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„Brauchen Fachkräfte – egal, wo sie geboren sind“ – CDU-Vize Laumann warnt vor Migrations-Irrwegen
VonThomas Kemmerer
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Peter Sieben
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Karl-Josef Laumann über, fehlende Fachkräfte, Agenda 2030 und Steuerreformen – und eine Unions-Rhetorik, die teilweise arg nach rechts driftet.
Köln – Der Minister hat Hände groß wie Schaufeln, der Handschlag zur Begrüßung ist ein Schraubstock. Schon allein durch seine körperliche Präsenz vermittelt Karl-Josef Laumann Bodenständigkeit wie wenige andere Politiker. Der NRW-Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit ist zu Besuch in der Kölner Redaktion und der Blick auf den Rhein gefällt ihm richtig gut. „Die Kölner pflegen ihre Traditionen, das ist selten geworden“, sinniert er.
Vor der Bundestagswahl: Ein Punkt beim Thema Migration ist dem CDU-Vize besonders wichtig
Er selbst beherrsche noch das Platt seiner Heimat im Tecklenburger Land. „Aber das stirbt ja leider aus.“ Der ehemalige Chef des CDU-Arbeiterflügels CDA gilt als das „soziale Gewissen“ seiner Partei, hat selbst mal Maschinenschlosser gelernt, bevor er in die Politik ging. Lange hat er Betriebsratsarbeit gemacht. Klingt fast nach Sozialdemokrat – geprägt habe ihn aber vor allem sein christlich-katholisches Elternhaus, erzählt er: „Ich hab eine katholische Seele“, sagt Laumann. Der Kalender des Vize-Chefs der CDU ist randvoll in diesen Tagen vor der Bundestagswahl, der Minister reist von Termin zu Termin. Schnell noch ein, zwei Kekse und ein Schluck Kaffee, bevor es mit den Fragen losgeht: „Man muss sich ja stärken“, sagt Laumann – und nimmt sich am Ende mehr Zeit, als geplant, weil ihm vor allem ein Punkt beim Thema Migration besonders wichtig ist. Doch dazu später.
Sie waren sowohl in Bonn als auch in Berlin Bundestagsabgeordneter. Gibt es einen prägenden Unterschied zwischen dem Politikbetrieb damals und heute?
In Bonn war das Arbeiten sicherlich anders. Alles war ja viel kleiner. Und die Abgeordneten waren enger zusammen. In Berlin kann man sich ja verlaufen. Ein wichtiger Punkt aber: Der Bundestag war vielfältiger zusammengesetzt als heute.
NRW-Minister Laumann: Bundestag hatte früher „breiteres Spektrum der Bevölkerung“
Wie meinen Sie das?
Als ich 1990 gewählt wurde, hatten wir noch ein breiteres Spektrum der Bevölkerung im Parlament. Da waren gestandene Handwerker, die zu Hause einen Betrieb hatten. Und viele Bauern aus den ländlichen Wahlkreisen. Heute gibt es in den Bundestagsfraktionen fast nur noch Akademiker. Es gab früher den Spruch: Der Bundestag ist mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer. Heute prägen vor allem Juristen das Bild.
Es ist schon ein Problem, wenn in der operativen Politik bestimmte Milieus nicht mehr vorkommen. Eine Volkspartei braucht eine breite Basis und unterschiedliche Blickwinkel. Die Leute, die heute Politik dort machen, sind alle sehr gut ausgebildet und integer. Aber ich glaube, dass nicht nur, aber auch in den Volksparteien ein Stück weit diese Vielfalt fehlt.
Liegt das daran, dass nur noch die Akademiker Lust auf Parlament haben?
Nein, das liegt daran, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat. Wenn ich 20 Jahre später geboren wäre, hätte ich wahrscheinlich auch Abitur gemacht und womöglich sogar studiert. Früher gab es aber andere Milieus, wo das einfach nicht angesagt war. Bei uns im Dorf sind etwa 80 Prozent zur Volksschule beziehungsweise Hauptschule gegangen.
Sie stammen aus einer Familie von Landwirten. Prägt das Ihre Arbeit in der Politik?
Wenn du auf dem Bauernhof groß geworden bist, dann bist du grundsätzlich schon sehr bodenständig. Und ich habe eine enge Bindung zur Heimat. Ich lebe ja immer noch im gleichen Dorf, wo ich auch geboren worden bin. Das ist Heimat für mich.
Verständnis für Bauernproteste? „Bei vielen sind die Grünen Inbegriff von Bevormundung“
Letztes Jahr gab es die sogenannten Bauernproteste. Manche Landwirte hatten viel Wut auf die Grünen und Robert Habeck. Können Sie das nachvollziehen?
