Defizite im Militär

Ex-Oberst: Auch die Wehrpflicht rettet die „Trümmertruppe“ Bundeswehr nicht

  • VonLisa Mahnke
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Die Wehrpflicht-Debatte ist in Deutschland zurück. Ein Militärexperte sieht jedoch Schwachstellen. Was muss für eine Wehrpflicht passieren?

Berlin – Durch den Ukraine-Krieg und die Unterstützung der EU rückt auch die Debatte über das Militär in Deutschland weiter nach oben auf der politischen Agenda. Das gilt in den letzten Monaten vor allem für das Thema Wehrpflicht. Militärexperte und Oberst a. D. Ralph Thiele schätzt das alte Modell der Bundeswehr aber als nicht mehr zeitgemäß ein.

In seinem Gastbeitrag im Focus schrieb Thiele von negativen Folgen einer wiedereingeführten Wehrpflicht: „Aus der gegenwärtigen Substanz der Bundeswehr heraus würde eine kurzfristige Wiedereinführung der Wehrpflicht die deutschen Streitkräfte in ihrem Einsatzwert erheblich schwächen.“

Infrastruktur fehlt bei Bundeswehr – unter momentanen Umständen keine Wehrpflicht

Würde man heute eine Wehrpflicht einführen, fehlten den Truppen der Bundeswehr „eine Aufnahme- und Ausbildungsorganisation, Material und Ausrüstung, ebenso Unterkünfte“, so Thiele. Doch auch der Militärexperte sieht das Problem der Personalnot bei der Bundeswehr. Bis zu 30 Prozent der Verpflichteten würden „schon nach kurzer Zeit wieder weg“ wollen.

Söder fordert eine Wehrpflicht von mindestens sieben Monaten, aber auch kurzfristig Anreize zum Dienst.

Er sprach sich deswegen für eine „gesellschaftlich breit verankerte allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer“ aus. Diese sollte dann nicht nur für die Bundeswehr gelten, sondern auch für Feuerwehr und Hilfsorganisation. Der Ex-Oberst schränkte die Idee jedoch ein: „Ohne eine Grundgesetzänderung geht das nicht“, erklärte der Ex-Oberst. Eine ähnliche Idee gab es bereits mit dem Vorschlag des „sozialen Pflichtjahrs“, den Annegret Kramp-Karrenbauer als ehemalige Verteidigungsministerin im Jahr 2019 vorgebracht hatte.

Einführung einer progressiven Wehrpflicht hat Hindernisse – Es braucht es eine Grundgesetzänderung

So unterschiedlich zu dem alten Wehrdienst wäre der Vorschlag des Obersts auf den ersten Blick gar nicht. „Auf Kriegsdienstverweigerer war das deutsche Sozialsystem über viele Jahrzehnte dringend angewiesen.“, so Thiele. Auch dort gab es also gesellschaftliche Alternativdienste. Groß wäre der Unterschied jedoch zur Berufsarmee, zu der das deutsche Militär 2011 geworden war.

Zudem müsste man das Konzept von Sicherheit im Grundgesetz deutlich weiter fassen als bei der bisherigen Dienstpflicht. Dieses sprach im Artikel 12a bisher nur Männer an und bezog sich auf den „Dienst in den Streifkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband“ (BVerfG, 12a(1)). Alle anderen Dienste wurden als „Ersatzdienst“, also eher als Ausweichmöglichkeit, zusammengefasst. In der Idee eines sozialen Pflichtjahrs oder dem Vorschlag von Thiele wären die Möglichkeiten eher gleichberechtigt.

Skepsis gegenüber Wehrpflicht: Braucht „konzeptionellen, zeitlichen und finanziellen Vorlauf“

Thiele erklärte, es bräuchte einen „vernünftigen konzeptionellen, zeitlichen und finanziellen Vorlauf“, um eine gewinnbringende Wehrpflicht einzuführen. Die „Trümmertruppe“, so Thiele, könne auch das 100-Milliarden-Euro-Paket nicht retten, so der Ex-Oberst in einem anderen Gastbeitrag. Dies stopfe nur „Lücken der Vergangenheit“.

Verteidigungsminister Boris Pistorius wollte verschiedene Modelle der Wehrpflicht prüfen lassen. Er favorisiert allerdings vor allem das schwedische System: Dort werden alle Frauen und Männer gemustert und passende, qualifizierte Personen werden eingezogen. Thiele steht dem allerdings skeptisch gegenüber, vor allem aufgrund der strukturellen Defizite und der benötigten Grundgesetzänderung, die nötig wäre. Dafür wiederum bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat.

Den freiwilligen Wehrdienst stärken – mit Anreizen

„Die Zeitenwende muss in der Personalführung der Bundeswehr ankommen. Sonst hilft auch die Wehrpflicht nicht“, endet Thiele seinen Gastartikel. Der Ex-Oberst sprach sich daher für den Vorschlag Markus Söders (CSU) aus, bereits jetzt den freiwilligen Wehrdienst zu stärken. Langfristig forderte aber auch der CSU-Chef eine Wehrpflicht von mindestens sieben Monaten.

„Alle, die freiwillig ein Jahr dienen, sollten einen Bonus erhalten: zum Beispiel die Reduzierung des Numerus clausus fürs Studium, den Erlass von Praxissemestern oder eine Verkürzung der Ausbildungszeit“, zitierte der Oberst Söders „Wink mit dem Zaunpfahl“. Thiele forderte Anreize und Attraktivität des Arbeitsplatzes, besonders für junge Erwachsene. Er argumentierte, dass die Anreize vor allem aus der Führungsetage der Bundeswehr kommen müssten.

Wehrbeauftragte will Diskussion - Alternativen für eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“

Einen ähnlichen Vorschlag zu Bundeswehr-Anreizen gab es vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD). Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), reagierte darauf mit Zustimmung. „Die alte Wehrpflicht, die möchte, glaube ich, niemand zurück“, erklärte sie im ARD-Morgenmagazin (2. Januar). „Ich fände es spannend, wenn wir über diese Konzepte vielleicht auch im Bundestag mal intensiv diskutieren würden“, teilte die Wehrbeauftragte mit und zeigte sich offen für Alternativen.

Sie forderte einen Einbezug der bestehenden Freiwilligendienste, auch im Umwelt- und Denkmalschutz. Das „Verteidigen von Frieden, Freiheit und Demokratie“ beschrieb die SPDlerin als eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Bezüglich der Personalnot verwies sie auf eine „Taskforce Personal“ von Boris Pistorius, die am 20. Dezember verschiedene Maßnahmen zur Personalgewinnung präsentierte. Auch Högl sprach sich, wie Pistorius, für das schwedische System aus.

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