„Antwort auf Trumps Forderung“

Bollwerk gegen Putin: Plan aus Norwegen könnte Europa unabhängig von Trump machen

  • Peter Sieben
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Norwegen kann mit seinem gigantischen Ölfonds Europas Verteidigung gegen Putin sichern, sagt ein Finanzexperte. Ein Detail wird aber zum Problem.

Berlin – Die alten Gewissheiten haben keinen Wert mehr. Über Jahrzehnte waren die USA ein verlässlicher Partner Europas. Das galt zuletzt auch bei Fragen zum Ukraine-Krieg. Jetzt macht US-Präsident Donald Trump immer wieder deutlich: Damit ist Schluss. Trump geht auf Kuschelkurs mit Russlands Machthaber Wladimir Putin und erklärt den Ukraine-Krieg zu einem rein europäischen Problem: „Es betrifft sie mehr als uns. Wir haben ja einen Ozean dazwischen, nicht wahr? Diese kleine Sache namens Ozean“, sagte Trump.

Trump und Vance schocken Europa: Fallen die USA als Nato-Partner gegen Putin weg?

Schon länger fordern Experten, dass sich Europa innerhalb der Nato unabhängiger von den USA machen und eine schlagkräftige Verteidigung aufbauen muss. Nachdem viele Staaten ihre Verteidigungsausgaben über Jahrzehnte zurückgefahren haben, ist die Not jetzt groß. Woher das Geld nehmen? Union und SPD debattieren bereits darüber, dafür noch schnell die Schuldenbremse für Rüstungsausgaben zu lockern, bevor die Linke und die AfD solche Pläne im neuen Bundestag mit einer Sperrminorität verhindern können.

Eine ganz andere Idee kommt aus Norwegen: Warum nicht einen Teil des gigantischen norwegischen Ölvermögens anzapfen, um Europa verteidigungsfähig zu machen? Seit den 1970ern hat das skandinavische Land durch Öl- und Gasgeschäfte eine ungeheure Summe Geld angehäuft, der sogenannte Staatlichen Pensionsfonds ist der größte Staatsfonds der Welt. Über geschickte Investitionen sichern die Norweger ihren Schatz ab und halten gigantische Aktienvermögen.

Ungeheures Vermögen aus Norwegen-Fonds könnte Europa gegen Putin helfen

In einem viel beachteten Essay schlug jetzt der norwegische Finanzexperte Trym Riksen vor, einen Teil der bestehenden Anleihen des Ölfonds in europäische Staatsanleihen umzuschichten, die ausschließlich für Verteidigungszwecke bestimmt sind. „Das wäre eine Antwort auf Trumps Forderung, dass Europa sofort die Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen solle“, sagte Riksen im Gespräch mit dieser Redaktion.

Seine Rechnung: Der Fonds, der insgesamt mehr als 1,7 Billionen Euro schwer ist, hat 450 Milliarden Euro in Anleihen auf der ganzen Welt investiert, davon zwei Drittel außerhalb Europas. „Potenziell könnten 300 Milliarden Euro Teil eines Umverteilungsprogramms sein“, so Riksen. Zur Veranschaulichung: Mit diesem Geld könnte man sich zum Beispiel 100.000 Leopard-2-Panzer kaufen. Zumindest finanziell wäre das Problem auf einen Schlag zum großen Teil gelöst.

Aber ist es wirklich so einfach? Experten haben Bedenken. Michael Kern ist Chef der deutsch-norwegischen Handelskammer in Oslo. Er sagt gegenüber dieser Redaktion: „Die Größe des Fonds würde so etwas erlauben. Aber es gibt klare rechtliche Vorgaben, wie das Geld investiert werden darf.“ Für die Norweger ist der Fonds eine Lebensversicherung für ganze Generationen. Klar ist: Mit Öl und Gas lässt sich irgendwann kein Geld mehr machen, dann sichert der Pensionsfonds den Wohlstand der Nation. Rentabilität ist bei Investments deshalb oberste Regel. „Dafür gibt es einen Index, der gewährleistet, dass es keinen Funken Risiko gibt“, erklärt Kern und stellt klar: „Alles, was ein Risiko bergen könnte, werden die Norweger nicht machen.“

Michael Kern von der Deutsch-Norwegischen Handelskammer AHK in Oslo.

