Appell an EU-Staaten

„Demokratie auf dem Spiel“: Hofreiter sieht EU-Beitritt Georgiens durch neues Gesetz gefährdet

  • VonLisa Mahnke
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Ein Gesetz könnte Georgiens Traum vom EU-Beitritt zunichtemachen, meint Grünen-Politiker Hofreiter. Auch die internationale Gemeinschaft ist besorgt.

Berlin – In Georgien durchläuft ein umstrittenes Gesetz zur verschärften Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen die Legislative. Nach Einschätzung des Grünen-Politikers Anton Hofreiter hätte das Land seine Chance auf einen EU-Beitritt vertan, sollte das Gesetz verabschiedet werden.

Das Parlament in Georgien hatte am Mittwoch trotz schwerer Proteste, begleitet von Polizeieinsätzen mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen, in zweiter Lesung das umstrittene Gesetz angenommen. Das Gesetz soll den angeblichen Einfluss des Auslands auf die Zivilgesellschaft im EU-Beitrittskandidaten Georgien beschränken und braucht nur noch eine Lesung, um angenommen zu werden.

Anton Hofreiter (Die Grünen) warnt vor den Entwicklungen in Georgien.

Hofreiter sieht Chance für EU-Beitritt mit Gesetz vertan – will jetzt Einfluss nehmen

Der georgische Regierungschef Irakli Kobachidse kündigte bereits an, die dritte Lesung in zwei Wochen abzuhalten. Weitere zwei Wochen später werde das Parlament dann das zu erwartende Veto von Präsidentin Salome Surabischwili gegen das Gesetz überstimmen. „Mit dem sogenannten Agentengesetz kann Georgien nicht Teil der EU werden“, sagte Hofreiter, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

„Das geplante Gesetz zur Beschneidung der Rechte von Homosexuellen ist genauso EU-rechtswidrig.“, so der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Georgien hatte im Dezember 2023 den Status aus EU-Beitrittskandidat erhalten, obwohl die Regierung zunehmend autoritär auftritt und westliche Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt. „In Georgien steht die Demokratie auf dem Spiel.“

Hofreiter sagte weiter: „Es gibt noch ein Zeitfenster, um Einfluss zu nehmen. Die wichtigen EU-Länder müssen jetzt deutlich machen, dass das Verhalten der georgischen Regierung nicht geht, und sie müssen darauf drängen, den Einfluss von Oligarchen zu begrenzen. Insgesamt müssen sie die 80 Prozent der georgischen Bevölkerung, die für den EU-Beitritt sind, unterstützen.“ Laut Stephan Malerius, Leiter des Südkaukasus-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, gegenüber dem RND könnte die EU nach den Europawahlen Sanktionen gegen Georgien verhängen. Auch ein Einfrieren der Beitrittsverhandlung wie bei der Türkei wäre möglich.

Russisches „Agentengesetz“ zum Vorbild? Sorge um kritische Organisationen und Medien

Das geplante Gesetz verlangt von Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland beziehen, transparent über die Quelle dieser Gelder zu berichten. Viele Programme zur Förderung der Demokratie in ehemaligen Sowjetrepubliken erhalten Unterstützung aus EU-Ländern oder den USA. Kritiker behaupten, dass die Regierung der Ex-Sowjetrepublik das Gesetz in Anlehnung an das russische „Agentengesetz“ entworfen hat, um kritische Organisationen und Medien zu behindern.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

In Russland werden zahlreiche Organisationen und Personen als „ausländische Agenten“ stigmatisiert, was für sie oft erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Diese Maßnahme wird als Mittel der politischen Repression betrachtet, um Kritiker zum Schweigen zu bringen.Die Sorge ist groß, dass die Regierung den Umbau zu einem autoritären Staat nach russischem Vorbild vorantreibt.“, so Malerius. Neben dem Agentengesetz sind auch Gesetze zur Reisefreiheit in der Diskussion. Experten sprachen von einer weiteren Eskalationsstufe.

Auswirkungen auf Organisationen aus Deutschland und der EU unklar – EU-Beitritt macht Druck

Ob auch deutsche und internationale Organisationen, wie zum Beispiel die Konrad-Adenauer-Stiftung, von dem Gesetz betroffen sein könnten, ist noch nicht bekannt. Momentan liege der Fokus laut Angaben der Stiftung auf kritischen georgischen Nichtregierungsorganisationen. Sicher ist jedoch: Mit einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen wären viele nicht einverstanden.

Laut einer aktuellen Umfrage vom Oktober 2023 wünschen sich 73 Prozent der georgischen Bevölkerungen den EU-Beitritt. Das sind zwar weniger als die 89 Prozent bei dem Ergebnis vom April 2023, doch immer noch eine deutliche Mehrheit. 55 Prozent wären auch zu einem Abbruch aller Handelsbeziehungen mit Russland für den Beitritt bereit. (lismah/dpa)

Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Jan Woitas

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