Kampf gegen Erderwärmung
Klimaschädliches CO2 filtern: Norwegen startet revolutionäres Projekt – mit Müll
VonPeter Siebenschließen
In Oslo wird der gesamte Müll restlos recycelt oder in Energie und Wärme umgewandelt. Dabei entsteht CO2. Eine neue Technik soll das ausgleichen – und führt womöglich zu einer Gesetzesänderung in Deutschland.
Oslo – Hätte Stanley Kubrick eine Weltraum-Kathedrale für einen Science-Fiction-Film erfinden müssen, dann sähe sie so aus wie Klemetsrud. Die Müllverbrennungsanlage am Rande von Oslo wirkt mit ihrer glänzenden Lamellenfassade und den orange glühenden Fenstern wie ein monumentales Raumschiff, das jeden Moment abhebt. „Das Design ist uns schon wichtig“, sagt Truls Jemtland, Kommunikationschef beim Klemetsrud-Betreiber Hafslund Oslo Celsio. Immerhin: Was sie hier vorhaben, weist tatsächlich in die Zukunft.
Oslo will Treibhausgasemissionen bis 2030 halbieren
Schon jetzt ist die Anlage Teil eines Kreislaufsystems, mit dem die Hauptstadt von Norwegen ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 halbieren will, erklärt Jemtland: „Wir produzieren hier Fernwärme und Strom aus Müll.“ Die Idee dahinter: Der gesamte Hausmüll der norwegischen Hauptstadt Oslo, der nicht mehr anderweitig verwertet werden kann, wird in Energie umgewandelt.
Das passiert im Herzen der Kathedrale, wer sie betreten will, muss Helm und Schutzbrille tragen. Ein Meer aus Müll wabert in einer Betonhalle auf Förderbändern. An der Decke rast eine riesige Stahlklaue hin und her, greift tonnenweise Abfall, um ihn woanders wieder abzuwerfen. „Der Müll ist vorsortiert, das passiert über ein vollautomatisches optisches Verfahren“, sagt Truls Jemtland. Grüne Säcke mit Lebensmittelabfällen und blaue mit Kunststoffverpackungen werden zur Wiederverwertung geschickt, alles andere wird verbrannt. Ein kleines Panzerglasfenster gewährt einen Blick in den Ofen: Dort ist die Hölle los, 900 Grad heiße Flammen verdampfen den Müll, 315.000 Tonnen allein im letzten Jahr. Der Dampf treibt eine Turbine an, die Strom erzeugt. Zugleich wird Wasser erhitzt, das in Oslos Fernwärmeleitungen eingespeist wird.
Verbrennungsanlage emittiert klimaschädliches CO2 – neue CCS-Technologie soll helfen
„Ein perfekter Kreislauf, jedenfalls beinahe“, sagt Truls Jemtland. Denn die Verbrennungsanlage stößt selbst wiederum jede Menge CO2 aus, etwa 400.000 Tonnen pro Jahr. Das soll sich ändern: Klemetsrud soll die weltweit erste Müllverbrennungsanlage mit negativen CO2-Emissionen werden, also mehr Kohlendioxid einsparen, als sie emittiert. Die Technik dahinter: Das CO2 soll direkt an der Anlage eingefangen, abtransportiert und gespeichert werden. Dazu wird das Kohlendioxid chemisch von anderen Abgasen getrennt, unter Druck verdichtet, verflüssigt und schließlich an die Küste transportiert, wo es unter dem Meeresboden gespeichert wird. Carbon Capture and Storage (CCS) heißt das Verfahren, also CO2-Abscheidung und Speicherung, das in Norwegen im Rahmen des „Longship Projects“ finanziell gefördert wird.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will neues Gesetz für CCS
Die Lösung gilt als zukunftsweisend, auch Deutschland will künftig abgeschiedenes CO₂ einspeichern. Noch ist CCS faktisch hierzulande verboten, doch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat bereits einen Entwurf für ein neues Gesetz angekündigt, mit dem das Verfahren legal werden soll. Kritiker warnen unterdessen vor CCS, so etwa die Umweltorganisation Greenpeace, die darauf hinweist, dass die langfristige Sicherheit von CO₂-Speicherung nicht nachgewiesen ist und Leckagen im Meeresboden zum Austritt von Kohlendioxid mit verheerenden Folgen führen könnten.
Greenpeace warnt vor mögliche Leckagen am Meeresboden
Olav Øye hält das für Unsinn. Er ist Energieexperte bei der NGO Bellona, die sich nach eigenem Verständnis vor allem für die Bekämpfung der Klimakrise einsetzt. „Man kann es doch auch so formulieren: Jetzt haben wir schon eine dauerhafte CO2-Leckage von 100 Prozent“, sagt Øye. Denn weltweit werde das klimaschädliche Gas ja permanent emittiert. CCS sei das Mittel der Wahl, um den Kohlendioxid-Ausstoß schnell und effektiv zu senken. „Anders ist es kaum mehr möglich, die globale Erhitzung auf unter zwei Grad zu begrenzen.“ Eine Leckage am Meeresboden sei überdies sehr unwahrscheinlich. „Das Gas wird in poröses Gestein geleitet, darüber befinden sich meterdicke Schichten aus undurchlässigem Material. Norwegen speichert schon seit den 1990er Jahren CO2 ein, wir haben Erfahrung damit.“
Die Kosten für den noch neuen Abscheideprozess sind unterdessen enorm. So enorm, dass man in Klemetsrud die Pläne zuletzt auf Eis legen musste. Doch jetzt bekommt der Betreiber Hafslund Oslo Celsio bei der Planung Unterstützung von den CCS-Spezialisten Aker Carbon Capture und Aker Solutions, wie im Dezember bekannt wurde. Im Sommer 2024 will Celsio eine neue Investitionsentscheidung treffen. „Wenn dann alles passt, werden wir bis 2028 die CCS-Anlage in Betrieb nehmen“, so Sprecher Truls Jemtland.
Transparenzhinweis: Ippen.Media wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.

