Tübingens Oberbürgermeister

Boris Palmers Bürgergeld: „Er rechnet offenbar mit einer Miete von deutlich über 2000 Euro“

  • Max Müller
    VonMax Müller
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Boris Palmer staunte nicht schlecht, als er mithilfe eines Caritas-Rechners ermittelte, dass ihm 3368 Euro Bürgergeld zustünden. Doch seine Rechnung sei realitätsfern, sagen Kritiker.

Im Kern geht es um diese Frage: Sind 3.368 Euro im Monat für eine Familie mit zwei Kindern zu viel, wenn niemand arbeitet? Aufgeworfen hat sie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (51), der früher bei den Grünen war und bei der Kommunalwahl im Juni 2024 für die Freie Wählervereinigung im Kreis Tübingen antreten will. Völlig unabhängig von der Partei hat sich Palmer eines beibehalten: seine Streitlust. Auf Facebook veröffentlichte er am Freitag einen Post, in dem er darlegte, wie hoch sein Bürgergeldanspruch wäre, wenn im neuen Jahr die Beiträge um zwölf Prozent angehoben werden.

Die Zahl, die Palmer präsentierte, verwunderte ihn offenbar sehr: „Wenn meine Frau und ich einfach in die Arbeitslosigkeit gehen würden, kämen wir auf 3.868 Euro im Monat.“ Davon würden noch 500 Euro Kindergeld abgezogen, am Ende blieben 3.368 Euro. Palmer: „Da wird man nicht reich. Aber wenn ich Alleinverdiener wäre, müsste ich schon um die 4.500 brutto heim bringen, um dasselbe zu erreichen.“ Palmers Sorge im Zusammenhang mit dem Bürgergeld: „Dass der Sozialstaat noch viel härtere Einschnitte verkraften muss, wenn wir nicht wieder dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft und Arbeit sich lohnt.“

Bürgergeld von Boris Palmer: „Sind sie empört über die Wahrheit?“

Palmers Rechnung geht wie folgt: Je Erwachsenem stehen der Familie 451 Euro pro Monat zu, dazu kommen 390 Euro (Kinder von sechs bis 13 Jahre) und 357 Euro (Kinder von null bis fünf Jahre). Das macht in Summe 1649 Euro. Dazu würden „Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket“ oder Vergünstigungen für den ÖPNV kommen. Die Wohnkosten werden ebenfalls übernommen, sofern sie „angemessen“ sind. Was das bedeutet, definiert das örtliche Jobcenter.

Boris Palmer ist parteiloser Oberbürgermeister von Tübingen.

Am Sonntag legte Palmer nach, nachdem es in den Kommentarspalten ordentlich zur Sache gegangen war. Er rechnete abermals seinen Anspruch vor. Seine Schlussfolgerung: „Die Frage an diejenigen, die empört sind, weil das Beispiel irreführend sei, lautet also: Sind sie empört über die Wahrheit?“

Kritik an Palmer: „Hat nichts mit der Lebensrealität von Menschen im Bürgergeldbezug zu tun“

Doch entsprechen seine Zahlen wirklich der Wahrheit? IPPEN.MEDIA hat bei der Caritas, deren Rechner Palmer bemüht hat, nachgefragt. Konkret will man auf den Fall nicht eingehen. Nur so viel: „Auf individuelle Zahlen zu schauen, empfinden wir in dieser Debatte als wenig zielführend. Eine Kommentierung von Berechnungen Dritter ist schwierig, weil nicht klar ist, was eingegeben wurde.“

Deutlicher wird der Paritätische Gesamtverband. „Das Beispiel von Boris Palmer ist realitätsfern und hat nichts mit der Lebensrealität von Menschen im Bürgergeldbezug zu tun. Die Realität ist, dass das Bürgergeld viel zu knapp bemessen ist, um ein Leben ohne Mangel zu gewährleisten“, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion. Und weiter: „Im August dieses Jahres betrugen die durchschnittlichen Kosten der Unterkunft für Bedarfsgemeinschaften mit vier Personen nach Angaben der Bundesagentur monatlich 842,66 Euro. Herr Palmer rechnet offenbar mit einer Miete von deutlich über 2000 Euro für seinen Haushalt.“ Insofern müsste er sich innerhalb von zwölf Monaten eine neue Wohnung suchen. Denn: „Mieten in dieser Höhe werden nur ausnahmsweise gemäß § 22 SGB II im Rahmen einer Karenzzeit von einem Jahr übernommen, ein solcher Anspruch bestünde deshalb nur vorübergehend.“

Zur Wahrheit gehört auch: Wenn Palmer Bürgergeld bekäme, müsste er den Gürtel sehr viel enger schnallen. So schreibt er in seinem Ursprungspost auch, dass er die höchste Besoldungsstufe von 2000 Beschäftigten bei der Stadt habe. Er verdient deutlich über 10.000 Euro, plus Zulagen. Insofern wäre Bürgergeld ein ziemlicher Abstieg für Palmer – und nicht die viel zitierte Hängematte.

Rubriklistenbild: © Bernd Weißbrod/dpa