Es gibt ein grundlegendes Problem: die überbordende Bürokratie. Nahezu alles wird bis ins Detail kontrolliert. Als Landwirt musst du Nachweise führen über deine Fruchtfolge. Du musst Nachweise führen über die Düngepläne. Wir haben in Deutschland die wohl am besten ausgebildeten Landwirte der Erde. Und trotzdem kommen dauernd irgendwelche Behörden und sagen, was sie machen sollen. Das ärgert die Leute. Und bei vielen sind die Grünen der Inbegriff von Kontrolle und Bevormundung.
Ist das gerechtfertigt?
Nein, nicht immer. Ich erlebe ja in Düsseldorf auch Grüne, die sind nicht so viel anders als wir. Meine Kollegin Mona Neubaur schätze ich zum Beispiel sehr und arbeite eng mit ihr zusammen. Ich finde, das passt richtig gut. Aber in manchen Bereichen ist zu viel Bürokratie. Das macht schlechte Laune. Ein Gärtner in meinen Wahlkreis, der kommt zu mir und sagt: „Karl-Josef, ich habe kein Problem damit, jeden Tag zehn, elf Stunden im Treibhaus zu arbeiten. Aber diese Bürokratie, das mag ich nicht.“ Wir brauchen ganz klar einen Rückbau der Bürokratie-Rückbau. Nicht Abbau, sondern wirklich Rückbau. Das muss aber vor allem auch auf europäischer Ebene passieren.
Die Union geht zur Bundestagswahl mit der „Agenda 2030“ ins Rennen. Das klingt sehr nach Gerhard Schröder. Ist das so gewollt?
In gewisser Weise: Ja. Über diesem Land hängt der Mehltau. Wenn wir keine Aufbruchsstimmung hinkriegen, werden wir mit den Herausforderungen nicht mehr fertig. Wir müssen – bildlich gesprochen – wieder in die Hände spucken. Und mit der Mentalität einer Vier-Tage-Woche ist das leider nicht zu machen. Die nächste Regierung muss verkörpern: ohne Fleiß kein Preis. Ohne stabile Wirtschaft können wir nämlich auch keinen vernünftigen Sozialstaat machen. Wenn wir in großem Umfang sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verlieren sollten, können wir das Gesundheitssystem und das Pflegesystem – um nur zwei Beispiele zu nennen – kaum aufrechterhalten. Und das Bürgergeld war eine Fehlentscheidung.
„Wenn wir keine Aufbruchsstimmung hinkriegen, werden wir mit den Herausforderungen nicht mehr fertig“, sagt Karl-Josef Laumann im Gespräch mit Thomas Kemmerer und Peter Sieben.
Nein, abschaffen nicht. Es wird immer eine Grundsicherung geben müssen. Aber wir brauchen eine grundlegende Reform, bei der die Balance aus Fördern und Fordern wieder stimmt. Mein Job in der CDU ist es außerdem, bei der Steuerreform zu sagen: Redet nicht nur über den Spitzensteuersatz, sondern auch den Eingangssteuersatz. Das steht jetzt ja Gott sei Dank auch in unseren Papieren, dass wir die Grenzen erhöhen wollen. Das ist vor allem wichtig für Leute, die wenig Geld verdienen. Ich möchte gerne meinen Beitrag leisten, dass die CDU wahrgenommen wird als der Anwalt der fleißigen Menschen.
Laut dem Institut der Wirtschaft fehlen bis 2029 gut zwei Millionen Sozialversicherungszahler, weil die Babyboomer in Rente gehen. Wie fängt man das auf?
Es gehen in der Tat mehr Leute in Rente, als es Nachwuchs im Arbeitsmarkt gibt. Wir müssen dabei allerdings beachten, dass nicht jeder, der in den nächsten Jahren das gesetzliche Rentenalter erreicht, heute sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Es sind in der Generation längst nicht alle Frauen berufstätig. Aber es ist doch völlig klar: Wir brauchen mehr Fachkräfte. Dabei ist es mir übrigens grundsätzlich auch egal, ob die Leute hier geboren sind oder nicht. Wir werden Zuwanderung für den Arbeitsmarkt brauchen. Ohne ausländische Pflegekräfte zum Beispiel geht es doch heute schon gar nicht mehr. Nur sind im Moment viele Menschen der Meinung, dass es mit dem Zuzug aus dem Ausland so wie bisher nicht mehr weitergeht.
Was sagen Sie dazu?
Ich sehe das sehr differenziert. Mit Differenziertheit kommt man bei einem gewissen Teil der Bevölkerung, der den größten Blödsinn wählt, aktuell allerdings nicht weiter.
Merz will Entzug der Staatsbürgerschaft: „Unsere Rhetorik muss so sein, dass wir solche Ängste nicht aufkommen lassen“
Bei der Klausur-Tagung in Berlin haben wir nochmal klar gesagt, dass damit nur Leute gemeint sind, die schwere Straftaten begangen haben. Da bin ich auch der Meinung, dass diese Menschen deutliche Konsequenzen spüren müssen. Das sieht glaube ich auch die große Mehrheit der Bevölkerung so. Punkt. Aber wir müssen aufpassen, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund nicht so vorkommen, als seien sie Deutsche auf Probe. Das würde ich ganz schlimm finden. Unsere Rhetorik muss so sein, dass wir solche Ängste nicht aufkommen lassen. Ist doch klar, wenn der Opa aus der Türkei kommt und man war als Kind immer in der Türkei, dann hat man eine Verbindung zu dem Land. Ist doch normal, auch in der dritten Generation. So wie ich auch eine katholische Seele habe, das ist ein Teil von mir. So ist die Denke.
