Die Entwicklung anderer Länder hat tatsächlich viel mit unserer Sicherheit zu tun. Im Sahel, südlich der Sahara, gibt es zum Beispiel das weltweit größte Terrorproblem, das viele Länder destabilisiert. Die meisten Menschen wenden sich diesen Terrorgruppen aber nicht zu, weil sie so religiös sind, sondern weil sie ein Einkommen brauchen. Die Antworten sind also Jobs, Ausbildung und das heißt: mehr Entwicklungspolitik. Wenn ich an diese Länder denke, weiß ich, dass wir im Haushalt eigentlich noch viel mehr tun sollten. Aber immerhin ist es gelungen, handlungsfähig zu bleiben.