
VonMoritz Maier
schließen
Mit ihrem Parteitag beginnen die Grünen ihren Wahlkampf. Hofreiter geht auf Angriff und warnt vor Unwahrheiten der CSU und Markus Söder.
Wiesbaden – Kurz nach dem Ampel-Aus findet der Parteitag der Grünen statt. Eine neue Spitze soll die Partei führen, Robert Habeck ins Kanzleramt einziehen. Ihr Wahlprogramm muss die Partei zwar noch aufstellen, Anton Hofreiter wird aber schon jetzt konkret. Der bayerische Grüne und Vorsitzende des Bundestagsausschuss für EU-Angelegenheiten gilt als Parteilinker und fordert im Interview mit IPPEN.MEDIA einen grundlegend anderen Wirtschaftskurs.
Herr Hofreiter, auf dem Parteitag herrscht bei vielen Aufbruchstimmung. Es gibt aber auch frustrierte Parteilinke, die von einer Realo-Show sprechen. Wie erleben Sie
die Grünen?
Aufbruch spüre ich auch. Eine Realo-Show sehe ich aber nicht. Die Menschen sind nach dem Ampel-Aus erleichtert, gewisse Positionen der FDP und
SPD nicht mehr verteidigen zu müssen.
Was halten Sie von der neuen Parteispitze?
Die neuen Vorsitzenden sind eine ganz große Chance. Auch, weil sie unbelastet von der nicht immer populären Bundesregierung und auch einigen Fehlern dieser sind. Jetzt zusammen in den Wahlkampf zu gehen ist sehr gut, der Parteitag hätte kaum besser terminiert sein können.
„Das war schlichtweg gelogen“: Hofreiter attackiert vor Neuwahlen CSU-Chef Söder
Zuletzt kursierte die Meldung, Frau Brandtner hätte als Anhängerin aus dem Realo-Lager einen ihr nahestehenden Parteifreund ermutigt, in Ihrem Münchener Wahlkreis gegen Sie als Parteilinken anzutreten. Was hat es damit auf sich?
Das habe ich mitbekommen. Nach allem, was ich weiß, stimmt diese Meldung aber nicht. Unabhängig davon sind wir eine basisdemokratische Partei, bei der alle Mitglieder für Wahlen kandidieren können.
Die nun Ex-Parteichefin Ricarda Lang plädierte in Ihrer Abschiedsrede dafür, als Grüne nicht mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger auf andere zu zeigen und souveräner mit Angriffen auf die Partei umzugehen. Als Münchner kennen Sie Attacken der
CSU bestens. Hat Frau Lang recht?
Ja, und damit haben wir Grüne schon angefangen. Bei der bayerischen Landtagswahl haben wir einen zentralen Fehler gemacht, und zwar zu glauben, dass wir die Angriffe ignorieren könnten.
Markus Söder hat als Ministerpräsident behauptet, dass wir die Menschen zwingen wollen, Insekten zu essen. Das war schlichtweg gelogen. Wir dachten, kein Mensch glaubt diesen Quatsch. Aber Unmengen an Menschen haben es geglaubt, weil der eigene Ministerpräsident es immer wieder behauptet hat. Das zu ignorieren, war nicht richtig.
Wie wollen Sie es besser machen?
Wir müssen sofort und klar reagieren, wenn so etwas erzählt wird. Sonst verfestigt sich die Lüge in den Köpfen. Das dürfen wir nicht verbissen machen, sondern mit einer souveränen Gelassenheit. Das gelingt uns oft schon ganz gut.
Neuwahlen: Hofreiter fordert auf Grünen-Parteitag andere Wirtschaftspolitik
Neben dem Umgang müssen Sie die Menschen mit Ihren Themen überzeugen. Worauf wollen Sie sich im Wahlkampf konzentrieren?