Unionsdenke oder ihre persönliche?
Das ist Unionsdenke.
Teilweise klingt die Rhetorik mancher Unions-Politiker allerdings so, als würden sie der AfD hinterherhecheln.
Naja, ich glaube, dass die Unionsrhetorik eher differenziert ist. Denn eins ist klar: Es ist noch nie gut gewesen, irgendjemandem in der Rhetorik hinterherzulaufen. Denn im Zweifel wählen die Leute erst das Original und nicht die billige Kopie.
Erstmal werden die alle noch gebraucht. Braunkohle wird weiterhin abgebaut. Und ob das Datum zum Kohleausstieg wirklich bleibt wie geplant – da mache ich mal ein Fragezeichen hinter. Als Arbeitsminister möchte ich den Leuten aber klar sagen, dass sie langfristig offen für berufliche Alternativen sein müssen. Wir lassen niemanden alleine, sondern wir helfen, diese Alternativen in der eigenen Heimat hinzukriegen. Wir können jedenfalls nicht alle Leute – wie seinerzeit beim Steinkohlenbergbau – mit Mitte 40 in Rente schicken. Das klappt nicht mehr – und zwar aus guten Gründen.
Was wäre Ihre Vision fürs Rheinische Revier?
In meiner Heimat im Tecklenburger Land gab es, als ich anfing, Politik zu machen, eine Arbeitslosenquote von etwa 16 Prozent, weil uns Ende der 80er-Jahre die ganze Textilindustrie um die Ohren geflogen war. Inzwischen hat sich die Region erholt und ich weiß, wie Transformation geht. Du brauchst vor allem dafür Fläche, Gewerbegebiete, Industriegebiete, damit sich Neues ansiedeln kann. Das Rheinische Revier wird – so meine Einschätzung – ein Wissensstandort werden, wo es sehr gut bezahlte Arbeitsplätze geben wird. Und es wird auf der anderen Seite gewerbliche Produktion geben. Das ist das Ziel.
Auch in der Automobilindustrie gibt es einen Wandel. Autobauern wie Ford geht es nicht gut. Was heißt das für die vielen Automobilzulieferer im Land?
Es kommt meines Erachtens darauf an, was sie machen. Wer für Verbrennermotoren arbeitet, braucht ein neues Geschäftskonzept. Wer Autositze baut, braucht es erstmal nicht. Das Problem ist auch hausgemacht. Erstens: Die deutsche Autoindustrie hat zu lange nur hochpreisige Autos angeboten. Wenn ich noch Schlosser wäre, könnte ich mir womöglich kein neues deutsches Modell leisten. Und zweitens: Der Weg muss zum Elektro-Auto führen. Nur müssen die Produkte dann auch praktikabel und attraktiv sein. Daran müssen vor allem auch die Autobauer arbeiten. Derzeit ist das noch nicht so, und deshalb will nicht jeder ein E-Auto kaufen. Klar ist, dass die Politik nicht für alle Fehler der Automobilindustrie einstehen kann.
Vor Bundestagswahl: Grüne wollen Sozialabgaben auf Kapitalerträge – „Debatte nicht förderlich“
Die Grünen wollen Sozialabgaben auch für Kapitalerträge. Ganz neu ist die Idee nicht, Unions-Kollegen von Ihnen haben das schon 2023 mal gefordert. Wie stehen Sie dazu?
Ich glaube, dass wir aktuell keine Debatte über neue Finanzierungsquellen führen sollten. Gerade jüngere Leute sehen das kritisch, viele kümmern sich um ihre Altersvorsorge, investieren in ETFs. Da ist so eine Debatte jetzt nicht förderlich. Wir müssen viel eher darüber reden, wie wir das Gesundheitssystem wieder effizienter machen können.
Haben Sie ein Rezept?
Wieder der Punkt: Bürokratierückbau. Beispiel Arzneimittellieferengpässe. Wenn der Apotheker das Arzneimittel nicht hat, das der Arzt verschrieben hat, dann muss er dem Arzt hinterhertelefonieren, ob er ein anderes Arzneimittel rausgeben darf. Hier müssen wir Lösungen finden, in welchen Fällen der Apotheker womöglich selber entscheiden kann, ein anderes wirkungsgleiches Arzneimittel herauszugeben. Und wir müssen mehr auf Patientensteuerung setzen. Früher konnte man nur zum Facharzt, wenn man eine Überweisung vom Hausarzt hatte. Wieso geht das heute nicht mehr? Auch eine solche Frage müssen wir in aller Offenheit diskutieren.