Europa will keine Nato-Abhängigkeit mehr von USA: Hohe Investitionen in Verteidigung

Während der Euro-Krise gab es schon einmal Überlegungen, Geld aus dem Öl-Topf umzuverteilen, auch damals machten die Norweger aber nicht mit. Allerdings gibt es mit der veränderten Sicherheitslage in Europa auch ein gewisses Umdenken. Auch in Norwegen spricht man von einer Zeitenwende: „Investitionen in die Rüstungsindustrie werden wohl einen etwas größeren Part als bislang ausmachen“, glaubt Kern. Zumal der neue Finanzminister, der seit Februar im Amt ist, Jens Stoltenberg heißt: Bis 2024 war der sozialdemokratisch Politiker Nato-Generalsekretär. „Wir merken, dass damit gewisse Erwartungen an ihn geknüpft sind“, so Kern.

Robin Allers ist Associate Professor am Institut für Verteidigungsstudien (IFS) an der FHS in Oslo.

Das sieht auch Robin Allers, Professor an der norwegischen Hochschule für Verteidigung (FHS), so. „Hier in Norwegen schwanken die Reaktionen auf die jüngsten Aussagen der Trump-Administration zwischen Entsetzen, Verunsicherung und tapferen Zusagen, die Ukraine weiter unterstützen zu wollen“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. In welchem Umfang die Unterstützung erfolgen soll und ob dieser Umfang im Vergleich zu Norwegens ungeheuren finanziellen Möglichkeiten angemessen ist, dazu laufe eine durchaus heftige Debatte im Land.

Norwegen sichert Ukraine militärische und finanzielle Unterstützung zu

Schon vor zwei Jahren hatten sich alle Parteien in Norwegen auf das sogenannte Nansen-Paket geeinigt, das der Ukraine eine langfristige militärische und finanzielle Unterstützung zugesagt wird. Darüber hinaus hat die norwegische Regierung erst letztes Jahr eine Rekord-Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben beschlossen. „Gleichzeitig wird aber die Kritik lauter, Norwegen müsse noch weitaus mehr für die Ukraine tun“, sagt Allers. Die Argumente von Kritikern im In- und Ausland: Norwegen hätte als eines der reichsten Länder Europas erstens schlichtweg das Geld dazu. Und zweitens hat das Land durch die Energiekrise in Folge des Ukraine-Kriegs noch einmal kräftig dazu verdient.

Industriepark Raufoss: Wo Spezialmunition für die Ukraine und Autoteile produziert werden