Zum einen auf die äußere Sicherheit. Auf die Westbindung, aber auch mit einem gesunden Selbstbewusstsein auf ein starkes Europa, das sich in Zeiten von Trump selbst verteidigen kann und Frieden, Freiheit sowie Demokratie sicherstellt. Es geht aber auch um die Rettung unserer Lebensgrundlage. Ich nenne das bewusst nicht Klimaschutz, denn es geht um unser Leben und unsere Sicherheit, das haben wir etwa im Ahrtal und zuletzt in Spanien gesehen. Und als dritten Punkt fordere ich ein neues Wirtschaftsmodell für Deutschland.
Was heißt das?
Unser altes Geschäftsmodell hieß: Billige Energie von einem Diktator in Russland kaufen, in Deutschland tolle Produkte wie Autos herzustellen und sie dann an den nächsten Diktator in China zu verkaufen. Und das, während die USA für unsere Sicherheit bezahlt. Das funktioniert heute nicht mehr, wir müssen unseren Wohlstand anders verteidigen.
Und wie?
Ich bin da optimistisch und glaube an einen Aufbruch, an modernste Technologie bei der Energieerzeugung, bei der Mobilität und bei KI – und zwar aus Deutschland. Wir müssen aufhören, uns an die Technik des 20. Jahrhunderts wie den Verbrenner zu klammern. Die CSU trat mal mit dem Spruch ‘Laptop und Lederhose’ an. Den Laptop hat sie mittlerweile durch Technik aus dem letzten Jahrhundert ersetzt. Dabei haben wir innovative Unternehmen und Köpfe da, in Deutschland sind die modernsten Impfstoffe der Welt entwickelt worden.
Das Geld dafür kam aber aus den USA. Dorthin wandern viele Start-ups aus, weil in Deutschland die Investitionen fehlen.
Deshalb brauchen wir in Europa dringend eine gemeinsame Kapitalmarktunion und eine vollendete Bankenunion, um ausreichend Geld generieren zu können. Ich war vor Kurzem in Israel, einem Land mit einer der weltweit höchsten Dichte an Start-ups. Das funktioniert, weil der Staat dort eine aktive Rolle spielt. Es geht nicht um Vorschriften der Politik, sondern um gezielte Investitionen und dadurch entstehenden Möglichkeiten für moderne Unternehmen.
Neben der Wirtschaftspolitik fordern Sie auch in Sachen Verteidigung eine neue europäische Linie. Wie soll die aussehen?
Die EU hat kaum finanzielle Spielräume für gemeinsame Verteidigungsprojekte. Der neue Verteidigungskommissar der EU, Andrius Kubilius, ist eine gute Wahl. Es geht mir auch nicht gleich um eine gemeinsame Armee, bessere Zusammenarbeit der Nationalstaaten wäre schon viel wert. Etwa bei der Bestellung gleicher Waffensysteme, was dann unterm Strich auch günstiger ist. Das kann man Verteidigungsbons, Eurobons oder Sicherheitsbons nennen, das wichtige ist: Wir brauchen das Geld, sonst sind wir als EU nicht handlungsfähig.
Geld und Ausrüstung braucht auch die Ukraine. SPD-Außenpolitiker Nils Schmid forderte zuletzt, als Deutschland und EU
Waffen aus den USA zu kaufen und an die Ukraine weiterzugeben, sollte Trump die Hilfe einstellen. Ein guter Vorschlag?
Ja, auf europäischer Ebene funktioniert es anders nicht. Eine wirkliche Gefahr ist bei diesen Fragen derzeit aber das Verhalten des CSU-Politikers Manfred Weber auf europäischer Ebene.
Inwiefern?
Er arbeitet immer enger mit Rechtsradikalen zusammen. Da gibt es einerseits russlandfeindliche Gruppen, aber Weber arbeitet auch mit den prorussischen Rechtsradikalen zusammen. Das ist eine Gefahr für die Stabilität der Europäischen Union. Auch das wird im Wahlkampf eine Rolle spielen.
Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld Rabea Gruber