Parteitag

„Das hat nicht funktioniert“: Grüne stellen sich neu auf und sind selbstkritisch

  • Moritz Maier
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Die Grünen starten auf ihrem Parteitag in den Wahlkampf. Der Realo-Flügel dominiert, Robert Habeck wird gefeiert. Manche Programm-Entscheidungen lassen aufhorchen.

Wiesbaden – „Der Parteitag hätte kaum besser terminiert sein können“, sagte Anton Hofreiter im Gespräch mit IPPEN.MEDIA zum Zusammenkommen wenige Tage nach dem Ampel-Aus. Mit Felix Banaszak und Franziska Brantner haben die Grünen eine neue Parteispitze, mit Robert Habeck ihren Kanzlerkandidaten. Zwar steht das Wahlprogramm noch aus, doch schon jetzt ist klar, worauf der Fokus liegen wird: Die Wörter Frieden, Freiheit und Demokratie waren in Wiesbaden omnipräsent.

Grünen-Parteitag vor Neuwahlen: Kritik an Russland-Politik der SPD

Die Grünen sehen vor allem Europa und seine Freiheit in Gefahr. Der Ukraine-Krieg und die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten beschäftigen etliche Delegierte und Parteiobere. Sie pochen auf eine selbstbestimmtere EU, mehr Unterstützung für die Ukraine, im Zweifel auch ohne die USA. Bei anderen Parteien wurde diese Entschlossenheit in Wiesbaden vermisst. „Wir erleben im Bundeskanzleramt eine Politik der Konsequenzlosigkeit“, sagte die nun Ex-Parteichefin Ricarda Lang auf ihrer Abschlussrede in Richtung Olaf Scholz. Gemeinsam mit Omid Nouripour verabschiedete sich Lang vom Parteivorsitz. Auch Anton Hofreiter forderte im Gespräch mit dieser Redaktion mehr Mittel für die Ukraine und Verteidigung und pochte dafür auf einen europäischen Finanzfonds.

Robert Habeck erhielt beim Parteitag der Grünen breite Unterstützung. Er will die Partei in den Wahlkampf – und ins Kanzleramt führen.

Banaszak hat als Parteilinker ein starkes Wahlergebnis von 92,88 Prozent bekommen. Brantner, eine Habeck-Vertraute aus dem Realo-Flügel, wurde mit 78,15 Prozent zur Vorsitzenden gewählt. Neben der Außen- und Sicherheitspolitik warb besonders Brantner dafür, den Grünen Weg des Klimaschutzes fortzusetzen. Die Grünen einigten sich nach zuvor harten Debatten darauf, statt der Abschaffung, eine Reform der Schuldenbremse zu fordern – ein klarer Realo-Kurs, mit dem nicht alle zufrieden sind.

Robert Habeck als Grüner Kanzlerkandidat für die Neuwahlen – wenn es gewollt ist

Der zweite Parteivorsitzende Banaszak kritisierte in seiner Antrittsrede migrationskritische Aussagen anderer Politiker: „Ich kann es nicht ertragen, dass Geflüchtete nur noch als Problem dargestellt werden und nicht mehr die Chancen und Potenziale gesehen werden.“ Es gab aber auch Kritik am Migrationskurs der Grünen. Im Mai stimmte Außenministerin Annalena Baerbock zähneknirschend dem Migrations- und Asylpakt der EU zu, der massive Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik bedeutet. „Früher standet ihr auf unserer Seite“, protestierte Pro Asyl vor der Wiesbadener Messe gegen die Grünen.

Zum Ende des Parteitags wählten die Grünen Robert Habeck mit 96,48 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidat. Obwohl es in den letzten Wochen parteiintern auch kritische Stimmen gab, schaffte es Habeck auf dem Parteitag, die breite Unterstützung der Delegierten hinter sich zu vereinen. Er sagte „unsere Freiheit wird angegriffen, sie steht unter Druck wie selten zuvor“, und verwies auf Bedrohungen von außen, von innen und durch die Erderwärmung.

Grüne auch selbstkritisch im Umgang mit Anfeindungen

Beim seit Jahren wachsenden Reform- und Investitionsstau machte Habeck der Union und der SPD harte Vorwürfe: „Diese Politik fortzusetzen, schadet der Sicherheit Europas, der Wirtschaft, dem Zusammenhalt und den Menschen.“ Als weitere Gefahr nannte Habeck „Resignation und Frustration“ der Menschen durch die politische (Welt-)Lage. Die Partei machte lange Zeit ein Geheimnis daraus, ob Habeck nun als Spitzen- oder Kanzlerkandidat bestimmt werde. Am Ende einigte man sich darauf, Habeck zum „Kandidat für die Menschen in Deutschland“ zu machen, der auch Bundeskanzler könne.

Viele Grüne zeigten sich erleichtert, nun nicht mehr die Positionen der unbeliebten Ampelregierung verteidigen zu müssen, wie auch Hofreiter sagte. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, gab sich im Gespräch mit IPPEN.MEDIA aber auch kritisch, was den Umgang mit Anfeindungen gegen die Grünen anbelangt: „Lange haben wir uns an Michelle Obama und ihrem Spruch ‚If they go low, we go high‘ orientiert und so versucht, Populismus und offensichtliche Lügen einfach an uns abtropfen zu lassen. Wir dachten, andernfalls würden wir selbst die Geschichten nur noch größer machen. Da sage ich mittlerweile selbstkritisch: Das hat nicht funktioniert.“

Rubriklistenbild: © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Florian Wiegand