Ein zugefrorener See in Norwegen nördlich von Oslo
Raufoss liegt zwischen dichten Wäldern und großen Seen – gut 130 Kilometer nördlich der norwegischen Hauptstadt Oslo.  © Peter Sieben
Ein rotes Haus mit Holzfassade in der Dämmerung im Schnee
Bunte Häuser mit Holzfassaden säumen die Straßen. © Peter Sieben
Ein Straßenschild in Raufoss in Norwegen und ein Haus im Schnee
„Verteidigungsausrüstung“ steht auf dem Schild über dem Logo von Rüstungsproduzent Nammo. Wer durchs idyllische Städtchen Raufoss schlendert, rechnet nicht damit, dass direkt neben an ein bedeutender Industriepark liegt, in dem auch Munition für die Ukraine produziert wird.  © Peter Sieben
Øivind Hansebråten, CEO vom Raufoss Industriepark in Norwegen
Øivind Hansebråten ist CEO vom Raufoss Industriepark, einem der bedeutensten in Norwegen. Im Vergleich zu deutschen Parks ist er recht überschaubar. „Ich weiß, in Deutschland ist alles größer, aber für uns ist das schon ganz gut“, sagt Øivind und grinst. Dafür geht es hier recht familiär zu. © Peter Sieben
Emma Østerbø im Catapult Centre in Raufoss
Know-how wird im Industriepark geteilt: Emma Østerbø ist General Manager beim Raufoss Katapult Center. Hier können Start-Ups Prototypen testen.  © Peter Sieben
Gebäude von Benteler im Raufoss Industriepark in Norwegen
Im Raufoss Industriepark gibt es auch ein großes deutsches Unternehmen: der Autozulieferer Benteler. Dabei sind die Löhne hier höher als in Deutschland. Aber: Das Unternehmen nutzt hier auch norwegisches Know-How, um Automationsmechanismen zu testen.  © Peter Sieben
Mitarbeiter von Benteler in Raufoss in Norwegen
In den Produktionshallen von Benteler arbeiten pro Schicht nur zwei bis drei Menschen – das meiste läuft automatisiert. Das hat zwei Gründe: Fachkräfte sind Mangelware, im riesigen Norwegen leben vergleichsweise wenige Menschen. Und: Die Löhne für Fachkräfte sind hoch. Viele Unternehmen setzen auf Automation.  © Peter Sieben
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo in Raufoss in Norwegen
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo: Der Rüstungskonzern und Produzent von Spezialmunition gehört zu den ganz großen und zentralen Unternehmen im Industriepark.  © Peter Sieben
Eine Backstein-Werkshalle von Nammo im Raufoss-Industriepark in Norwegen
Eine der Werkshallen von Nammo: Im Raufoss Industriepark gibt es zahlreiche renovierte historische Gebäude.  © Peter Sieben
Nammo-Munitionsfabrik in Raufoss in Norwegen
Fotos dürfen in der Munitionsfabrik nur an einer einzigen Stelle gemacht werden. Damit keine sensiblen Informationen nach außen dringen, gelten strenge Sicherheitsregeln.  © Peter Sieben
Ein Arbeiter an einer Maschine in der Munitionsfabrik von Nammo in Raufoss in Norwegen
Präzision hat eine hohe Priorität: Mithilfe von Robotern und Computertechnik werden die Projektile gefertigt.  © Peter Sieben
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.  © Ippen.Media
Thorstein Korsvold, Pressesprecher von Nammo, stemmt eine Stahlhülse
Thorstein Korsvold stemmt eine der fertigen Hülsen, die zu Projektilen weiterverarbeitet werden: „Wiegt locker 30 bis 40 Kilo.“ Das meiste, das sie hier produzieren, geht an die ukrainischen Streitkräfte. So werden hier Rohlinge für M72-Panzerabwehrmunition gefertigt, die von ukrainischen Soldaten massenhaft verschossen werden. „Wir sind stolz auf unsere Produktion“, sagt Thorstein. „Aber es hat alles zwei Seiten. Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe.“  © Peter Sieben

Trym Riksen wirbt unterdessen weiter für seine Idee, die er „relativ risikoneutral“ nennt, da sie „keine direkten Ausgaben oder eine Änderung der eigentlichen Fonds-Architektur impliziere“. Denn es geht in seinem Modell ja nur um Aktieninvestitionen und nicht das physische Fonds-Vermögen. Er hält die Umsetzung nach für realistisch – erst recht nach der Sicherheitskonferenz in München, wo Trumps Vize J.D. Vance deutlich machte, dass Europa für die USA kaum mehr als nützliche Manövriermasse ist: „Nach München 2025 wurde vielen Menschen klar, dass wir einen Paradigmenwechsel in Bezug auf unser grundlegendstes Bedürfnis, die Sicherheit, vollziehen“, so Riksen.

Anmerkung: In einer ersten Version dieses Artikels war der Wert des Pensionsfonds aufgrund eines Umrechnungsfehlers von Norwegischen Kronen in Euro falsch angegeben. Wir haben die Zahlen nun angepasst.

Rubriklistenbild: © Marco Dorow/dpa, Pool Sputnik Kremlin/Gavriil Grigorov (Fotomontage)